Strittige Szenen am 4. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Das 1:0 für Zwickau, die Foulspiele von Odabas, Jüllich und Undav, die nicht gegebenen Elfmeter für Jena, Meppen, Halle, Chemnitz, Braunschweig, der Platzverweis für Rohr, der verweigerte Handschlag von Schiedsrichter Bacher, das 2:1 für Magdeburg, der Tritt von Großkreutz, das 3:2 für Münster, der Strafstoß für Kaiserslautern und der nicht gegebene Treffer für Bayern II. Am 4. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 16 Szenen genauer angeschaut.
[box type="info"]Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 48-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf ist Rafati heute Mentalcoach für Profifußballer und Manager sowie ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).[/box]
Szene 1: Für ein vermeintliches Foul von Maximilian Rohr (Carl Zeiss Jena) an Elias Huth (FSV Zwickau) gibt es Freistoß für den FSV Zwickau. Anschließend geht Ronny König (FSV Zwickau) gegen Marius Grösch (Carl Zeiss Jena) zu Fall, Schiedsrichter Michael Bacher zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]
Babak Rafati: Rohr geht im Zweikampf zum Ball und spielt diesen deutlich, was man auch sehr gut an der Ballrichtungsveränderung sehen kann. Dabei kommt es überhaupt nicht zu einem Kontakt mit seinem Gegenspieler Huth, der zumindest strafbar wäre. Hier einen Freistoß zu geben ist eine Fehlentscheidung.
Bei der zweiten Aktion ist Grösch im eigenen Strafraum ein wenig mit den Armen an seinem Gegenspieler König dran. Dieser nimmt den leichten Kontakt dankend an und geht zu Boden. Diesen Strafstoß kann man pfeifen, muss man aber nicht. Wichtig für einen Schiedsrichter ist, zu wissen, dass heutzutage viele Spiele durch Standards entschieden werden. Daher ist bei Freistößen in Tornähe und bei Strafstößen besondere Aufmerksamkeit und Sensibilität gefordert. Dieser Strafstoß ist an sich eine vertretbare Entscheidung. Allerdings hätte er nicht passieren dürfen, wenn der unberechtigte Freistoß zuvor nicht gepfiffen wäre.
Szene 2: Ali Odabas (FSV Zwickau) springt in Tim Kircher (Carl Zeiss Jena) hinein, sieht aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:17:00]
Babak Rafati: Odabas geht in der Luft mit dem langen Bein gegen Kircher in den Zweikampf und spielt den Ball, trifft dabei natürlich auch seinen Gegenspieler. Da der Ball eindeutig Spielobjekt ist, dabei viel Ball gespielt und nur ein bisschen der Fuß getroffen wird, ist in dieser Szene die gelbe Karte absolut angemessen und somit eine richtige Entscheidung.
Szene 3: Im Strafraum wird Daniele Gabriele (Carl Zeiss Jena) von Davy Frick (FSV Zwickau) zu Fall gebracht, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:18:00]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Zwickau laufen Gabriele und Frick am Fünfmeterraum ins Leere und kommen anschließend zu Fall. Dabei ist alles sauber und ein Foulspiel nicht auszumachen. Daher eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 4: Maximilian Rohr (Carl Zeiss Jena) geht in einen Zweikampf mit Fabio Viteritti (FSV Zwickau) und sieht glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]
Babak Rafati: Bei diesem Abwehrversuch kurz vor dem eigenen Strafraum trifft Rohr bei einer Grätsche seinem Gegenspieler Viteritti mit dem rechten Fuß gegen dessen linken Fuß, bringt ihn dadurch aus der Balance und somit zu Fall. Bei diesem Kontakt liegt ein Foulspiel vor, wenn auch unspektakulär. Das liegt daran, dass der Angreifer sofort wieder aufsteht und versucht weiterzuspielen. Trotzdem liegt ein Foulspiel vor und dadurch, dass eine klare Torchance vereitelt wird, zieht die Notbremseregel und in der Konsequenz die rote Karte. Eine richtige Entscheidung. Sicherlich hätte der Schiedsrichter bei seiner Entscheidung besser ausgesehen, wenn Viteritti am Boden liegen geblieben wäre. Das kann man aber dem Schiedsrichter nicht vorwerfen, sondern vielmehr dem Angreifer für sein Verhalten zugutehalten.
Szene 5: Nach Spielende verweigert der Schiedsrichter Michael Bacher einigen Spielern des FC Carl Zeiss Jena den Handschlag. [TV-Bilder]
Babak Rafati: Unfassbar! Wir hören zwar nicht, was Günther-Schmidt dem Schiedsrichter in dieser Szene sagt. Aber unabhängig davon darf so etwas natürlich nicht passieren. Die beiden Assistenten machen es dagegen vorbildlich und geben dem Spieler die Hand. Natürlich kann es sein, dass die Spieler von Jena im laufenden Spiel dem Schiedsrichter einiges gesagt haben, was ihm missfallen hat. Aber nach dem Spiel gibt man sich die Hand und geht vernünftig auseinander. Das hat etwas mit Respekt und Anstand zu tun und ist mit nichts, was vorher passiert sein könnte, zu entschuldigen. Besser wäre es gewesen, sich die Hand zu geben und dabei die Meinung auf Augenhöhe und respektvoll mitzuteilen. Meinungen dürfen durchaus kontrovers sein. Diese Szene zeigt meines Erachtens auch unverkennbar die Defizite im Verhältnis zwischen den Schiedsrichtern und übrigen Beteiligten auf. Eine sehr negative Entwicklung im Profifußball, bei der unbedingt Handlungsbedarf besteht.
