Kommentar: Warum Holstein Kiel die Geduld mit Neitzel verlor
Die erste Entlassung der neuen Drittliga-Saison trifft einen der am längsten amtierenden Trainer: Karsten Neitzel, der gerade in seine vierte Saison bei Holstein Kiel gestartet war. In den bisherigen drei Spielzeiten hatte Neitzel bereits mehrere sportliche Talfahrten miterlebt – beispielsweise eine Durststrecke von 13 sieglosen Spielen in der Saison 2013/14 oder den Sturz auf den letzten Tabellenplatz im September 2015. Die Verantwortlichen hatten stets zu ihm gehalten – bis jetzt. Ein Kommentar.
Problem: Heimschwäche
Es war wohl der enttäuschende 14. Platz in der vergangenen Saison, der die Stimmung gegen den Trainer kippen ließ. Hatten die Störche ein Jahr zuvor den Aufstieg in die 2. Liga in der Relegation gegen 1860 München nur um Haaresbreite verfehlt, so brach das Team in den folgenden Monaten ein. Was den Kieler Zuschauern besonders aufstieß: Holstein schwächelte im eigenen Stadion. Den Klassenerhalt erreichte das Team in der vergangenen Saison durch couragierte Auftritte in der Fremde – etwa einem 0:0 beim designierten Aufsteiger Dynamo Dresden oder einem 1:0-Sieg in Magdeburg. Vor heimischer Kulisse hagelte es hingegen Ohrfeigen: 0:4 gegen Mainz II und Halle, 0:3 gegen Rot Weiß Erfurt. Das traditionell kritische Kieler Stammpublikum murrte deutlich. Zudem hatte Neitzel, wie es die Spatzen von Kiels Dächern pfeifen, keinen guten Draht zu den mächtigen Hauptsponsoren. Am Ende standen wohl nur noch die jungen Anhänger auf den Stehplätzen hinter dem 48-Jährigen, der auf den regelmäßigen „Fan-Abenden“ stets Rede und Antwort gestanden hatte.
Neitzels Spielsystem brachte keinen Erfolg
Was waren seine Fehler? Neitzel verordnete dem Team einen Spielstil, der untypisch war für die Dritte Liga: Er setzte auf offensiven Ballbesitzfußball mit Kurzpässen. Die Folge: Holstein dominierte häufig seine Gegner, konnte sich aber gegen kompakt stehende Defensivreihen nicht entscheidend durchsetzen. Viel Aufwand, wenig Ertrag: Diese Schwäche aus der letzten Saison setzte sich auch in den ersten vier Begegnungen der neuen Spielzeit fort. Hinzu kamen unglückliche Personalentscheidungen. Von den Stürmern, die unter Neitzel nach Kiel wechselten, traf keiner regelmäßig ins Schwarze. Der als Königstransfer im Sommer 2015 gekommene Ex-Kapitän von Hansa Rostock, Denis Weidlich, blieb ein Fremdkörper. Dies war beileibe nicht nur Neitzels Schuld. Holstein hat derzeit mit Ralf Becker den vierten sportlichen Leiter in drei Jahren. Kontinuität sieht anders aus.
Auch der Neue steht unter Druck
Was ihm das Publikum zudem ankreidete: Neitzel vergraulte verdiente Spieler. So geriet der bei den Fans hochgeschätzte Innenverteidiger Marcel Gebers mit dem Trainer aneinander – und musste gehen. Es folgte der stellvertretende Mannschaftskapitän Tim Danneberg sowie, in der zurückliegenden Sommerpause, Spielführer Marlon Krause und Publikumsliebling Marc Heider. Eine über Jahre gewachsene Mannschaft fiel auseinander. Zur neuen Saison kam nun ein halbes Dutzend teure Neu-Einkäufe – und das erhöhte den Druck auf den Trainer zusätzlich. Sportchef Becker gab das Ziel aus, mit dem zumindest nominell verbesserten Kader im oberen Tabellendrittel mitspielen zu wollen. Nach nur vier – wenig überzeugenden – Spielen zog der Verein nun die Reißleine. Das zeigt: Die Geduld mit Neitzel war schon lange strapaziert. Und: Von den hochgesteckten Saisonzielen wird Holstein auch unter einem neuen Trainer nicht abrücken. Auch bei ihm werden nur Siege zählen.