Mythos Steigerwaldstadion: Tradition pur
In Erfurt ist es nun beschlossene Sache. Der FC Rot-Weiß Erfurt bekommt eine neue multifunktionale Arena. Ein neues Stück fußballerischer Heimat, wie es die Magdeburger, Hallenser oder Dresdner in den vergangenen Jahren bereits erhalten haben. Doch da wo neue Dingen entstehen, steht auch der Abschied vom Alten an. Dies beinhaltet folglich auch eine Lebewohl vom Steigerwaldstadion in seiner jetzigen Form. Wir wollen daher einen kleinen Blick darauf riskieren, was das „SWS“ so einzigartig macht und wie groß der Schmerz beim Abschied sein dürfte.
Modernisierung als unausweichliche Notwendigkeit
Sicher ist, dass das Stadion im Erfurter Süden für seine bauliche Ästhetik wohl kaum Bestnoten erhalten würde. Nicht von einer unabhängigen Jury und ebenfalls wohl kaum vom rot-weißen Anhang, der sich Woche für Woche zwischen Marathontor, „Block 3“ und Haupttribüne einfindet. Diese Behauptung erklärt sich neben der subjektiven Anschauung wohl hauptsächlich aus dem tatkräftigen Aktionismus des Großteils der RWE-Fans bezüglich der Modernisierung des Stadions. Und eine Modernisierung scheint in jedem Fall mehr unausweichliche Notwendigkeit, denn reine Verwendung übrig gebliebener finanzieller Mittel. Das Steigerwaldstadion in einem kurzen Beschreibungsversuch als weitläufig zu bezeichnen, wäre dabei wohl ein äußerst wohlwollender und sehr diplomatischer Ansatz. Das Problem: Neben den Leichtathleten, die auf der, das Spielfeld umgebenden Laufbahn, um Bestzeiten kämpfen, wurden beim Bau des Stadions auch die Reiter bedacht. Diese erhielten zusätzlich eine Bahn, rund um die Laufbahn der Leichtathleten.
Etliche Baustellen
Erst dann Über den Witz, der besagt, dass es von Vorteil sei, bei Heimspielen des RWE das Fernglas mitzubringen lässt hier kaum noch jemanden mehr als ein müdes Lächeln über die Lippen gehen. Beispielhaft für den Renovierungsbedarf stehen auch die sanitären Anlagen. Diese reduzieren sich im Stehplatzbereich, auf jene kleinen blauen Einmannkabinen aus Plastik, die auf jeder vorübergehenden, zeitlich befristeten Baustelle zu finden sind und bei dem sich intensivere Bemühung um größeren Komfort aus rationalen Gründen verbietet. Auch die vom Stadion getrennt erbaute Geschäftsstelle des Vereins besticht eher unter nostalgischen Gesichtspunkten, denn durch optisch anziehende Argumente. Hinzu kommt, dass an Spieltagen lediglich eigens aufgehängte Planen den Blick von außen auf das Geschehen auf dem Spielfeld vedecken. Und mit dem Auto anreisende Fans, die nicht ein Lied von der Parkplatzproblematik an Spieltagen singen können, werden in Thüringens Landeshauptstadt vergebens gesucht.
Im Ganzen also sicherlich nichts für Sympathisanten moderner Fußballtempel. Das Stadion wirkt wie eine Zusammensetzung einzelner Bauteile und weniger wie ein, in einem Zug entstandenes Bauwerk. Unvollkommen scheint eine treffende Umschreibung für den Gesamteindruck. Die objektive Betrachtung rein architektonischer Argumente ist es also nicht, die diesen Ort im Erfurter Steigerwald so einmalig macht. Nun mag sich mancher Leser dieses Artikels, mit Blick Richtung Titel des selbigen, fragen, wo denn, bei allen beschreiben Baustellen, der Mythos steckt. Was genau ist es denn nun, dass wohl nicht nur RWE Fans trauern lässt, bei dem Gedanken dass hier bald ein zeitgemäßes Stadion entsteht.
