Ex-Drittliga-Profis: Was macht eigentlich Marcel Reichwein?

Einst ballerte er sich selbst zum besten Drittliga-Torschützen und Rot-Weiß Erfurt fast bis in die 2. Bundesliga. Es folgten viele weitere Stationen in Fußball-Deutschland – heute ist Marcel Reichwein mit nunmehr 34 Jahren auf die Zielgerade seiner Karriere eingebogen. Wir zeigen den Weg des im Westerwald aufgewachsenen Mittelstürmers.

Beste Zeit in Erfurt

149 Tore stehen in seiner Vita. 467 Spiele hat er dafür benötigt. Es ist kein überragender, aber doch respektabler Wert für einen Vollblutstürmer wie Marcel Reichwein. Die Statistik ist ehrlich, sie kann nicht beschönigt werden – tatsächlich hatte die Karriere des in Hadamar geborenen und im Westerwald fußballerisch sozialisierten späteren Zweit- und Drittligakickers ihre Höhen und Tiefen.  Als Dreikäsehoch trat er in seinen ersten Verein ein, die Sportfreunde Eisbachtal. Mit 15 Jahren erspähten ihn Scouts von Bayer Leverkusen und lockten Reichwein in die Jugendakademie der Werkself. Reichwein wurde zur viel beobachteten Nachwuchshoffnung: 35 Tore gelangen ihm in seinen beiden A-Junioren-Jahren für die Bundesliga-Talente von Bayer 04. Dort begann 2005 schließlich auch die Karriere im Seniorenbereich – allerdings lediglich in der damals drittklassigen Regionalliga-Reserve.

Zunächst ereilt Marcel Reichwein ein Schicksal zahlreicher Juniorenspieler: Der Übergang in den "Erwachsenenfußball" ist holprig. Der Stürmer will mehr, als in der Bayer-Reserve zwischen Bank und erster Elf zu pendeln. Er geht 2006 zum Wuppertaler SV, dort wird alles noch frustrierender: Nur zwölfmal spielt der Offensive für die erste Mannschaft des WSV, wird im zweiten Vertragsjahr an die Kickers Emden ausgeliehen. Ein wichtiger Schritt: Zum ersten Mal weit weg von der Heimat, blüht er in der zweiten Saisonhälfte auf, erkämpft sich einen Platz in der Stammelf, schießt respektable zehn Tore. Im Sommer 2008 geht es zurück nach Wuppertal, die Regionalliga Nord heißt jetzt 3. Liga, die Qualität ist gestiegen. Aber Reichwein spielt quasi immer von Anfang an. Er arbeitet viel, ist anfangs auch torgefährlich. Ab Mitte November gelingt ihm aber nur noch ein Tor in 22 (!) Einsätzen. Durchaus überraschend ist, dass er nach der Saison in die 2. Bundesliga zu Rot Weiss Ahlen geht.

Zwischen 2010 und 2012 lief Reichwein für Rot-Weiß Erfurt in der 3. Liga auf, auch dank ihm erlebte der bald fünftklassige Verein aus Thüringen seine besten Jahre in dieser Spielklasse: 2010/11 wurde RWE Fünfter, es fehlten lediglich vier Zähler auf Relegationsrang 3. Bis auf eine Gelbsperre verpasste Reichwein, mit 25 Jahren im allerbesten Fußballeralter, kein einziges Spiel, traf zwölfmal und legte zehn weitere Tore auf. Reichwein wurde zum Vorbild eines Allround-Stürmers: Er hatte mit 190 Zentimetern Gardemaß, um kopfballstark, aber nicht unbeweglich zu sein. Zudem bewies er das Auge für Mitspieler, konnte Bälle abschirmen – das weckte Begehrlichkeiten. Im Jahr darauf wiederholte Erfurt nicht nur seine Platzierung, diesmal fehlten gar nur zwei Punkte zum dritten Rang, sondern auch Reichwein seine Scorerbilanz: 22 Torbeteiligungen schlüsselten sich diesmal allerdings in satte 17 Treffer und fünf Vorlagen auf. Am 17. März 2012 gelingt ihm gegen den späteren Aufsteiger Sandhausen ein seltenes Kunststück: Beim 4:2-Heimsieg erzielt Reichwein alle vier RWE-Tore. Spätestens jetzt ist klar: Dieser Spieler wird bald wieder Zweitliga-Angebote bekommen.

