Das Wunder von Regensburg
Wer hätte das gedacht? Der SSV Jahn Regensburg ging als Abstiegskandidat in die vierte Drittligasaison – und stieg am 14. Mai 2012 in die 2. Bundesliga auf! Das offizielle Ziel Klassenerhalt war bereits in der Winterpause erreicht, nach einer kleinen Durststrecke im März wurde am 38. Spieltag die Relegation gesichert – und da der Karlsruher SC bezwungen. Viel Arbeit kommt nun auf die Verantwortlichen des SSV zu, aber bis jetzt ist die ganze Stadt in kollektiver Feierlaune.
Leistungsträger bekommen keinen Vertrag – Neuzugänge aus unteren Ligen
Mit Kapitän Alexander Maul, Publikumsliebling Stefan Jarosch, die Mittelfeldmotoren Tobias Zellner, Florian Hörnig und Marco Haller oder Sturmlegende Petr Stoilov haben den Verein wichtige Spieler verlassen müssen. Es war kein Geld für deren Vertragsverlängerung da. Andere Spieler wie Tobias Schlauderer und Stefan Binder haben irgendwie den Kontrakt noch verlängern können. Aber in Regensburg ging die Abstiegsangst umher. Mit unbekannten Regionalligatalenten wie einen Ronny Philp und einen Jim-Patrick Müller von Greuther Fürth II sollte die 3. Liga gehalten werden, dazu mit Mario Neunaber einen Abwehrchef verpflichtet, der in der vierten Liga bei Hessen Kassel auf dem Abstellgleis stand. Namhaftester Neuzugang Zweitligastürmer Sebastian Hofmann, der sich im ersten Training so schwer verletzte, dass die Hinrunde für ihn gelaufen war. Gerade einmal zwei Wochen vor Saisonstart hatte Trainer Markus Weinzierl genug Spieler für ein vernünftiges Mannschaftstraining. Mit 18 Spielern im Kader wollte der SSV Jahn die Sensation schaffen – den Klassenerhalt! Kaum einer hat das zu Beginn der Saison der Jahnelf zugetraut, in Regensburg selbst schien nur die Frage wichtig, wie deutlich abgeschlagen man in der Liga landen werde.
Überraschend guter Saisonbeginn!
Das erste Saisonspiel gab den Kritikern recht. Gegen den Mitabstiegskandidaten SV Babelsberg gelang zu Hause vor gerade einmal 2.200 Zuschauern nur ein glückliches 1:1 – erst in der 77. Minute konnte Andre Laurito mit den Kopf die Babelsberger Führung aus der 23. Minute ausgleichen. Den Regensburgern schwante böses vor der Spielzeit 2011/12. Die Überraschung dann anderthalb Wochen später, bei der U23 von Werder Bremen konnte man mit 4:1 gewinnen. Nach sehr gutem Fußball und dem Auswärtssieg stand der SSV Jahn Regensburg in der Saison erstmals an der Tabellenspitze! Aber auch das brachte die Schwarzseher beim SSV nicht zum Schweigen, immerhin gehörte auch Bremen zu den Kandidaten für die letzten drei Plätze (wo sie am Ende ja auch landeten). Den Sieg sollte man nicht als Erfolg sehen, sondern als Selbstverständlichkeit gegen den Abstieg, gegen Werder II werde noch die ein oder andere Mannschaft einen Kantersieg erringen. Erst als der gute Saisonstart mit Siegen gegen Stuttgart II (2:0), Zweitliga-Absteiger VfL Osnabrück (1:0) und Mitaufstiegskonkurrent VfR Aalen (4:0) fortgeführt wurde, ließ die Mannschaft bundesweit aufhorchen. Vom "Dortmund der 3. Liga" war in der Sportschau die Rede. Und der vergleich zur aktuellen besten deutschen Mannschaft (national) war nicht grundlos gegeben. Eine junge Mannschaft, mit der kaum einer gerechnet hatte, zeigt schönen und erfolgreichen Spaßfußball.
