Saisonfazit RWE: Mit einem blauen Auge davongekommen
Rot-Weiß Erfurt darf bald in ein zehntes Jahr 3. Liga gehen – wieder einmal befanden sich die Thüringer dem Abstieg jedoch deutlich näher als dem Aufstieg. Unter schweren Bedingungen manövrierte Stefan Krämer seinen Kader kurz vor Schluss an sichere Ufer. liga3-online.de zieht für RWE ein Saisonfazit, beleuchtet Stärken und Schwächen und wagt eine kleine Prognose für das kommende Jahr.
Das lief gut
Gut liefen allen voran die entscheidenden drei Spiele. Hatte sich Erfurt zuvor (nach einem verhältnismäßig soliden Auftakt) immer mehr durch die Punktpartien gequält und war Stück für Stück abgerutscht, zeigte das Team auf den Punkt die benötigte Leistung. Ein 2:1-Erfolg bei Hansa Rostock, ein 4:1 über Sonnenhof Großaspach sowie ein knappes 1:0 im Thüringenpokal genügten, um sämtliche wichtigen Saisonziele zu erreichen: Den Klassenerhalt in der 3. Liga und die Qualifikation für den DFB-Pokal, die entscheidende Einnahmen für das so wichtige Zulassungsverfahren garantiert. Abseits dessen war immer wieder auf Carsten Kammlott Verlass, obgleich die RWE-Lebensversicherung kein überragendes Jahr erwischte. Außerdem funktionierte die Defensive zumeist, viele knappe 1:0-Führungen wurden erfolgreich über die Bühne gebracht. Und: Erfurt war auf fremden Plätzen stark, belegt dort den achten Platz in der Gesamttabelle. Nicht wenige Drittligisten bissen sich am vermeintlichen machbaren Gegner die Zähne aus.
Das lief schlecht
Die Offensive! Hinter diesem Stichpunkt könnten gut und gerne drei Ausrufezeichen stehen. 34 Tore in 38 Spielen sind abstiegsreif – ohne die sechs Treffer aus den finalen beiden Saisonspielen sähe die Bilanz noch grusliger aus. Hinter Carsten Kammlott tat sich kein Akteur hervor, der regelmäßig für Torgefahr sorgte, auch weil es oft schon am Herausspielen von Chancen hapert. Wie oft musste Trainer Krämer auf Pressekonferenzen schwören, dass er versuche, Offensivarbeit zu trainieren – es aber die schwerste Aufgabe sei, dies zu perfektionieren?
Abseits des Sportlichen gerieten außerdem die Zuschauerzahlen zu einer Enttäuschung. Zwar wurde der Schnitt etwas erhöht, allerdings stand den Anhängern auch ein fast komplettrenoviertes Stadion inklusiver überdachter Plätze zur Verfügung. Speziell die Partien gegen weniger attraktiven Gegner (sämtliche Nicht-Ostduelle) blieben Ladenhüter. Lag es vielleicht daran, dass Erfurt zuhause selten überzeugte? Sechs von 19 Spielen wurden nur gewonnen, das bedeutet den vorletzten Platz in der Heimtabelle.
Bewertung der Neuzugänge
Sechs externe Neuzugänge verpflichtete Erfurt, Kracher waren aufgrund des selbstauferlegten Sparkurses keine dabei. Liridon Vocaj darf wohl einstimmig den Titel „Verpflichtung der Saison“ entgegennehmen, denn er erwies sich rasch als zweikampfstarker Balleroberer im Mittelfeld – sein Platz in der Startelf war über weite Strecken der Spielzeit unangetastet. Schwerer tat sich Verteidiger Mikko Sumusalo, der nach 21 Einsätzen nicht weiterverpflichtet wird. Auch Samir Benamar, zuvor von Arminia Bielefeld ausgeliehen, überzeugte nach seiner festen Verpflichtung nicht mehr. Christopher Bieber war lange Edeljoker, sein Tor in Rostock war das vielleicht wichtigste der Spielzeit. Er hätte sich sein erstes Jahr in Thüringen wohl dennoch anders vorgestellt. Talent Aloy Ihenacho kam bisher in der 3. Liga noch überhaupt nicht zum Zug, auch die Rückkehr von Maik Baumgarten brachte bisher keine Impulse. Hauptsächlich war es das Gerüst der vergangenen Jahre, das den Klassenerhalt der Rot-Weißen trug.
