Ermittlungen im Fall Hannes wieder aufgenommen
Überraschende Kehrtwende im Fall Hannes: Knapp drei Jahre nach der Einstellung der Ermittlungen sind sie nun wieder aufgenommen werden. Das wurde am Mittwochabend im RTL-Magazin "stern TV" bekannt. Ob auch das Verfahren wieder aufgenommen wird, ist aber noch offen.
Weitere Zeugin vernommen
Schon dreieinhalb Jahre liegt der Tod von FCM-Fan Hannes, der im Oktober 2016 aus einem fahrenden Zug gestürzt war und anschließend seinen schweren Kopfverletzungen erlag, zurück. Damit abgeschlossen haben die Hinterbliebenen bislang nicht – vor allem, weil die genauen Umstände des Unglücks nach wie vor nicht geklärt sind. Nun scheint wieder Bewegung in die Angelegenheit zu kommen: "Die Ermittlungen sind offiziell wieder aufgenommen", sagte Heinz-Peter Günther, Fachanwalt für Strafrecht und Anwalt der Eltern Horst und Silke Schindler, am Mittwochabend bei "stern TV" (Die Ausgabe in der Mediathek). Hintergrund ist die Vernehmung einer unabhängigen Zeugin, die bisher trotz ihrer eindringlichen Bitte nicht gehört worden war. "Ob sich aus der Aussage der Zeugin tatsächlich neue Ermittlungsansätze herleiten lassen, bleibt abzuwarten", erklärt Oberstaatsanwalt Frank Baumgarten gegenüber der "Mitteldeutschen Zeitung". Demnach sei das Verfahren noch nicht wieder aufgenommen werden.
Im Rahmen des RTL-Magazins erklärte die Zeugin, die aus Angst von den Tätern anonym bleiben möchte, was im Zug kurz nach der Abfahrt vom Bahnhof Haldensleben aus ihrer Sicht passiert ist: "Wir haben nur mitbekommen, dass die gerufen haben: 'Jetzt geht’s los, jetzt geht’s los' und dann alle aufgesprungen und nach vorne gerannt sind. Dann müssen mehrere Personen auf eine Person eingetreten und eingeschlagen haben. Mein Freund ist aufgestanden und meinte: 'Mensch, das muss doch nicht sein.' Einer kam zurück, hat sich in den Gang gestellt und sagte: 'Du setzt dich mal lieber hin und hältst dich raus, weil ansonsten bist du der nächste." Einer der mutmaßlichen Täter soll laut der Zeugin einen Schlagring in der Hand gehabt haben. "Auf einmal ging dann die Tür auf, Tür zu und der Zug fuhr in der Zeit einfach weiter. Danach war es mucksmäuschenstill". Ob Hannes gesprungen sei, habe sie allerdings nicht erkennen können.
Vorwürfe an die Staatsanwaltschaft
Bereits kurz nach dem Vorfall habe sie sich bei der Polizei gemeldet und darum gebeten, eine Aussage machen zu können. Zudem habe sie betont, möglicherweise Personen auf Videoaufnahmen wiedererkennen zu können. Für die Aussage sei sie auf das Revier nach Magdeburg gebeten worden. Der Bitte, aufgrund der Entfernung das Verhör in einer lokalen Polizeistelle abgeben zu können, sei seitens der Polizei jedoch nicht stattgegeben worden. Mit den Worten "Wer nicht will, der hat schon" soll sie abgewimmelt worden sein. "Als wollte man meine Aussage gar nicht, als wäre das nicht wichtig", sagte sie im Telefon-Gespräch entsetzt.
Dass sie ihre Aussage nicht machen konnte, bezeichnet Anwalt Günther als "Frechheit ohne Ende". Zwar habe sie zwei pflichtgemäße Einladungen der Polizei unbeantwortet gelassen, zu einer Einladung durch die Staatsanwaltschaft sei es jedoch gar nicht erst gekommen. "Die Staatsanwaltschaft muss sich vorwerfen lassen, dass sie die gesamte Angelegenheit nicht ordnungsgemäß ausermittelt hat", kritisiert der Anwalt der Familie. "Die Zeugin hätte gehört werden müssen, zudem hätte ein DNA-Abgleich mit den Beschuldigten und der Kleidung von Hannes stattfinden müssen."
Zweifel am Hergang
Die Staatsanwaltschaft Naumburg jedoch stellte die Ermittlungen bereits im März 2017 ein, "weil ein hinreichender Tatverdacht gegen niemanden bestand", wie es in der offiziellen Erklärung hieß. Die 80 HFC-Ultras, die mit Hannes im Zug waren, machten von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch und äußerten sich bislang nicht. Letztlich kam die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis, dass der damals 25-Jährige die Notöffnung des Zuges aus Panik selbst geöffnet hatte und dann gesprungen sei.
Eine Darstellung, an der Heinz-Peter Günther erhebliche Zweifel hat: "Wenn man freiwillig springt, dann so, dass man mit den Füßen landet. Allerdings wurden keinerlei Prellungen oder Schürfungen an den Füßen, im Lendenwirbel-Bereich oder der Haut festgestellt." Auch die Kleidung sei ohne Abschürfungen gewesen. "Diese Tatsachen stehen im Widerspruch zu der Behauptung, er sei freiwillig gesprungen", machte Günther klar.
Auch der Obduktionsbericht lässt Zweifel an der Darstellung der Staatsanwaltschaft – darin heißt es: "Hinsichtlich der Lokalisation ist aus rechtsmedizinischer Sicht jedoch an einen Tritt und/oder Schlag gegen den unteren Rücken zu denken. Auszuschließen ist nicht, dass dieser zum Sturz aus dem Zug nach Öffnung der Tür führte." Auch die Kopfverletzung sei nicht Folge eines "üblichen Sturzgeschehens" entstanden. "Sowohl eine Beschleunigung des Körpers infolge eines Trittes/Schlages gegen den Rücken als auch ein Schubsen (…) ist geeinigt, den Kopfübersturz zu erklären." Viele Ungereimtheiten also.
"Steht endlich zu Eurer Tat"
Dabei geht es Hannes' Eltern nur um eins: "Wir wollen endlich Gerechtigkeit, Aufklärung und unseren Frieden finden." Zuletzt sammelten sie Geld, um eine Belohnung für Hinweis zu den Tätern aussetzen zu können. An die HFC-Fans, die zum Zeitpunkt des Unglücks im Zug waren, appellierte Hannes' Mutter bei "Stern TV": "Steht endlich zu Eurer Tat. Macht den Mund auf." Ob die Aussage der unabhängigen Zeugin, die in Kürze offiziell vernommen werden soll, nun entscheidende Erkenntnisse bringt, werden die nächsten Wochen zeigen. Video-Aufnahmen scheint es nicht zu geben, da die Kameras im Waggon abgeklebt wurden. Aus der Fanszene des Halleschen FC sei indes niemand für ein Gespräch bereit gewesen, heiß es im Beitrag bei "stern TV". Zuvor hatte der Sender beim Verein und beim Fanprojekt angefragt.