Jahn ohne Herbsteinbruch – Wintermeister und Klassenerhalt
Aber Regensburg wäre nicht Regensburg, wenn die kritischen Stimmen ganz verstimmen würden. Ein guter Saisonstart sei doch typisch für die Elf von Markus Weinzierl. Stimmt, in den meisten Jahren spielt der SSV oben mit, ehe im Herbst der Einbruch kommt und die letzten Punkte in der Rückrunde in Hamstertaktik eingesammelt werden. Aber dieses Jahr war alles ein bisschen anders. Nicht nur, dass Weinzierl sich wieder einmal selbst übertroffen hat, indem er aus der Rumpftruppe binnen weniger Wochen rechtzeitig zum Saisonbeginn eine Mannschaft gebildet hat, ein Team, in der sich jeder für den anderen aufreißt. "Einer für alle, alle für einen" lautete das Motto der Saison, was im Jahnstadion bei jedem Heimspiel zu lesen war. Ersatzspieler brachten keine schlechte Stimmung in die Jahnelf, sondern warteten auf ihre Chance. Und war diese Chance gekommen, fügten sie sich nahtlos in die Mannschaft ein und brachten 120% für die Mannschaft. Nicht nur das hat Weinzierl erriecht, sondern auch, dass der obligatorische Herbst-Einbruch beim Jahn ausblieb. Der Jahn konnte den Tabellenführer 1. FC Saarbrücken, der zuvor 21 Spiele in Folge ungeschlagen blieb, mit 4:1 an die Saar zurückschicken. Mit nur drei Niederlagen in der Hinrunde belegten die Oberpfälzer auch zur Halbzeit in der Saison einen Aufstiegsplatz – in der Winterpause war es sogar die Tabellenführung. Kein Jahneinbruch, ja erst recht kein hilfloser Abstieg der Mannschaft aus der Domstadt. Zur Winterpause hatte man bereits 38 Punkte, der Klassenerhalt war nur noch Formsache. Jahn Regensburg hatte sechs Punkte Vorsprung vor dem ersten Nichtaufstiegsplatz. Nach erreichtem Saisonziel bereits zum 21. (!) Spieltag also Zeit, die Ziele nach oben zu korrigieren? Sollten die Verantwortlichen den Aufstieg als Ziel setzten, nachdem der "Nichtabstieg" erreicht wurde?
Markus Weinzierl: "Aufstieg wäre ein Wunder" – Rückrunde mit Kraftproblemen
Das Ziel wurde nach oben korrigiert, aber der Aufsteig wurde es nicht. Man wolle solange wie möglich oben dran bleiben, so Geschäftsführer Franz Gerber. Markus Weinzierl sagte: "Der Aufstieg wäre bei unseren Voraussetzungen ein Wunder! Und Wunder kann man nicht als Ziel ausgeben". Die Voraussetzungen waren schon während der Saison schlecht, bis zur Winterpause hatte die Jahnelf aber mehr oder weniger Glück was Verletzungen betrifft. Aber dann schlug das Pech einskalt zu. Kapitän Tobias Schweinsteiger, Michael Klauß, Thomas Kurz… Die Offensivspieler fielen reihenweise aus. Hinzu kamen wegen dem Winter eine Menge Spielausfälle und demnach Englische Wochen. Die Zusatzbelastungen und der immer kleiner werdende (verfügbare) Kader gingen auch beim Jahn an die Substanz. Konnten vorher Ausfälle von einzelnen Leistungsträgern von Ersatzspielern über ein, zwei Spiele problemlos aufgefangen werden, ließen in der Rückrunde die Kräfte deutlich nach. Drei Niederlagen zu Beginn ließ das Punktepolster auf Rang vier schmelzen, elf Spiele in Folge kassierte die Jahnelf immer mindestens ein Gegentor. Die Kritiker haben das natürlich schon immer gewusst und erwartet. Am 31. Spieltag stand der Jahn dann zum ersten Mal seit dem ersten Spieltag nicht auf einem Aufstiegsplatz. 29 Spiele lang grüßten die Rot-Weißen von oben, nach einem 0:1 in Saarbrücken fielen sie auf Position 6 zurück. Nach dem 1:3 zu Hause gegen die Kickers Offenbach am 34. Spieltag hat schlussendlich jeder den Jahn abgeschrieben. Drei Punkte hatte er mittlerweile Rückstand auf den Relegationsplatz, den da mit dem Chemnitzer FC die Mannschaft der Stunde inne hatte. Zu allem Überdruss schied Regensburg im Landespokal auch noch gegen Ligakonkurrent Unterhaching nach 2:0-Führung mit 2:3 aus, was den Startplatz im DFB-Pokal 2012 gefährdete.
Mit Wille und Leidenschaft – der Jahn kämpft sich zurück
Und nur noch vier Spiele zu absolvieren. Die Chancen des SSV Jahn? Gleich null… Doch in den letzten Wochen waren die Leistungsrtäger alle wieder an Bord geganen und die Mannschaft, frei nach dem Motto togesagte leben länger, kämpfte sich eindrucksvoll zurück. Mit drei Siegen in Folge, bei der Revange in Unterhaching (3:2), im direkten Duell gegen den CFC (1:0) und in Oberhausen (2:1 – die man zeitgleich in die Regionalliga schoss) setzte sich Jahn Regensburg wieder auf den 3. Platz – den Relegationsplatz. Mit Kampf, Willen und Leidenschaft kämpfte sich die Jahnelf unter Markus Weinzierl zurück. Da die gesamte Aufstiegskonkurrenz mit Burghausen, Heidenheim, Erfurt, Offenbach und Chemnitz patzte, fehlten dem SSV am letzten Spieltag nur noch ein einziges Pünktchen zum Erreichen der Relegation. Der vierte Platz (und damit der DFB-Pokal-Startplatz) war ihnen da schon nicht mehr zu nehmen. Und dieses Pünktchen holten sie sich auch. Mit einem 1:1 gegen Absteiger Carl Zeiss Jena, das ebenfalls mit dem Remis zufrieden war, sodass sich die Mannschaften eine Viertel Stunde lang nicht mehr großartig angriffen, sicherte sich der Jahn die nächste Sensation (nach dem Klassenerhalt): Die Relegetion! Gegener sollte der Karlsruher Sportclub werden.
