Wortlaut der Christoph-Rede
Stell dir vor, du gehst heute Abend schlafen und wenn du morgen früh wach bist, ist alles anders. Dein Telefon klingelt in der Früh und dir wird gesagt, dass dein Sohn, dein Freund, dein Kumpel, dein Bruder mit schweren Kopfverletzungen im Koma liegt. Ab jetzt funktionierst du nur noch. Du weißt nicht wirklich, was du tust. Du weißt nicht wirklich, was du fühlst. Du weißt nicht wirklich, was du machen sollst.
Stell dir vor, du kommst ins Krankenhaus und erkennst deinen Bruder nur, weil der Bettnachbar deutlich älter ist. Er ist aufgequollen von Medikamenten. Angeschlossen an unzähligen, piependen Maschinen. Viele, aus dem Körper kommende Schläuche. Du weißt nicht, was du tun sollst. Du weißt nicht, was du sagen sollst. Du weißt nicht, wie du dich verhalten sollst. Du stehst neben einem dir vertrauten Menschen und weißt nicht, was gerade geschieht. Kannst du ihm helfen? Hört er dich? Was sollst du sagen? Kannst du weinen? Tust du lieber stark?
Stell dir vor, du kämpfst für deinen Sohn, deinen Freund, deinen Kumpel, deinen Bruder und die lokale Presse kennt kein „Nein“. Sie versucht es über die Familie, Freunde, Kollegen und Bekannte. An der Haustür, per Telefon oder Facebook. Du brauchst all deine Kräfte, doch du kannst dich nicht aufs Wesentliche konzentrieren.
Stell die vor, du fährst mit dem konkreten Wissen ins Krankenhaus, dass du mit deinem Sohn, deinem Freund, deinem Kumpel, deinem Bruder das letzten Mal reden wirst; ihn das letzte Mal berühren wirst; ihn das letzte Mal sehen wirst. Was tust du? Was sagst du? Wie lange bleibst du? Du wirst bleiben wollen. Du wirst nicht gehen wollen. Doch eins ist sicher. Du musst gehen. Eins ist sicher. Du wirst ihn nie wieder sehen.
Stell dir vor, du machst kein Auge zu, du bekommst keinen Bissen herunter, du weinst den ganzen Tag. Denn du musst entscheiden, wann die Maschinen abgestellt werden. Du musst entscheiden, wann dein Kind stirbt. Du entscheidest, wann dein Kind stirbt. Du bist dabei, wenn dein Sohn, dein Freund, dein Kumpel, dein Bruder stirbt. Du bist bis zum allerletzten Herzschlag dabei.
Stell dir vor, du bekommst eine Nachricht mit der feinfühligen Frage, ob dein Sohn, dein Freund, dein Kumpel, dein Bruder tot ist. „Ist Hannes tot?“, hieß es. Täglich hunderte Freundschaftsanfragen und unzählige Nachrichten. Und das, obwohl du nur versuchen möchtest, das Geschehene zu verarbeiten. Irgendwie. Irgendwann. Verzweifelt klammerst du dich an Gegenstände, an Geschichten, an Fotos, an Erinnerungen. Doch das alles bringt ihn nicht zurück.
Stell dir vor du bist nicht gläubig. Stell dir vor, du glaubst nicht an ein Leben nach dem Tod. Aber du wünschst es dir so sehr. Denn dann kannst du deinen Sohn, deinen Freund, deinen Kumpel, deinen Bruder irgendwann wieder in den Arm nehmen. Dann wärst du wieder ganz nah bei dem geliebten Menschen, der viel zu früh von uns gegangen ist. Dann würde er auch sehen, welch großartige Aktionen für ihn realisiert wurden. Dann würde er sehen, wie großartig ihm gedacht wurde. Und ich bin mir sicher, dass es ihn zutiefst berühren würde. Ich bin mir sicher, dass er unglaublich stolz wäre. Und dafür möchte ich, möchten wir euch von ganzem Herzen danken. Vielen Dank für alles, was ihr für uns getan habt.
Stell dir vor, dein Sohn, dein Freund, dein Kumpel, dein Bruder stirbt, weil er die falschen Farben trug! Er hat sein Leben verloren, weil er Anhänger einer Fußballmannschaft war. Wir alle haben einen Teil unseres Lebens verloren, weil es Menschen gibt, die andere Farben hassen. Weil es Menschen gibt, die andere Embleme hassen. Weil es Menschen gibt, die andere Städte hassen. Das muss aufhören. Jeder Mensch hat Familie, hat Freunde, hat Kollegen und Bekannte. All denen wird unglaublich viel Leid beigetragen.
Doch ich glaube, dass wir; wir alle hier; stärker sein können. Stärker als Wut. Stärker als Hass. Und vor allem stärker als Gewalt. Dieser unglaublich tragische Vorfall gibt uns die Möglichkeit zu zeigen, dass wir es sind, dass wir es sein können, die den Wandel einleiten. Niemand soll vergessen. Niemand soll verzeihen. Aber wir können allen Menschen da draußen beweisen, dass wir wirklich die größten der Welt sind. Wir unterstützen unseren Club. Wir schreien unser Team zu Sieg. Aber ohne dabei den Gegner zu beleidigen. Ohne ihn anzugreifen. Ohne ihn zu verletzen. Alles, was hier zählt, ist der sportliche Sieg.