Strittige Szenen am 35. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die gelben Karten gegen Paul, ein Schubser von Kindsvater, die nicht gegebenen Elfmeter für Cottbus und Großaspach, der verwehrte Treffer für Münster, das Foulspiel von Ajani an Gehring und die nicht gegebenen Freistöße für Braunschweig und Rostock: Am 35. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de elf Szenen genauer angeschaut.

[box type="info"]Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 48-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf ist Rafati heute Mentalcoach für Profifußballer und Manager sowie ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).[/box]

Szene 1: Robert Paul (1860 München) geht im Strafraum bei einem Duell mit David Pisot (Karlsruher SC) zu Fall. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus nicht, stattdessen entscheidet sie auf Schwalbe und zeigt Paul Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:55]

Babak Rafati: Bei dieser Szene sieht man an der zögerlichen Reaktion der Schiedsrichterin zum Zeitpunkt des Pfiffs, dass sie selbst einmal beide Möglichkeiten mental im Kopf durchlaufen muss: Schwalbe oder Strafstoß? Wenn sie von ihrer Entscheidung überzeugt wäre, wäre sie in beiden Fällen sofort zum Tatort gelaufen.

Ob schlussendlich ein Kontakt von Pisot gegen Paul vorgelegen hat und dieser mögliche Kontakt gar für einen Strafstoß ausreichend ist, bleibt fraglich. In Situationen, bei denen man sich selbst nicht sicher ist – und das ist hier offensichtlich -, sollte man idealerweise einfach weiterspielen lassen. Von einer Fehlentscheidung kann aber auch nicht die Rede sein, eher taktisch unklug.

Szene 2: Einen Zweikampf von Paul mit Daniel Gordon (Karlsruher SC) wertet Steinhaus als Foul und zeigt Paul Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Paul kommt im gegnerischen Strafraum etwas aus dem Gleichgewicht und will dabei den Ball spielen, foult Gordon jedoch unbeabsichtigt im Fallen. Ob auch in dieser Aktion der Kontakt wirklich da ist, kann man nicht genau erkennen. Dennoch ist es eine Fehlentscheidung, in dieser Szene ein gelbwürdiges Foul auszulegen. Es liegt kein gelbwürdiges Foulspiel vor, vielmehr erfolgt eine unglückliche Aktion womöglich mit einem kleinen Kontakt. Wenn in der Szene zuvor – bei der ersten gelben Karte – der mögliche kleine Kontakt vom Verteidiger kein Foul gewesen sein soll, dann war dieser in dieser Szene vergleichbar. Somit wurde mit zweierlei Maß entschieden. Freistoßpfiff ohne Karte wäre die beste Entscheidung gewesen.

Szene 3: Nach einem Foul läuft Benjamin Kindsvater (1860 München) zu Marc Lorenz (Karlsruher SC) und schubst ihn und sieht Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:05:35]

Babak Rafati: Zunächst entscheidet die Schiedsrichterin nach einem taktischen Foulspiel von Lorenz zurecht auf Vorteil und als dieser nicht eintritt, entscheidet sie auf Freistoß für 1860 München und zeigt Lorenz richtigerweise die gelbe Karte. Als Lorenz sich zurück auf seine Position begeben will, kommt es zu einem weiteren Vorfall, da sich die Wege von Lorenz und Kindsvater kreuzen. Dabei geht Kindsvater auf Lorenz zu und bringt ihn mit einem Schubser zu Fall. Das ist aber keine Tätlichkeit und auch kein Schlagen, sodass eine rote Karte nicht in Frage kommt. Vielmehr liegt eine Undiszipliniertheit bzw. eine Unsportlichkeit, die völlig zurecht mit der gelben Karte belegt wird. Eine richtige Entscheidung.

 

Szene 4: Streli Mamba (Energie Cottbus) geht im Strafraum im Duell mit Bashkim Ajdini (VfL Osnabrück) zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Manuel Gräfe. [TV-Bilder – ab Minute 49:00]

Babak Rafati: Das ist ein lupenrein geführter Zweikampf, bei dem kein Foulspiel an Mamba vorliegt. Ajdini stört lediglich im Bereich des Erlaubten. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 5: Streli Mamba (Energie Cottbus) dringt in den Strafraum ein und geht im Duell mit Adam Susac (VfL Osnabrück) zu Boden. Gräfe zeigt Mamba für eine Schwalbe Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:09:55]

Babak Rafati: Der Schiedsrichter steht sehr gut und hat freie Sicht auf den Zweikampf im Osnabrücker Strafraum. Mamba sucht nur eine Gelegenheit und lässt sich ohne gegnerische Einwirkung spektakulär fallen. Das ist eine bilderbuchmäßige Schwalbe, sodass die gelbe Karte gegen Mamba die einzig richtige Entscheidung ist.

