Lieberknecht: "Stecken eigentlich noch in der Vorbereitung"
Im Interview mit liga3-online.de ordnet Duisburgs Trainer Torsten Lieberknecht den Saisonstart seiner neu zusammengestellten Mannschaft ein, spricht über ein heißes Auswärtsspiel in Ingolstadt und welchen Spieler er lieber behalten hätte.
[box type="info"]"Gesunde selbstkritische Wahrnehmung"[/box]
liga3-online.de: Der MSV Duisburg startete mit einem klaren, verheißungsvollen 4:1-Auftaktsieg gegen die SG Sonnenhof Großaspach in die neue Saison. Ist das Team nach dem Radikal-Umbruch schon weiter als viele denken, Herr Lieberknecht?
Torsten Lieberknecht: Der Umgang der neuen Jungs miteinander gefällt mir wirklich gut. Ein Abstieg birgt immer eine gewisse Unruhe für die darauf folgende Vorbereitung. Daher freuen wir uns, dass wir in dieser kurzen Zeit ein paar Dinge installieren konnten, die sich schon gegen Großaspach gezeigt haben. Die Tore sind nach Mustern gefallen, wie wir sie uns im Training immer wieder erarbeiten. Dazu gegen einen unangenehmen Gegner, der im Vorjahr eine der stabilsten Defensivreihen hatte und noch einigen Teams Probleme machen wird. Und der vielleicht wichtigste Punkt: Es herrscht eine gesunde selbstkritische Wahrnehmung im Team.
Die folgende Partie beim hoch gehandelten Mitabsteiger FC Ingolstadt ist also der wahre Gradmesser für die Saison 2019/20?
Mit diesen Begriffen bin ich vorsichtig. Ingolstadt gehört vom Etat her klar zu den Aufstiegsfavoriten und spielt im klassischen Jeff Saibene-Style. Heißt: 4-4-2 mit langen Bällen und Stefan Kutschke als Zielspieler, gepaart mit spielerischer Qualität. Ob beim FCI aber schon am 2. Spieltag diese ganzen Automatismen greifen, ist eine andere Frage und für mich schwer abzuschätzen. Uns sehe ich – auch wenn es jetzt um Punkte geht – sogar noch ein Stück weit in der Vorbereitung. Gerade im konditionellen Bereich müssen wir uns für diese lange Saison noch einiges erarbeiten.
In wie weit beeinträchtigt die derzeitige Hitzewelle mit Rekord-Temperaturen von 40 Grad die Vorbereitung in dieser Woche?
Zu Wochenmitte gab es Überlegungen, dass Training auf den Vormittag zu legen. Anderseits müssen wir am Samstag in Ingolstadt auch um 14 Uhr ran. Und im Münchner Raum fühlen sich 30 ohnehin eher wie 40 Grad an. Deshalb haben wir uns entschieden, den gewohnten Rhythmus beizubehalten, aber die Intensität der Einheiten etwas zu senken.
Apropos Rekorde: 112.874 Zuschauer strömten zum Drittliga-Auftakt in die Stadien. Was an dieser Liga ist eigentlich noch drittklassig?
Die Liga strahlt mit ihren Traditionsvereinen einfach einen gewissen Reiz aus. In vielen anderen Ländern hätten diese Zuschauerzahlen Zweitliga-Format. Wer spannende Abwechslung vom ganz, ganz großen Fußball sucht, der sollte mal in der 3. Liga vorbeischauen – auch wenn das der MSV naturgemäß prinzipiell eher anders sieht (lacht).
Ist es deshalb auch leichter, gestandene Profis wie Marvin Compper für diese Liga zu gewinnen?
Es spielt eine Rolle. Unser Hauptargument war jedoch, einen Umbruch nicht nur zu begleiten, sondern mit ihm als Führungsspieler aktiv mitzugestalten. Marvin Compper will es sich jetzt noch mal selbst sportlich beweisen und hat totale Lust und Bock auf diese Aufgabe versprüht. Als Typ sehen wir ihn für den MSV in dieser Situation von unschätzbarem Wert – auch für die Zukunft.
Wenn sie im Gegenzug unter den 17 Abgängen einen Spieler hätten behalten dürfen. Wer wäre das und warum?
Fabian Schnellhardt! Einen solchen spiel- und charakterstarken Spieler hätten wir gerne beim MSV gehalten. Um weiter in der 2. Liga zu spielen, hat er sich für einen Wechsel zum SV Darmstadt 98 entschieden und wird dort seinen Weg machen. Im Endeffekt fiel unser Umbruch etwas größer aus als wir das vorhatten.
[box type="info"]"Schallplatten sind Leidenschaft pur"[/box]
Neben dem Fußball sind Sie als Musik-Freak bekannt, sammeln Schallplatten und spielen selbst Gitarre. Was wird im Hause Lieberknecht eigentlich nach einem Sieg aufgelegt?
Meine Sammlung hat schon beachtliche Maße angenommen. Momentan höre ich viel Blues-Rock, wobei meine Frau da immer auch noch ein Wörtchen mitzureden hat (lacht). Schallplatten sind für mich Leidenschaft pur – und diese Leidenschaft gehört auch zum Fußball. Bei uns in der Kabine ist das, was ich höre, allerdings eher weniger gefragt. Doch ich werde nicht müde, meine Leidenschaft miteinzubringen und den ein oder anderen jüngeren Spieler musikalisch zu bekehren (schmunzelt).
Als Trainer haben Sie mit den Abstiegen in Braunschweig und Duisburg die vielleicht schwersten Jahre ihrer Karriere hinter sich. Wann ist – unter diesen Gesichtspunkten – für Sie persönlich eine Saison jetzt eine gute Saison?
An dieser Stelle möchte ich zunächst betonen, wie extrem unterschiedlich diese beiden Abstiege waren. Uns hatte in Braunschweig am Ende der Saison 2017/18 ein Punkt gefehlt, nachdem wir im Vorjahr mit noch nie da gewesenen 66 Punkten in die Relegation mussten und nicht aufgestiegen sind. Viel mehr Tragik in zwei Jahren geht eigentlich nicht. Bittere Abstiege gehören zum Trainerdasein, ändern aber nichts daran, wie ich mich selbst als Trainer einschätze. Mit dem Wechsel nach Duisburg wollte ich einen Cut setzen und etwas neues anfangen. Ein Grundgedanke mit Ivo Grlic und den Verantwortlichen des MSV war aber – im Worst-Case – den Weg in die 3. Liga mitzugehen. Als Trainer bin ich jemand, der für das steht, was in Braunschweig viele Jahre für Erfolg sorgte: Kontinuierliche Aufbauarbeit, willige Teams zu formen, Spieler neben dem Liga-Alltag zu fördern. Trainer zu sein mit Visionen, der Werte und Identität schafft.