Strittige Szenen am 6. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die gelbe Karte für Vollmann, der zweite Elfmeter für Ingolstadt, das Foulspiel von Mbom an Litka, die nicht gegebenen Elfmeter für Münster, Meppen und Großaspach, das Foulspiel von Lukimya an Dadashov, das 1:2 für Duisburg, der Strafstoß für Zwickau, das 1:0 für Meppen, das 2:0 für Köln und der nicht gegebene Treffer für Halle. Am 6. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf Szenen genauer angeschaut.
[box type="info"]Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 48-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf ist Rafati heute Mentalcoach für Profifußballer und Manager sowie ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).[/box]
Szene 1: Nach einem Freistoß für Ingolstadt soll Korbinian Vollmann (Hansa Rostock) den Ball mit der Hand berührt haben – er sieht von Schiedsrichter Asmir Osmanagic Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 55:05]
Babak Rafati: Nach einem Freistoß springt Vollmann in der Mauer hoch und wehrt den Ball seitlich mit dem Arm ab. Er zeigt es dem Schiedsrichter gestikulierend auch an, dass der Arm dran war. Auch wenn er damit signalisieren will, dass der Arm angelegt war und unabsichtlich eingesetzt wurde, ist gut zu sehen, dass er zunächst einmal hochspringt und anschließend aktiv mit dem Arm zum Ball geht. Das ist Absicht und zudem unsportlich. Folglich sind der Freistoßpfiff und die gelbe Karte gegen Vollmann eine richtige Entscheidung.
Szene 2: Stefan Kutschke (FC Ingolstadt) holt zum Schuss aus und bringt den Ball auf das Tor, direkt danach wird er von Sven Sonnenberg (Hansa Rostock) am Beim getroffen und zu Fall gebracht. Elfmeter für Ingolstadt, entscheidet Osmanagic. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]
Babak Rafati: Auch wenn Kutschke den Ball bereits gespielt hat und das Foulspiel durch Sonnenberg erst in unmittelbarem Anschluss passiert, ist das ein Foul. Der Schiedsrichter wartet zunächst kurz den möglichen Vorteil ab und entscheidet dann völlig zu Recht auf Strafstoß für Ingolstadt. Hier wäre allerdings wegen brutalem Spiel zwingend eine rote Karte gegen Sonnenberg vorgeschrieben. Durch das Foulspiel mit gestrecktem Bein gegen das Knie nimmt er eine Gefährdung der Gesundheit des Gegenspielers billigend in Kauf.
Szene 3: Maurice Litka (SC Preußen Münster) ist frei durch und wird von Jean-Manuel Mbom (KFC Uerdingen) rüde zu Fall gebracht. Mbom sieht von Schiedsrichter Dr. Robert Kampka nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:39:10]
Babak Rafati: Litka wird nach einem packenden Laufduell auf Höhe der Mittellinie, nachdem er Mbom überlaufen hat, brutal und grob von den Beinen geholt, indem er ihm mit voller Dynamik und einem langen Bein in die Füße tritt. Diese Attacke gilt nur dem Gegenspieler, sodass der Ball klar erkenntlich nicht mehr Spielobjekt ist. Das ist nicht mehr der Kategorie "taktisches Foulspiel" zuzuordnen und auch keine Notbremse (da an der Mittellinie), sondern vielmehr durch die Intensität aus vollem Lauf und mit gestrecktem Bein ein brutales Foulspiel.
Die Gefährdung der Gesundheit des Gegenspielers wird billigend in Kauf genommen. Hier gibt es keine zwei Meinungen. Das ist glatt Rot. In der Schiedsrichtersprache spricht man von einem "Geschenk". Grimaldi bekommt auch Gelb, wegen des Schubsers bei der Rudelbildung. Das ist angemessen. Aber spätestens hier muss sich ein Schiedsrichter die Verursacherprinzip-Frage stellen, zu einem anderen, differenziertem Ergebnis kommen und für das grobe Foulspiel, was die Rudelbildung auslöst, Rot zeigen. Eine Fehlentscheidung, es nur bei Gelb zu belassen.