Der beste Spieler: Jannis Nikolaou
Es kann nicht immer Carsten Kammlott werden! Zu unkonstant agierte der Stürmer in der letzten Saison – Jannis Nikolaou war ihm in Sachen Leistungsdichte ein ganzes Stück voraus. Souverän bekleidete er sowohl die Innenverteidiger- als auch die Position im defensiven Mittelfeld, leistete sich nur ganz wenige Aussetzer. Es ist nicht verwunderlich, dass der junge Mann, der einst vom 1. FC Köln II an den Steigerwald wechselte, nun höher hinaus möchte und wohl in die 2. Bundesliga gehen wird: Finanziell hat Erfurt aktuell keinerlei Argumente, einen solchen Spieler nach guten Leistungen langfristig binden zu können.
Die Enttäuschung: Samir Benamar
Die wirkliche Komplett-Enttäuschung gab es bei Rot-Weiß Erfurt im abgelaufenen Jahr ebenso wenig wie den einen Sensations-Spieler – dafür steht RWE viel zu sehr für den Kollektivgedanken. Einer, der aber wahrlich kein gutes Jahr erwischte, war Samir Benamar. Nach seinem ersten halben Jahr in der Rückserie 2016 freuten sich viele über die feste Verpflichtung des Marokkaners. Dann warf ihn eine Adduktorenverletzung im Herbst des letzten Jahres zurück, richtig erholen konnte er sich davon nicht. Meist war er nur noch Joker, das Jahr 2017 kann Benamar als verloren abhaken. Weil aber einige Leistungsträger gehen werden, kann er auf einen neuen Anlauf hoffen.
Fazit
Und noch ein Jahr 3. Liga für Rot-Weiß Erfurt! Dieser Evergreen dauert bald zehn Jahre an und wird noch nicht langweilig. Aber wie lange geht das gut? Die Zulassungserteilung war nach Aussagen von Präsident Rolf Rombach wieder einmal ein Drahtseilakt, die Sparmaßnahmen beeinflussen die Kaderplanung enorm. Im Jahr 2016/17 hat Trainer Stefan Krämer vielleicht bereits nah am Maximum gearbeitet – und ohne „Stars“ im Team den Klassenerhalt auch sportlich gegenüber einer Mannschaft wie dem SC Paderborn erreicht. Das ist ihm, das ist der Mannschaft hoch anzurechnen! Klar ist aber auch, dass die Situation im Vergleich zur Vorsaison wieder ein Stück prekärer geworden ist. Irgendwann ist auch Erfurt fällig, doch schon ein Abstieg in die Regionalliga könnte für den Klub nicht mehr zu verkraften sein…
Prognose
Eins ist in Erfurt klar: Leichter wird das kommende Jahr meist nicht. Diejenigen, die sich Leistungsträger nennen durften, verlassen den Klub zum Großteil: Okan Aydin. Jannis Nikolaou. Mario Erb. Und wohl auch Philipp Klewin sowie Youngster Theodor Bergmann. Diese Akteure muss Erfurt adäquat ersetzen – und dass das auf Anhieb gelingt, käme einem Wunder gleich. RWE wird als einer der erstgenannten Abstiegskandidaten in das neue Jahr gehen. Doch: Totgesagte leben länger! Ein Klub wie der VfR Aalen, der unter ähnlichen Möglichkeiten operiert, muss als Vorbild für Krämer und Co. herhalten.