Zwischenbilanz zur Saison 2020/21: Was überrascht, was fehlt
Gut ein Drittel der Drittliga-Saison können wir zu den Akten legen, binnen zweieinhalb Monaten sind wir ohne Erholungspausen von Spiel zu Spiel gerauscht. Was macht diese Spielzeit bislang aus, wer drückt ihr den Stempel auf und was können wir noch erwarten? Eine Übersicht und ein Ausblick.
Verzerrte Tabelle
Das Klassement weckt Erinnerungen an die harten Winter vor zehn Jahren, als viele Klubs noch keine Rasenheizung hatten und entsprechend viel Improvisationskunst mitgebracht werden musste – die Nachholspiele zogen sich teils bis weit ins Frühjahr hinein. Diesmal braucht es nicht einmal widrige Platzbedingungen, der Grund für Spielabsagen ist aber doch immer der Gleiche: Corona. Viele Vereine haben schon kleinere oder größere Ausbrüche durch, die meisten Zusatzspiele in der Hinterhand hat derzeit der SV Meppen, der noch dreimal extra antreten muss und durch eine längere Zwangspause bis auf den letzten Platz abgerutscht ist. Nur wenige Vereine, zum Beispiel 1860 München, Uerdingen und Dresden, sind bislang noch komplett verschont geblieben von solchen meist kurzfristigen Absagen, derer es bislang schon 13 gab.
Bockstarke Aufsteiger
Wenn wir Überraschungen aufzählen, könnten wir alle vier Aufsteiger nennen. Allen anderen die Show gestohlen hat bislang der 1. FC Saarbrücken. Auch wenn dieser zuletzt mit einigen Unentschieden seinen Vorsprung an der Spitze eingebüßt hat, so thront er noch weiter vor allen anderen – eine Spitzenleistung selbst für einen so stark eingeschätzten Neuling wie den FCS. Nicht minder zu würdigen ist das, was der SC Verl mit seinen wenigen Mitteln bislang auf den Platz gebracht hat: Mit 20 Punkten auf Rang 5 platziert, haben die Ostwestfalen ja sogar noch gegenüber allen vor ihnen Platzierten zwei Spiele in der Hinterhand – gar nicht mal unrealistisch, dass der SCV sich noch weiter vorschiebt. Sogar die Tabellenführung ist möglich.
Würde Türkgücü München nicht so oft die Punkte teilen, wären sie wohl auch weiter vorn als auf Platz 8: Der Aufsteiger aus Bayern hat als einziger Drittligist erst ein Spiel verloren. Und der VfB Lübeck, immerhin auf Rang 13, legte zuletzt eine fulminante Serie von vier Siegen am Stück hin, spielt mutigen Fußball und hat gerade in der Offensive viel Qualität. Alle befinden sich auf dem richtigen Weg, den Klassenerhalt zu schaffen.
Die "Großen" in der Krise
Dresden, 1860 München, Rostock, Kaiserslautern, Magdeburg und Duisburg: Das ist die "G6" der 3. Liga, es sind die Zugpferde mit dem mit Abstand größten Fanpotenzial. Gleich drei von ihnen laufen ihren Möglichkeiten gewaltig hinterher – und spüren ganz sicher auch das Fehlen der Fans im Stadion deutlicher als andere. In Kaiserslautern misslang der Saisonstart, und doch kam die Entlassung von Boris Schommers nach nur zwei Spieltagen verdächtig früh. Hätte man mit diesem Trainer dann überhaupt in die Saison gehen dürfen? Nachfolger Jeff Saibene hatte so wenig Zeit, leistete seitdem aber solide Arbeit. Unter ihm ist der FCK zum Remis-König geworden, acht von elf Spielen endeten unter Saibene so. Das reicht aber natürlich nicht, um sich klar von den unteren Plätzen zu distanzieren.