Szene 4: Im Strafraum wird Seref Özkan (Preußen Münster) von Alexander Bittroff (KFC Uerdingen) zu Fall gebracht, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:42:10]
Babak Rafati: Beim Zweikampf im Strafraum von Uerdingen läuft Özkan zum Ball und wird durch seinen Gegenspieler Bittroff, der ihm im Laufduell folgt, überhaupt nicht getroffen. Vielmehr kommt er aus unerklärlichen Gründen zu Fall. Weiterspielen ist die einzig richtige Entscheidung.
Szene 5: Nach einem Foul an Rufat Dadashov (Preußen Münster) tritt ihm Assani Lukimya (KFC Uerdingen) auf die Waden. Konsequenzen hat die Szene nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:49:55]
Babak Rafati: Bei diesem Duell im Mittelfeld wird Dadashov von Lukimya gefoult und dadurch zu Fall gebracht. Dafür sieht er die gelbe Karte. Bei der anschließenden Szene, in der Lukimya im Bewegungsablauf nicht mehr ausweichen kann und seinem am Boden liegenden Gegenspieler Dadashov auf die Wade tritt, kann man ihm keine Absicht unterstellen. Daher ist die Entscheidung richtig, diese Szene ungeahndet zu lassen.
Szene 6: Mannheim-Keeper Markus Scholz will einen eigentlich zu langen Pass für Moritz Stoppelkamp abfangen, verletzt sich beim Rauslaufen aber ohne Fremdeinwirkung am Knie und kommt zu Fall. Stoppelkamp läuft an dem am Boden liegenden Scholz vorbei und erzielt den Anschlusstreffer zum 2:1. Schiedsrichter Harm Osmers gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]
Babak Rafati: Stoppelkamp läuft am Strafraum am Torwart vorbei, der sich ohne gegnerische Einwirkung verletzt, und erzielt unmittelbar danach ein Tor. Dabei bekommt er zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht mit, dass sich der Torwart beim Klärungsversuch verletzt hat, da sich dieser mittlerweile hinter ihm am Boden wälzt.
Auch der Schiedsrichter handelt absolut regelkonform. Er muss erst zweifelsfrei davon überzeugt sein, dass sich ein Spieler ernsthaft verletzt hat, um das Spiel unterbrechen zu können. Das konnte er erst im Anschluss an die Aktion – nach der Torerzielung – tun, sodass niemandem im Ansatz ein Vorwurf gemacht werden kann. Regeltechnisch wie auch moralisch. Eine richtige Entscheidung, das Spiel zunächst einmal nicht zu unterbrechen, den Treffer durch Stoppelkamp für Duisburg anzuerkennen und die Behandlung von Keeper Scholz im Anschluss in der Spielruhe nach Vergewisserung der Verletzung des Torhüters zuzulassen.
Szene 7: Nach einem Zusammenprall zwischen Lennart Grill (1. FC Kaiserslautern) und Elias Huth (FSV Zwickau) entscheidet Schiedsrichter Lasse Koslowski auf Elfmeter für Zwickau. [TV-Bilder – ab Minute 2:20]
Babak Rafati: Nach einer langen Flanke in den Strafraum von Kaiserslautern geht Torwart Grill am Fünfmeterraum zum Ball und klärt diesen klar und deutlich, indem er diesen vor Huth wegfaustet. Diese Spielweise ist nur ballorientiert und somit absolut regelkonform. Kurz danach kommt es im Bewegungsablauf zu einem unglücklichen Zusammenprall zwischen Grill und Huth, wofür niemand etwas kann. Ein fußballtypischer Vorgang. In dieser Szene einen Strafstoß für Zwickau zu verhängen, ist eine klare Fehlentscheidung, da noch nicht einmal im Ansatz ein Foulspiel vorgelegen hat.
