Strittige Szenen am 15. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Elfmeter für Lübeck, Meppen und 1860, die Platzverweise gegen Deichmann, Dehl und Löhmannsröben, die verwehrten Strafstöße für Rostock, 1860, Halle, Verl und Köln, die Foulspiele von Ünlüçifçi und Handle sowie das 2:0 für Duisburg. Am 15. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 15 Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).
Szene 1: Im Duell mit Daniel Steiniger (Magdeburg) geht Pascal Steinwender (Lübeck) im Strafraum zu Fall, Schiedsrichter Patrick gibt Strafstoß für den VfB. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]
Babak Rafati: Beim Abwehrversuch im eigenen Strafraum trifft Steiniger seinen Gegenspieler sicherlich unbeabsichtigt von hinten in die Beine, bringt ihn dadurch aber zu Fall. Auch wenn es aus dem TV-Blickwinkel nicht genau zu erkennen ist, ahnt man dennoch durch den Bewegungsablauf beider Spieler den Kontakt. Der Gesichtsausdruck von Steiniger löst restliche Zweifel auf. Der Schiedsrichter wird aus seiner Position von der anderen Seite einen besseren Blick gehabt und somit den Vorgang genau gesehen haben. Eine richtige Entscheidung, den Strafstoß für Lübeck zu geben.
Szene 2: Für ein Einsteigen gegen Thore Jacobsen (Magdeburg) sieht Yannick Deichmann (Lübeck) Gelb-Rot und muss damit vom Platz. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]
Babak Rafati: Die Attacke von Deichmann ist zum Ball gerichtet, und er spielt diesen auch, wenngleich er Jacobsen ein wenig trifft. Man sieht auch, dass Jacobsen aus der Aktion nicht mehr macht, als es tatsächlich ist. Sportlich! Er hätte sich auch fallen lassen und am Boden wälzen können. Insgesamt reicht dieses Einsteigen nicht für eine gelbe Karte aus, weil der Ball gespielt wird und selbst der Kontakt für sich allein nicht gelbwürdig wäre. Eine Fehlentscheidung, die gelbe Karte, die in diesem Fall zu einer gelb-roten Karte führt, zu zeigen. Gerade wenn es um einen Platzverweis geht, was Einfluss auf den Spielausgang haben kann, sollte ein Schiedsrichter genauer hinschauen.
Szene 3: Nach einer Ecke kommt es im Strafraum zu einem Duell zwischen Tommy Grupe (Lübeck) und Korbinian Burger (Magdeburg). Grupe geht zu Boden, erneut gibt es Elfmeter für Lübeck. [TV-Bilder – ab Minute 3:00]
Babak Rafati: Bei diesem Gestochere im Strafraum von Magdeburg kommt es zu einem Zweikampf zwischen Burger und Grupe. Beide stehen mit dem Rücken zum Tor und Burger will aus seiner Position – hinter dem Angreifer – den Ball wegspitzeln. Dabei tritt er eher ins Leere, wenngleich er sicherlich den Lübecker Angreifer ein wenig berührt, der daraufhin zu Boden sinkt. Dieser womöglich leichte Kontakt ist nicht ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers und damit nicht ausreichend für einen Strafstoß, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt. Auch bei Foulspielbewertungen im Strafraum, was zum Strafstoß führt und ebenso erheblichen Einfluss auf den Spielausgang haben kann, sollte ein Schiedsrichter nur klare Aktionen ahnden, wenngleich diese Szene auch noch in den Schlussminuten passiert und noch mehr ins Gewicht fällt. Nicht nachvollziehbar solch eine Entscheidung.