Szene 6: Deniz Undav (SV Meppen) foult Sirlord Conteh (1. FC Magdeburg), der sich dabei verletzt und ausgewechselt werden muss. Eine Karte sieht der Meppener von Schiedsrichter Wolfgang Haslberger nicht. [TV-Bilder – ab Minute 56:45]
Babak Rafati: Undav springt im Kampf um den Ball mit ausgestrecktem Bein in die Beine von Gegenspieler Conteh, trifft ihn auf Knöchelhöhe und verletzt ihn mit dieser Spielweise. Diese Aktion ist ein klares Foulspiel, was hätte geahndet werden müssen. Zudem hätte es für diese Aktion eine gelbe Karte geben müssen. Eine Fehlentscheidung weiterspielen zu lassen, zumal der Schiedsrichter eine gute Position zum Geschehen hatte.
Szene 7: Im Mittelfeld kommt es zu einem Zweikampf, bei dem ein Meppener zu Boden geht. Das Spiel läuft weiter und aus dem Angriff fällt das 2:1. Der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]
Babak Rafati: Dieses Mittelfeldduell ist sauber und regelkonform, auch wenn der Meppener Spieler zu Fall kommt. Er dreht sich selbst mit dem Rücken in den Gegner hinein und lässt sich anschließend fallen. Eine richtige Entscheidung, das Spiel nicht zu unterbrechen und den anschließenden Treffer für Magdeburg anzuerkennen.
Szene 8: Deniz Undav (SV Meppen) kommt im Strafraum gegen Thore Jacobsen (1. FC Magdeburg) zu Fall, einen Elfmeter gibt Haslberger nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:36:35]
Babak Rafati: Undav will im Strafraum von Magdeburg zum Ball gehen, doch der Magdeburger Verteidiger ist früher am Ball und klärt diesen. Danach trifft Undav den Verteidiger leicht an den Füßen. Hier liegt ein normales Foulspiel des Meppeners vor, was vom Schiedsrichter auch richtigerweise geahndet wird, jedoch ist die gelbe Karte nicht angebracht.
Szene 9: Kevin Großkreutz (KFC Uerdingen) tritt Dimitry Imbongo (Sonnenhof Großaspach) in die Wade. Eine Karte sieht er von Schiedsrichter Robert Hartmann nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:30]
Babak Rafati: Etwa zehn Meter Abseits vom Geschehen am eigenen Strafraum holt Großkreutz mit seinem Bein aus und tritt seinem Gegenspieler absichtlich von hinten in die Beine. Auch wenn er ihn womöglich nicht voll trifft, ist das eine unnötige Aktion, die nur mit der roten Karte geahndet werden kann, weil eine Tätlichkeit vorliegt. Dem Schiedsrichter kann man keinen Vorwurf machen, diesen Vorgang nicht gesehen zu haben, da er dem Spielgeschehen folgt und diese Szene außerhalb seines Blickwinkels stattfindet. Somit ein Fall für die Sportrichter. Trotzdem ist das eine Fehlentscheidung.
Szene 10: Nicolas Jüllich (Sonnenhof Großaspach) geht gegen Dennis Daube (KFC Uerdingen) in den Zweikampf. Während Daube verletzt vom Platz muss, sieht Jüllich keine Karte. [TV-Bilder – ab Minute 1:51:05]
Babak Rafati: Jüllich legt sich den Ball ein wenig zu weit vor, sodass Daube früher am Ball ist und diesen spielt. Daube wird hierbei im Zweikampf von Jüllich unglücklich am Knie getroffen und verletzt sich dadurch. Natürlich ist das ein Foulspiel, jedoch unbeabsichtigt und äußerst unglücklich, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, keine Karte für dieses Vergehen zu zeigen, auch wenn das Foul eine Verletzung und Auswechslung von Daube nach sich zieht.
Szene 11: Niklas Hoheneder (Chemnitzer FC) bringt Julian Guttau (Hallescher FC) im Strafraum zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Jonas Weickenmeier. [TV-Bilder – ab Minute 36:50]
Babak Rafati: Nachdem sich Guttau den Ball im Strafraum von Chemnitz an seinem Gegenspieler Hoheneder vorbei legt, orientiert sich der Verteidiger nur zum Angreifer, streckt seinen Hintern im Zweikampf deutlich heraus, hindert den Angreifer am Weiterlaufen und bringt ihn zu Fall. Das ist kein Stellen mehr, sondern ein klares Foulspiel – auch, wenn es sehr unspektakulär aussieht. Hier hätte es einen Strafstoß für Halle geben müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt.