Szene 8: Nach einem Schuss von Marco Komenda (SV Meppen) fordert der SV Meppen Elfmeter, nachdem ein Jenaer den Ball an die Hand bekommen haben soll. Schiedsrichter Tobias Schultes pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 23:30]
Babak Rafati: Bei der Flanke von Komenda vergrößert ein Jenaer Verteidiger seine Körperfläche und nimmt den Arm heraus. Er blockt somit den Ball, verhindert eine Flanke vor das eigene Tor und wehrt diesen zur Ecke ab. Da hat die Hand nichts zu suchen. Zudem ist diese Spielweise mittlerweile für die Spieler natürlich, aber nach der Regel ist die Handhaltung unnatürlich. Daher hätte es in dieser Szene einen Strafstoß für Meppen und eine gelbe Karte gegen den Verteidiger von Jena geben müssen. Somit eine Fehlentscheidung.
Szene 9: Bei einem Pass von René Guder auf Valdet Rama reklamiert Jena Abseits. Das Spiel läuft weiter und aus dem Angriff fällt das 1:0 für Meppen. [TV-Bilder – ab Minute 1:50]
Babak Rafati: In der Mitte hebt ein Verteidiger von Jena die Abseitsposition von Rama auf, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, das Spiel weiterlaufen zu lassen und den anschließenden Treffer für Meppen anzuerkennen. Wäre der Ball zu dem Angreifer gekommen, der in der Nähe des Verteidigers steht, hätte eine Abseitsposition vorgelegen. Aber in diesem Fall greift er nicht in das Spielgeschehen ein. Gut, dass der Assistent eine perfekte Position eingenommen hat, um die Szene zweifelsfrei erkennen und beurteilen zu können.
Szene 10: Dominik Lanius (Viktoria Köln) bringt Kai Brünker (Sonnenhof Großaspach) im Strafraum zu Fall, Schiedsrichter Johann Pfeifer lässt das Spiel weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:00]
Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum von Köln läuft Brünker zum Ball und wird von Lanius regelwidrig durch einen Tritt in die Beine zu Fall gebracht. Der Ball wird dabei überhaupt nicht gespielt, was man auch an der Flugbahn des Balls, die sich nicht ändert, sehr gut erkennen kann. Der Schiedsrichter steht aber etwas weit vom Geschehen entfernt, sodass er den Vorgang nicht erfasst. Gerade im Brennpunkt Strafraum müssen die Schiedsrichter durch Sprint dorthin die Nähe suchen, um den genauen Vorgang beobachten zu können. In dieser Szene hätte es natürlich einen Strafstoß für Großaspach geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu pfeifen.
Szene 11: Im Strafraum setzt sich Simon Handle (Viktoria Köln) gegen Dominik Bösl (Sonnenhof Großaspach) durch und trifft. Großaspach reklamiert Foul, der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]
Babak Rafati: Bei dieser Aktion im eigenen Strafraum ist Bösl im Zweikampf mit Handle einfach zu nachlässig und kommt ohne dessen Verschulden zu Fall. Im Oberkörperbereich ist alles sauber und regelkonform, unten im Fußbereich spielt Handle nur den Ball. Bösl kommt anschließend nur alibimäßig zu Fall. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und den Treffer für Köln anzuerkennen.
Szene 12: Niklas Landgraf (Hallescher FC) zieht aus der Distanz ab, Haching-Torhüter Nico Mantl blockt den Ball nach vorne. Felix Drinkuth verwandelt den Nachschuss. Das Gespann um Schiedsrichter Thorben Siewer entscheidet auf Abseits. [TV-Bilder – ab Minute 52:00]
Babak Rafati: Ob Drinkuth zum Zeitpunkt des Schusses von Mitspieler Landgraf auf das Hachinger Tor im Abseits steht oder nicht, lässt sich mit den vorliegenden Video-Sequenzen nicht zweifelsfrei auflösen, daher kann die Szene nicht bewertet werden.