Szene 4: Björn Rother (Rostock) geht im Strafraum gegen Lars Bünning (Meppen) zu Fall. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Wolfgang Haslberger nicht. [TV-Bilder – ab Minute 59:40]
Babak Rafati: Rother (Rostock) legt sich den Ball vor und startet in den Strafraum von Meppen. Dabei kommt Bünning (Meppen) in den Zweikampf und nimmt seine Hände zu Hilfe – gleichzeitig kommt Rother zu Fall. Hierbei liegt aber kein Schubsen oder Halten des Verteidigers vor, sondern lediglich ein Mittel, das im Fußball branchenüblich eingesetzt wird: das "Stören." Genauso branchenüblich ist es aber auch, dass so etwas dankend angenommen und folglich als Anlass genommen wird, zu Fall zu kommen. Man könnte auch von "Angebot und Nachfrage" sprechen. In dieser Szene weiterspielen zu lassen, ist aber die einzig richtige Entscheidung. Die, die argumentieren, dass der Arm dort nichts zu suchen hat, haben nicht Unrecht. Aber es hat sich leider eingebürgert und prägt das Fußballspiel. Dieser Armeinsatz ist nicht der Grund für das Zufallkommen, sodass Impuls und Wirkung nicht zueinanderpassen.
Szene 5: Im Strafraum kommt Maurice Litka (Rostock) an den Ball und wird von Jeron Al-Hazaimeh (Meppen) am Fuß getroffen. Haslberger entscheidet auf Stürmerfoul. [TV-Bilder – ab Minute 2:00:20]
Babak Rafati: Kurz nach dem Torschuss von Litka kommt es zu einer unübersichtlichen Situation im Meppener Strafraum. Der Schuss wird zunächst abgewehrt. Dann wollen Litka und Al-Hazaimeh erneut zum Ball, und es kommt eher zu einem Zusammenprall – beides im Kampf um den Ball und unbeabsichtigt. Somit wäre kein Strafstoß für Rostock fällig, allerdings auch kein Stürmerfoul. Optimal wäre es gewesen, weiterspielen zu lassen.
Szene 6: Dejan Bozic (Meppen) geht im Strafraum gegen Jan Löhmannsröben (Rostock), der letzter Mann war, zu Boden. Es gibt Elfmeter für Meppen und Rot für Löhmannsröben. [TV-Bilder – ab Minute 2:03:50]
Babak Rafati: Bei diesem Laufduell auf das Tor von Rostock ist Bozic in einer besseren Position und schneidet sehr geschickt den Laufweg von Löhmannsröben. Der Rostocker muss somit das Tempo herausnehmen, um ihn nicht zu berühren. Bei diesem Tempo reicht aber schon ein minimaler Kontakt aus, um den Gegenspieler aus dem Gleichgewicht zu bringen. Löhmannsröben kann aber nicht mehr vermeiden, dass er Bozic, wenn auch völlig unbeabsichtigt, im eigenen Strafraum minimal touchiert und zu Fall bringt. Er verhindert damit eine klare Torchance, man spricht hierbei von einer Notbremse. Strafstoß ist damit die richtige Entscheidung.
Bei Notbremsen im Strafraum, bei denen sich der Zweikampf um den Ball dreht, gibt es seit ein paar Jahren keine Dreifachbestrafung mehr. Somit ist lediglich die gelbe Karte vorgeschrieben. Die rote Karte ist somit eine Fehlentscheidung, weil sich Löhmannsröben im Zweikampf um den Ball befindet.
Wenn sich allerdings die Aktion von Löhmannsröben nicht im Kampf um den Ball ereignet (nicht ballorientiert), sondern nur das Ziel hätte, den Gegner zu attackieren, weil er keine Chance mehr hätte an den Ball zu kommen, z.B. durch Festhalten am Trikot, dann hätte es die rote Karte geben müssen. Nur dann (Gegner ist Spielobjekt) gibt es im Strafraum die rote Karte!