Szene 12: Nach einer Hereingabe wird Philipp Sturm (Chemnitzer FC) von Sebastian Mai (Hallescher FC) zu Fall gebracht. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:32:00]
Babak Rafati: Sturm wird im Strafraum von Halle hoch angespielt. Dabei verschätzt sich Mai im Zweikampf, sodass er nicht mehr zum Ball kommt, sich stattdessen nur zum Angreifer orientiert, diesen kurz mit den Armen wegstößt und ihn dadurch zu Fall bringt. Das schlechte Stellungsspiel von Mai wird ihm zum Verhängnis, daher greift er zu diesem Mittel im Zweikampf und bringt Sturm regelwidrig zu Fall. Es hätte in dieser Szene einen Strafstoß für Chemnitz und eine gelbe Karte gegen Mai geben müssen. Gelb deshalb, weil Sturm zum Zeitpunkt des Foulspiels keine Ballkontrolle hatte und somit keine Verhinderung einer Torchance mit Rot zur Folge vorlag. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 13: Nach einem Freistoß für Preußen Münster fängt FCK-Keeper Lennart Grill den Ball, lässt ihn dann aber fallen und Münster trifft. Kaiserslautern reklamiert Foulspiel, Schiedsrichter Florian Heft gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]
Babak Rafati: Grill lässt den Ball einfach aus den Händen fallen und danach ist der Ball frei, sodass der Angreifer den Ball ins Tor einschieben kann. Hätte der Torwart die Hand am Ball, wäre das nach der Regel eine Ballkontrolle. Da das aber nicht vorlag, ist das Tor regelkonform und somit eine richtige Entscheidung, den Treffer für Münster anzuerkennen.
Szene 14: Nach einem weiten Pass von Janik Bachmann reklamiert Münster Abseits, das Spiel läuft weiter. Anschließend geht Florian Pick (1. FC Kaiserslautern) gegen Simon Scherder (Preußen Münster) im Strafraum zu Fall. Elfmeter für den FCK. [TV-Bilder – ab Minute 1:20:55]
Babak Rafati: Scherder kommt beim Abwehrversuch im eigenen Strafraum einen Moment zu spät, stellt sein Bein heraus, trifft Pick nur noch mit dem Knie an dessen Knie und bringt ihn dadurch klar zu Fall. Eine richtige Entscheidung, Strafstoß für Kaiserslautern zu geben.
Szene 15: Marvin Compper (MSV Duisburg) klammert im Strafraum gegen Orhan Ademi (Eintracht Braunschweig) und bringt ihn dabei zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Dr. Robert Kampka. [TV-Bilder – ab Minute 1:34:55]
Babak Rafati: Bei diesem Duell im Strafraum von Duisburg hat Compper seine Arme am Körper von Ademi dran, beide stehen mit dem Rücken zum Tor. Ademi wiederum verlagert sein gesamtes Körpergewicht nach hinten, sodass kein Klammern vom Verteidiger vorliegt, vielmehr wehrt sich dieser und sucht Halt. Diese Art von Zweikampfführung ist regelkonform und nicht strafbar, auch wenn Ademi es zum Anlass nimmt, diesen Kontakt für sich zu nutzen und zu Fall zu kommen. Eine richtige Entscheidung, diesen Zweikampf laufen zu lassen und keinen Strafstoß für Braunschweig zu pfeifen.
Wenn da nicht die Szene zwei Minuten zuvor gewesen wäre, bei der Braunschweigs Becker gegen Sliskovic kurz vor dem eigenen Strafraum ähnlich zu Werke gegangen ist und der Schiedsrichter Foulspiel für Duisburg gepfiffen hat. Wenn man von einer einheitlichen Regelauslegung spricht, hätte in beiden Situationen gleichermaßen beurteilt werden müssen und somit hätte der Schiedsrichter entweder beide Male pfeifen oder beide Male nicht pfeifen müssen. Zusammenfassend muss man sagen, dass sich der Schiedsrichter bei einer derartigen Zweikampfanwendung zwei Minuten zuvor ankreiden lassen muss, auch diesen Zweikampf im Duisburger Strafstoß hätte pfeifen und auf Strafstoß für Braunschweig entscheiden müssen.
Szene 16: Ein Schuss von Timo Kern (Bayern II) landet knapp hinter der Torlinie, dennoch gibt Schiedsrichter Florian Lechner den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]
Babak Rafati: Der Ball gelangt nach einem Schuss von Kern mit vollem Umfang knapp hinter der Torlinie, aber das Schiedsrichtergespann sieht es nicht. In der 3. Liga gibt es keine Tortechnologie wie in der Bundesliga, sodass es schwierig ist, solche Szenen mit bloßem Auge bei der entsprechenden Schnelligkeit und dem verzerrtem Blickwinkel wahrzunehmen. Trotzdem eine Fehlentscheidung, diesen Treffer für die Bayern nicht zu geben.
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