Ähnlich kompliziert war die Lage beim 1. FC Magdeburg, bei dem nun ein Aufwärtstrend spürbar ist. Trainer Thomas Hoßmang wackelte zwischenzeitlich wie ein Boxer, der bis zur achten Sekunde angezählt worden ist. Doch er entwickelte ein Kämpfer-Gen, das sich auf die Mannschaft übertrug. Von schönem Fußball ist man an der Elbe noch weit entfernt, aber die dreckigen Siege kommen zurück. Die tütete der MSV Duisburg vor einigen Wochen auch noch ein, doch eine restlos überzeugende Vorstellung zeigten die Zebras in ihren 13 Saisonspielen noch kein einziges Mal. Bedenkliche Defensivarbeit sowie immer wieder spürbar hängende Köpfe nach Gegentoren haben den MSV auf Platz 19 gespült, Coach Torsten Lieberknecht musste bereits vor drei Wochen gehen, doch sein Nachfolger Gino Lettieri hat von Anfang an einen schweren Stand im Umfeld – und holte aus vier Spielen gerade mal zwei Punkte. Welche Auswirkungen ein Abstieg auf die klammen Meidericher haben könnte, bekommen auch die Spieler mit – der Druck bleibt immens auf dem eigentlichen Aufstiegskandidaten.
Die Senkrechtstarter
In einem ausführlichen Text sind wir vor einigen Wochen bereits auf die besten Drittliga-Spieler des Saisonstarts eingegangen – die meisten davon haben ihre Form grundsätzlich bestätigt. Vor allem Sercan Sararer und Petar Sliskovic ragen heraus. Während Sararer in acht seiner zehn Einsätze an mindestens einem Tor beteiligt war, oft sogar an mehreren, und bereits zehn Vorlagen vorweist, bringt es Sliskovic auf zehn Tore. Ein solches Duo gibt es in der 3. Liga derzeit nur einmal.
Auch bei anderen Vereinen überzeugen uns Spielerpaare. Zum Beispiel Marin Sverko und Steven Zellner, die in der Saarbrücker Innenverteidigung die heimlichen Stars sind. Oder Zlatko Janjic und Aygün Yildirim, die in Verl zeigen, wie gut der Ehrgeiz eines hochtalentierten jungen Fußballers mit der Klasse und Abgezocktheit eines alten Recken wie Janjic harmonieren kann. Zwischen den Pfosten sind es gerade die Torhüter der schwächeren Defensivreihen, die noch weitaus mehr Gegentore verhinderten: Leo Weinkauf hat etwa in Duisburg einen riesigen Sprung gemacht, und in Meppen erwies sich Bremen-Leihgabe Luca Plogmann bis zu seiner schweren Verletzung als Glücksgriff.
Was fehlt: Ihr!
Ob bei einem Ostschlager in Dresden, wo 30.000 Zuschauer eine Atmosphäre erzeugen, als würde es um den Europapokal gehen, oder an einem verregneten Montagabend in Meppen, wo sich ein paar tausend Verrückte bis auf die Knochen durchnässen lassen, um Zeuge einer besseren Schlammschlacht zu werden: Die 3. Liga hat so viele Facetten, so viele tolle und abwechslungsreiche Stadien, so viele bunte und lautstarke Fankurven. All das kommt seit nunmehr neun Monaten zu kurz, und wir können und wollen uns daran nicht gewöhnen. Selbst ein Aufstieg – man frage mal in Würzburg oder Braunschweig nach – ist unter diesen Umständen ein ziemlich frustrierendes Ereignis. Geisterspiele sind ein Graus mit derzeit nicht absehbarem Ende.
Drücken wir die Daumen. Dass spätestens im Frühjahr die Corona-Infektionszahlen dauerhaft abnehmen, dass bis dahin die Gefährdetsten in unserer Gesellschaft flächendeckend Zugang zu einem Impfstoff erhalten – und die ersten Stadien vielleicht, vielleicht zum Saisonende zumindest wieder teilweise geöffnet werden können. Wir klammern uns fest an diesen Strohhalm. Die 3. Liga braucht ihre Fans.