Eine wehmütige Hinwendung
Vielleicht ist genau das bisher Beschriebene! Eben die fehlende Perfektion. Auf eine andere Art anders sein wenn man so will. Der Charme des Unvollkommen. Gemischt wird dieser Charme mit einem deutlich wahrnehmbaren Hauch von Nostalgie. Dem Wortursprung nach einer wehmütigen Hinwendung zu einem Ort, in der die Erinnerung oft stark verklärt oder idealisiert wird. Die Erinnerungen an vergangene Spiele und die Helden, die solche hervor brachten. Und all diese Gemäuer, Ecken und Fassaden die eingangs erwähnt wurden, werden Teil dieser wehmütigen Hinwendung. Sie sind somit Bestandteil der gesamten Erinnerung und verschmelzen mit jenen an große Spiele. Die Liste der erwähnenswerten Spiele ist hierbei lang und reicht von den zahlreichen Landesderbys gegen den FC Carl Zeiss Jena und über Länderspiele der DDR-Auswahl bis beinahe ins Hier und Jetzt mit dem legendären DFB-Pokalspiel gegen den FC Bayern München vor einiger Zeit.
„Mitteldeutsche Kampfbahn“
Doch auch bei einem kurzen Seitenblick auf das Sportliche fällt auf, dass die ganz großen Erfolge des Vereins, abgesehen von zwei Meisterschaften in der Mitte der Fünfziger Jahre, ausblieben und somit die These des Charmes des Unvollkommenen unterstreichen. Exemplarisch sei hier das erwähnte Spiel gegen den FC Bayern München im August 2008 genannt, bei dem nach aufopferungsvollem Kampf und einem mitreißendem Spiel am Ende ein 3:4 aus Erfurt Sicht, und somit das Ausscheiden stand. In der Außenwahrnehmung entstand im Laufe der Zeit ein Image des Mittelmaßes. Ein Schicksal, dass in der 3. Liga so wohl einige andere Vereine auch teilen.
Zu dem Reiz, denn das Steigerwaldstadion mit Blick in die Vergangenheit umgibt tragen sicherlich auch die Namen bei, die das Leichtathletik- und Fußballstadion im Laufe seiner Geschichte getragen hat. Im Jahre 1931 als martialisch klingende „Mitteldeutsche Kampfbahn“ eingeweiht, erhielt es später den Namen eines ehemaligen bulgarischen Ministerpräsidenten und hieß fortan Georgij-Dimitroff-Stadion. Ein Name der nur aus seinem Klang an die kommunistische beeinflusste Vergangenheit des Stadions und des Vereins erinnert. Erst 1991 kam das Steigerwaldstadion mittels Volksentscheid zu seinem heutigen Namen.
Bevor wir uns dem abschließendem Fazit nähern sei an dieser Stelle ein positiv hervorstechendes architektonisches Detail doch erwähnt. Bei Dunkelheit sorgen jene Flutlichtmasten, die wahrzeichenähnlich in die Erfurt Skyline ragen und aus dem Stadtbild somit kaum wegzudenken sind, für die unverwechselbare Atmosphäre bei Flutlichtspielen im Steigerwaldstadion. Auch hier trägt jedoch die Erinnerung an deren Vergangenheit zum erwähnten Charme bei. Zahlreiche Verzögerungen beim Bau und der Inbetriebnahme, sowie abgeknickte Masten schaffen eine ereignisreiche, fehlerbehaftete Vergangenheit der vier Stahlgiganten.
Es lebe das Steigerwaldstadion!
Und während ich hier so sitze und versuche zwischen einer journalistischen Sachlichkeit und der gebotenen Objektivität und versuche den Mythos SWS zu beschreiben fällt mir auf, wie sehr mir das Steigerwaldstadion, mit allen seinen Macken und Fehlern, fehlen wird. Oftmals werden solche, nur auf den zweiten Blick, schönen Gegebenheiten ja als Fußballromantik verstanden. Wenn dem so ist, ist das Steigerwaldstadion zweifelsfrei einer der romantischsten Orte, an denen ich je war. Mit dem vielzitiertem lachendem und dem weinenden Auge lässt sich also abschließend festhalten: Machs gut Steigerwaldstadion! Es lebe das Steigerwaldstadion!