Schleichend geht es abwärts

Zweimal versucht sich Marcel Reichwein in der zweiten Liga, spätestens nach dem zweiten Anlauf schreiben ihm viele Fußballkenner lediglich starke Qualität für die 3. Liga zu. So endet der Wechsel nach Ahlen im Sommer 2009 in einem halbjährigen Intermezzo: Schon im Winter wird Reichwein zurück in die Drittklassigkeit verliehen, statt Westfalen zieht es den Angreifer nach Ostbayern zu Jahn Regensburg. Mit 26 Jahren geht es nach erfolgreichen Zeit in Erfurt an den zweiten Versuch, als der VfR Aalen 2012 das Rennen um ihn gewinnt. Sieben Tore schafft Reichwein in 50 Spielen, im zweiten Vertragsjahr ist er vorrangig Joker. Das Ende seiner Zweitliga-Laufbahn erlebt der Profi zwischen Ersatzbank und Tribüne.

In Drittligist Preußen Münster ist schnell ein neuer Klub gefunden, der sich viel vom Stürmer verspricht – und Reichwein liefert mit sieben Toren in den ersten zehn Spielen ab, die Adlerträger spielen um den Aufstieg. Doch mit der Ladehemmung im zweiten Halbjahr – am Ende trifft Reichwein "nur" elfmal in jener Saison – nimmt die Kritik der Fans zu, der Stürmer hat beim erwartungshungrigen Publikum an der Hammer Straße keinen leichten Stand. Sarkastisch nimmt das Publikum Spiel für Spiel die Auswechslung von Reichwein für den Niederländer Rogier Krohne zur Kenntnis, der stets zwischen der 66. und 72. Minute eingewechselt wird. Im zweiten Jahr spielt Reichwein seltener, seine einstige Startelfgarantie ist nicht mehr – mit nur noch sieben Toren erfüllt er die Hoffnungen des Klubs nicht, obgleich er erneut kaderintern bester Torschütze ist. Eine 2:3-Niederlage gegen Dynamo Dresden wird im Mai 2016 zum letzten von 193 Drittliga-Einsätzen.

Dreimal Regionalliga, einmal Oberliga

Bis heute ist Marcel Reichwein einer der wechselfreudigsten Spieler Deutschlands geblieben, ohne dass er dabei einmal die Landesgrenzen überschritt. 2016 ging es zum VfL Wolfsburg II (17 Tore in 31 Spielen), 2017 zum KFC Uerdingen (fünf Tore in 25 Spielen), im Winter 2019 zum TSV Steinbach (kein Tor in elf Spielen) – drei Regionalliga-Staffeln in drei Jahren. Kurios: Mit Uerdingen feierte Reichwein den ersten Aufstieg seiner Profi-Karriere, kam nochmals zurück in die 3. Liga. Da der KFC aber im Sommer 2018 unter der bekannten Durchmarsch-Prämisse mit Geld von Investor Mikhail Ponomarev üppig einkaufte, stellte ihn der Klub noch im gleichen Sommer frei. Heute kickt Reichwein für den Holzwickeder SC in der Oberliga, ab kommender Saison hat ihn Kevin Großkreutz mit seinem Amateurverein Türkspor Dortmund für die Bezirksliga unter Vertrag genommen.

Kurzum: Marcel Reichweins Karriere endet, wie sie begonnen hat. Dreizehnmal wechselte er den Arbeitgeber, spielte im Norden, Osten, Süden und Westen Deutschlands und durfte sich im DFB-Pokal für Münster sogar einst mit dem FC Bayern München messen. Seine Laufbahn hat Ecken und Kanten – langweilig aber wurde dem 34-Jährigen nie. Heute lebt er in Dortmund mit Frau Anja und zwei Kindern.

 

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