Kommentar: Ist das noch unser Fußball?
Der FC Bayern steht an der Spitze der Bundesliga, etliche Trainer stehen hier und dort zur Diskussion und die 3. Liga ist ausgeglichen bis zum Geht-nicht-mehr – eigentlich verläuft im deutschen Profifußball doch alles wie immer. Nur ist der Reiz des Sportlichen irgendwie verloren gegangen. Neue Themen belagern die öffentliche Agenda. Und sie überformen, sie absorbieren den Fußball. Ein Kommentar.
Andere Themen im Mittelpunkt
Von einem medialen Aufschrei, der die Allgemeinheit etwa rund um Borussia Dortmund und seine Anhänger seit Wochen verfolgt, ist der Drittliga-Fußball glücklicherweise bisher verschont geblieben. Nicht jeder verfolgt die 3. Liga, nicht jeder bildet sich eine eigene Meinung und wirft sie in einen Topf, der zum klaren Denken viel zu klein ausfällt und daher seit Monaten immer wieder überkocht. Nicht wenige Anhänger aus Duisburg, Halle, Kiel oder Osnabrück werden in dieser Zeit erleichtert auf die eigene Situation schauen und feststellen: Was können wir froh sein. Dass bei uns nicht derart viel diskutiert wird. Dass sich nicht jeder einmischt. Dass mein Verein von der Öffentlichkeit nicht zerrissen wird. Schalke in Saloniki, Leipzig in Dortmund, der HSV wiederum in Leipzig, Darmstadt in Frankfurt – es kracht an allen Ecken und Enden, und es führt zu teils drastischen Konsequenzen. Der Fußball steht längst nicht mehr im Mittelpunkt.
Wem macht dieser Fußball noch Freude?
Still, heimlich und leise haben sich ähnliche Prozesse jedoch auch in der 3. Liga etabliert. Wen die Schuld trifft, soll an dieser Stelle gar nicht erst diskutiert werden. Viel drastischer fallen die Auswirkungen für jene aus, die an einem friedlichen Fußballspiel interessiert sind – und das ist, auch wenn man es frei nach der Berichterstattung der letzten Wochen kaum mehr glauben mag, noch immer die überwiegende Mehrheit der Fans. Ihnen bereitet der Fußball heutiger Zeit weniger Freude als früher. Sie müssen für Toilettenpapier an Kiosken fragen, matschige Sandwiches und abgefüllte Trinkpäckchen in die Gästeblöcke schmuggeln. Sie können teilweise nicht einmal mehr am Stadion ein Ticket kaufen, weil die Tageskassen geschlossen bleiben. Wer nicht in der Nähe wohnt und kein Internet besitzt (auch diese Leute gibt es noch!), guckt möglicherweise in die Röhre.
Sinkende Zuschauerzahlen untermauern den Sättigungseffekt
Sinkende Zuschauerzahlen bei nicht wenigen Vereinen untermauern einen allmählichen Sättigungseffekt, der auch durch jene Maßnahmen weiter verstärkt wird. Dabei müssen es gar nicht die Extrembeispiele sein, die in jüngerer Vergangenheit für Aufsehen sorgten. Auch das teils intime Abtasten an Eingängen, das Verbot von alkoholhaltigem Bier in Gästeblöcken oder gar ganzen Stadien oder ein vollständig überwachter Weg der gegnerischen Anhänger von Bahnhof und Parkplatz zum Stadion. Ob all diese Maßnahmen eine tatsächliche Entwicklung in die Wege leiten, ist äußerst zweifelhaft. Man gewinnt den Eindruck: Irgendwann werden Fußballfans persönlich in einen vollständig umzäunten Käfig begleitet, der Komfort und die Freude am Stadionbesuch gehen gegen Null – und Sicherheitskräfte würden ihr ausgefeiltes Konzept noch immer in höchsten Tönen loben.
Ein seelenloser Sport
Eine Lösung, die den modernen Fußball aus diesem Teufelskreis führen kann, ist nicht absehbar. Aktive und lebendige Fans werden in ihren Rechten beschnitten, sie kann das Profigeschäft ohnehin nicht gebrauchen. Die Reaktion folgt in Form von Gegenwehr, die wiederum sanktioniert wird. Gleichzeitig dreht sich die Geldmaschine weiter, es wird mehr und mehr Fußball gezeigt und in alle Länder vermarktet. Auch vor der 3. Liga macht dieser Prozess, deren Spielplan spätestens mit dem neuen TV-Vertrag entzerrt werden dürfte, nicht Halt. Aber wie lange möchte der hiesige Fußballanhänger diesen seelenlosen Sport noch verfolgen? Wann vergeht auch das letzte Fünkchen Freude am Stadionerlebnis? Immer mehr deutet daraufhin, als würde sich eine gewaltige Blase der Überformung bilden, die über kurz oder lang krachend platzen wird. Wer einfach nur Fußball in seiner Ursprünglichkeit und Reinform bewundern möchte, der wird diesen Moment schon jetzt sehnlichst herbeiwünschen.