Ein Neuanfang für 1860 München: Fluch oder Segen?
Fan der Münchner Löwen zu sein, war allein aufgrund des mächtigen Stadtrivalen FC Bayern nie eine leichte Angelegenheit. Nun aber mussten die Sechziger eine enorm bittere Pille schlucken: Statt des Abstiegs in die 3. Liga geht es im Eiltempo weiter nach unten, mindestens in die Regionalliga Bayern. Investor Hasan Ismaik hat dennoch angekündigt, zu bleiben. Was bedeutet dies für den TSV 1860 München?
Vom Regen in die Traufe?
Das Löwenforum, in dem sich 1860-Anhänger aus ganz Deutschland und darüber hinaus über ihren Verein austauschen, war am Freitagnachmittag kurz vor der Explosion. Über 1000 Nutzer diskutierten, schimpften, ließen ihrem Frust freien Lauf – manche jubelten sogar. Doch das Ende vom jordanischen Investor Hasan Ismaik, der von weiten Teilen der Fanszene massiv kritisiert wird, ist trotz des Abstiegs nicht abzusehen. "Ich gehe mit dem Verein auch in die 4. oder 5. Liga“, ließ der Milliardär in einer Mitteilung verkünden. Hat sich 1860 München vom Regen in die Traufe befördert? In den sozialen Medien wird diese Meinung verbreitet geteilt. Obgleich nicht vergessen werden darf, dass es auch jener Ismaik war, der durch seinen Einsatz (und seine Millionen) einem bereits zuvor an den Rand des Finanzkollapses gewirtschafteten Traditionsverein neues Leben eingehaucht hatte. Wenigstens dafür sei ihm aus Löwen-Sicht zu danken.
Ein launischer Herrscher ohne Palast
Es dauerte nicht lange, da lieferte Ismaik bereits Argumente, sämtliche Sympathien in ihn zu verspielen. Er wirkte mehr und mehr als unberechenbarer Anführer des Vereins, der nicht nur einmal mit gravierenden Stimmungsschwankungen für sorgenvolle Blicke der Fans sorgte. Immer wieder krachte es mit dem eingetragenen Verein, mit dem sich Investor Ismaik aufgrund der bestehenden 50+1-Regel zwangsläufig auseinandersetzen musste – und nicht nur einmal drohte Ismaik mit dem Rücktritt, der für einen längst in völliger Abhängigkeit befindlichen Klub den Ruin bedeutet hätte. Diesen Status besitzt der 39-Jährige rund um die Löwen auch weiterhin: Ohne ihn bliebe ein Schuldenberg, ohne ihn blieben jede Menge Unkosten, die nicht gedeckt werden könnten. In der 2. Bundesliga bezahlte 1860 München dem Vernehmen nach allein 3,5 Millionen Euro pro Jahr für die Nutzung der Allianz Arena – große Zuschauereinnahmen waren für den Klub nicht zu erzielen. Und Ismaik war Herrscher im fremden Palast. Was für ein untragbarer Zustand.
Kritiker werden stillgestellt
Doch Ismaik legte sich nicht nur mit seinen Kritikern im Verein an, sondern auch mit der Presse – genauer gesagt jener Presse, die nicht nach seinen Wünschen berichtete. Die Entzüge von Dauerakkreditierungen mehrerer Zeitungen machten die große Runde, gingen durch ganz Deutschland. Der bayrische Journalistenverband reagierte empört, zumal einige Reporter auf Pressekonferenzen sogar mundtot gemacht wurden. Bei 1860 München wurde kontrolliert, bei 1860 München wurde die Pressefreiheit beschnitten – der Vergleich mit einer Diktatur war urplötzlich nicht mehr weit hergeholt. Ismaik, stets von seinem dubiosen und mit Muskeln protzenden Geschäftsführer Anthony Power unterstützt, hatte sich eine Blase geschaffen, in der er von niemandem attackiert werden wollte. Das funktionierte jedoch mehr schlecht als recht, schließlich lieferte er auf dem Rasen enorm viel Angriffsfläche.
Millionenbeträge zum Fenster hinausgeblasen
Die Millionen, die er hineinsteckte – es dürften dem Vernehmen nach zwischen 60 und 80 Mio. Euro gewesen sein – führten zu nichts. Fast 10 Millionen Euro investierten Ismaik und der TSV 1860 allein in dieser Spielzeit für Neuverpflichtungen. Unter anderem ließ er sich das vermeintliche brasilianische Sturmtalent Ribamar für einen unverschämten Betrag andrehen. Es reicht die Begutachtung eines Highlight-Videos des besagten Spielers auf YouTube, um über diese Entscheidung den Kopf zu schütteln, bis die Gelenke knacken. Im Winter wurde es noch besser: Trainer Vitor Pereira machte aus den Löwen Klein-Portugal, ging in seinem Heimatland auf Shoppingtour. Schlussendlich fiel die einfachste Kommunikation aufgrund der Nationenvielfalt schwer, das war dem Zusammenkauf auf dem Platz anzumerken. Ganz abgesehen davon, dass der Kader mit 32 Spielern auch noch hoffnungslos überbläht war.
Der e.V. gewinnt die Machtspielchen
Darüber ließe sich wohl stundenlang weiterphilosophieren: Um einen Verein mit bis zu 80 zusätzlichen Millionen von der 2. Bundesliga in die Regionalliga Bayern zu befördern, muss eine schier unendliche Fehlerkette produziert werden. Dass die Anhänger der Sechziger den Doppel-Abstieg binnen nur drei Tagen keineswegs nur betrauern, wurde schon bei der Verkündung der Neuigkeiten auf der Geschäftsstelle deutlich. Während einige Tränen flossen, jubelten andere und ließen ihrem Unmut über den "Scheich" Ismaik mit Sprechchören freien Lauf. Selbst Vizepräsident Heinz Schmidt, nach dem Abtritt von Präsident Peter Cassalette und Geschäftsführer Ian Ayre das Sprachrohr in den schweren Stunden, konnte sich trotz der so bitteren Nachricht das Grinsen nur schwer verkneifen. Ja, der eingetragene Verein 1860 München – die "Traditionalisten" – hatten der Ismaik-KGaA die Grenzen aufgezeigt. Der e.V. hat den Machtkampf gewonnen – auf Kosten der Zahlungsverweigerung von Hasan Ismaik, der im Verein weiterhin nicht die Alleinherrschaft übernehmen kann.
Die einzig positive Nachricht wäre ein Rücktritt
Allein aufgrund dieser verworrenen Strukturen, der internen Differenzen und selbst der verschiedenen Ansichten mancher Fans über die Personalie Ismaik liegt bei 1860 München vieles im Argen. Ob der Abstieg in die Regionalliga Bayern die Lösung für alle Probleme ist, erscheint mehr als fraglich – und ob dies bejubelt werden sollte, erst recht. Was viele Fans begrüßen: Wahrscheinlich kehren die Löwen in "ihr" Stadion an der Grünwalder Straße zurück – das aber genügt den weiterhin vorhandenen hohen Ansprüchen von Ismaik und Co. nicht im Ansatz. Es sollte doch die Champions League sein, dazu eine neue Spielstätte mit Löwen-Zoo. Eine Rückkehr in die Allianz Arena wäre mit einem Umzug ohnehin ausgeschlossen. 1860 München ist am Boden angelangt, sein Ruf ist zerstört und der Profi-Fußball erst einmal passé. Die einzig positive Nachricht kann im tatsächlichen Rückzug von Ismaik, notfalls einer Insolvenz und einem Neustart des seit Jahrzehnten belasteten Vereins bestehen. Er hat sämtliche Chancen verspielt.