Relegation: Schwaches Hinspiel – viele Aufreger
Wie standen die Chancen jetzt für einen Aufstieg? Mit dem KSC habe man den stärksten Gegner erwischt, die haben sogar Bundesligaaufsteiger Eintracht Frankfurt besiegt. Der Jahn habe keine Chance, so die allgegenwärtigen Kritiker. Aber die nutze der Jahn sprichwörtlich. Das Hinspiel im ausverkauften Jahnstadion endete 1:1 – nach einem schwachen Spiel beiderseits und einem schwachen Schiedsrichter, der in der ersten Hälfte ein glasklares Tor der Jahnelf verweigerte und in der zweiten Halbzeit dem SSV (als ausgleichende Gerechtigkeit praktisch) einen unberechtigten Elfmeter zusprach. Für die KSC-Anhänger Grund zur Empörung, für Elfmeterverursacher und Jahn-Urgestein Stefan Binder einfach nur "die wichtigeste Schwalbe meiner Karriere". Aber trotz des 1:1 sind wegen des KSC-Auswärtstores die Chancen für einen Jahnaufstieg eher gesunkten. Im Rückspiel hatte man im Wildpark anzutreten, wo der Bundesliga-16. die letzten vier Heimspile zu null gewonnen hatte. Wie sollte der Jahn da ein Tor erzielen oder gar gewinnen? Keine Chance, so die Jahnkritiker.
2:2 beim KSC – das "Wunder" Aufstieg ist perfekt!
Doch Markus Weinzierl hat seine Elf – wie immer in der Saison – perfekt eingestellt. Mit Regensburg trat ausgerechnet die auswärtsstärkste Mannschaft der Liga im Wildparkstadion an. Das Spiel, von Beginn an höherklassiger als das Hinspiel, sollte sich als eine Partie entwickeln, die nichts für schwache Nerven waren. In der 28. Minute ging dann er Außenseiter mit einem Tor der Marke "Tor des Monats" von Oliver Hein in Führung; zu diesem Zeitpunkt war der Jahn aufgestiegen. Der KSC sollte promt antworten, nur vier Minuten später der Ausgleich – und alles stand wieder bei Null. In der zweiten Halbzeit drehten die Hausherren vor knapp 25.000 Zuschauern dann sogar das Spiel, nach einer Ecke stand es 2:1 und die Karlsruher standen in Liga 2. Aber auch diese Führung sollte nicht lange bestand haben, zehn Minuten später ist Andre Laurito mit dem Kopf zur Stelle – 2:2 und Aufstieg Jahn. Nur: Es waren noch 25 Minuten zu spielen. Es sollte eine Zeit der KSC-Dauerangriffe werden, bis zum Schluss ging es nur auf das Jahntor. Aber mit Wille und Einsatzbereitschaft (und zwei Platzverweisen) gelang es dem SSV Jahn Regensburg bis zum Schluss das 2:2 zu halten. Der Aufstieg! In der Winterpause von Weinzierl noch als "Wunder" bezeichnet, wurde an jenem 14. Mai wahr. Nach 8 Jahren steht Regensburg wieder in der 2. Bundesliga. Und das, obwohl der Verein mit einem Etat von 1,5 Mio den geringsten der Liga zur Verfügung hatte! Geld schießt eben doch keine Tore.
Auf zum nächsten Wunder!
Am Mittwochabend feierte die Mannschaft am Regensburger Haidplatz vor über 2000 Menschen den Aufstieg, auch heute noch befindet sich die Stadt in permanenter Feierlaune. Aber es kommt viel Arbeit auf die Vereinsführung zu, die sensationelle Arbeit von Markus Weinzierl hat ihm jetzt einen Job in der 1. Bundesliga beschert – ein neuer Trainer muss her. Auch wird der ein oder andere Leistungsträger den Verein verlassen, mit wenig Geld muss erneut eine schlagkräftige Truppe zusammengestellt werden. Erneut mit nur wenig Geld – der Etat wird mit 3,5 Mio Euro wieder einer der geringsten der Liga sein. Und wieder sind sie da, die Kritiker, die dem Jahn einen sofortigen Abstieg ohne geringste Chance auf den Klassenerhalt prognostizieren. Der Klassenerhalt wäre ein erneutes Wunder. Aber: Was diese Saison geschafft wurde, kann auch nächste Saison gelingen! Die Vorzeichen sind die gleichen – nur eben eine Liga höher!
Foto: Regensburg1889.de