 

Szene 6: Einen Schuss von Marco Hingerl (Sonnenhof Großaspach) bekommt Jan Washausen (Hallescher FC) im Strafraum an die Hand. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Arne Aarnink nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]

Babak Rafati: Der Ball wird von Hingerl aus kurzer Entfernung an die Hand von Washausen geschossen. Washausen hat jedoch vorher den Arm weit über den Kopf ausgestreckt. Diese Armhaltung ist eine Vergrößerung der Körperfläche. Damit wird es nach der aktuellen Regelauslegung des DFB zum absichtlichen Handspiel, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen und keinen Strafstoß für Großaspach zu pfeifen.

Szene 7: Björn Jopek (Hallescher FC) bekommt einen Schuss von Marco Hingerl (Sonnenhof Großaspach) an die Hand. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]

Babak Rafati: Dieses Mal bekommt Jopek den Ball aus kurzer Entfernung von Hingerl gegen die Hand geschossen, dieses Mal ist die Hand bzw. der Arm in natürlichem Bewegungsablauf, sodass keine Absicht vorliegt. Daher liegt eine richtige Entscheidung vor, das Spiel weiterlaufen zu lassen, da kein strafbares Handspiel vorliegt.

Szene 8: Marvin Ajani (Hallescher FC) grätscht Kai Gehring (Sonnenhof Großaspach) um, sieht aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:47:50]

Babak Rafati: In dieser Szene läuft Ajani mit offener Sohle an und springt Gehring weit in der gegnerischen Hälfte unkontrolliert in die Beine und trifft ihn dabei am Knöchel. Das ist eine Gefährdung der Gesundheit des Gegenspielers und für diese brutale Spielweise kann es nur die rote Karte geben. Der Schiedsrichter hat den Vorgang sicherlich nicht so wahrgenommen.

Man muss auch die Verhältnismäßigkeit der persönlichen Strafen in dieser Szene kritisieren. Es kann nicht sein, dass der Torwart für das Herauslaufen zum Tatort die gleiche Karte sieht wie Ajani für das brutale Foul. Gelb gegen den Torwart ja, dann aber auch aber Rot gegen Ajani. Ursache und Wirkung wurden hier verfehlt. Eine Fehlentscheidung, Ajani für dieses brutale Foulspiel nur die gelbe Karte zu zeigen.

 

Szene 9: Nachdem Jasmin Fejzic (Eintracht Braunschweig) einen Schuss von René Klingenburg (Preußen Münster) nach vorne abprallen lässt, läuft Simon Scherder (Preußen Münster) zum Ball und bringt ihn im Tor unter. Schiedsrichter Pascal Müller entscheidet auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 59:00]

Babak Rafati: Beim Schuss von Klingenburg stehen mindestens vier Verteidiger (inklusive Torwart) näher zur eigenen Torlinie als Scherder, sodass deutlich keine Abseitsposition vorliegt. Vielleicht hat sich der Assistent, wenn er noch unerfahren ist, auf den Stürmer am zweiten Pfosten von ihm aus betrachtet fokussiert, der vielleicht hauchdünn im Abseits stehen könnte. Dieser greift aber überhaupt nicht in das Spielgeschehen ein. Eine Fehlentscheidung, diesen Treffer für Münster nicht anzuerkennen.

Szene 10: Fabian Menig (Preußen Münster) blockt eine Flanke von Leandro Putaro (Eintracht Braunschweig) mit der Brust/dem Arm. Es gibt Ecke statt Freistoß für Braunschweig. [TV-Bilder – ab Minute 1:24:35]

Babak Rafati: Nach einer Flanke von Putaro nimmt Menig den Arm heraus und spreizt ihn vom Körper ab, sodass er dann den Ball – mit Spannung im Arm – zur Ecke abwehrt. Das ist ein absichtliches Handspiel, denn der Arm geht klar zum Ball. Hier hätte es einen Freistoß für Braunschweig und zudem eine gelbe Karte gegen Menig geben müssen. Eine Fehlentscheidung, das Spiel mit einem Eckstoß fortzusetzen.

 

 

Szene 11: Einen Schuss von Cebio Soukou (Hansa Rostock) wehrt Adam Straith (Sportfreunde Lotte) mit der Hand/der Brust ab ab. Einen Freistoß gibt Schiedsrichter Nicolas Winter nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:42:00]

Babak Rafati: Der Schiedsrichter steht sehr gut und hat freien Blick auf Straith. Er sieht, dass Straith zwar den Arm herausfährt, aber den Ball mit der Brust abwehrt. Das kann man auch sehr gut daran erkennen, dass der Ball abprallt – typisch bei Brust – und nicht plötzlich herunterfällt – typisch bei Handspiel. Zudem gibt es überhaupt keine Proteste der Rostocker, was zumindest immer ein Indiz ist. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

[box type="info"]Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde[/box]

   

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