Wenn die Spieler nicht nur protestieren, sondern die Regeln besser kennen würden, könnten sie sicherlich auch einiges vermeiden, wie diese rote Karte. Natürlich ist der Schiri in der Pflicht und muss die Regeln kennen. Aber ich bin davon überzeugt, dass einige Schiris die Regeln im Eifer des Gefechts nicht immer zu 100 Prozent auf dem Schirm haben. Wenn Löhmannsröben den Schiri noch auf dem Platz darauf aufmerksam gemacht und die Sache mit der Dreifachbestrafung angesprochen hätte, bin ich mir sicher, dass der Schiri die rote Karte nach einem kurzen "Aha-Effekt" zurückgenommen hätte. Bis zur nächsten Spielfortsetzung ist das möglich. Sicherlich kein Nachteil, die Regeln zu kennen und damit sich selbst auf dem Platz "freizusprechen."
Szene 7: Bei einem Laufduell im Strafraum mit Marcel Hofrath (Mannheim) geht Stefan Lex (1860) zu Fall und fordert Elfmeter. Schiedsrichter Mitja Stegemann lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 29:00]
Babak Rafati: Bei einem Laufduell zwischen Hofrath und Lex im Mannheimer Strafraum greift der Verteidiger ganz leicht an den Arm des Angreifers, wodurch dieser zu Fall kommt. Das ist branchenüblich, sodass dieser leichte Griff bei Weitem nicht ausreicht, um über einen Strafstoß nachzudenken. Man sieht solche Faller sehr oft, die sich für die Angreifer wie ein Foul anfühlen, weil sie nicht schnell genug hinterherkommen und jede sich möglich passende Gelegenheit abwarten, um es dankbar anzunehmen. Business as usual, sollte man aber auch nicht überbewerten. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 8: Einen Schuss von Sascha Mölders (1860) bekommt Marcel Costly (Mannheim) aus kurzer Distanz an die Hand, es gibt Elfmeter für 1860. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]
Babak Rafati: Nach einem Schuss von Mölders (1860) auf das Mannheimer Tor wirft sich Costly (Mannheim) in den Ball, bekommt ihn im eigenen Strafraum aus kurzer Distanz an die Hand und wehrt diesen ab. Der Arm von Costly ist in natürlicher Haltung und nicht abgespreizt. Weiterspielen wäre die richtige Entscheidung gewesen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt.
Szene 9: Onur Ünlüçifçi (Mannheim) geht von hinten in einen Zweikampf mit Quirin Moll (1860), das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 30:25]
Babak Rafati: Ein Paradebeispiel für uneinheitliche Regelauslegung. Beim Zweikampf im Mittelfeld geht Ünlüçifçi in den Zweikampf gegen Moll und spielt zwar den Ball, jedoch trifft er Moll auch am Fuß. Die Aktion ist nicht brutal oder rüde, aber dennoch ein Foulspiel. Es hätte einen Freistoß für 1860 geben müssen. Eine gelbe Karte wäre nicht erforderlich. Der Schiedsrichter lässt aber weiterspielen und pfeift im Gegenzug bei einem vergleichsweise harmloseren Foulspiel von Philipp Steinhart auf der anderen Seite ab. Obendrein gibt es die gelbe Karte.
Ein Schiedsrichter muss berechenbar sein, denn die Vereine erwarten einheitliche Regelauslegung und sprechen oft von "Verhältnismäßigkeit." Diese beiden beschriebenen Szenen sind stellvertretend dafür und können sich im Spielverlauf spielentscheidend auswirken. Heftige Diskussionen sind dann vorprogrammiert. Und das zu Recht!
Szene 10: Eberwein (Halle) bringt einen Schuss auf das Tor, den Kevin Ehlers (Dresden) jedoch mit dem ausgestreckten Arm abblockt. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Florian Heft. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]
Babak Rafati: Bei dieser Abwehraktion reißt Ehlers beide Arme hoch, bekommt den Ball im eigenen Strafraum an den ausgestreckten Arm und blockt somit diesen Schuss. Auch wenn der Ball aus sehr kurzer Entfernung kommt, liegt ein strafbares Handspiel vor, weil er den Arm in unnatürlicher Haltung hat ihn zudem über die Schulter nimmt. Eine Fehlentscheidung, den fälligen Strafstoß für Halle nicht zu pfeifen.
Szene 11: Für ein Foul an Pascal Sohm (Dresden) und das Verhindern eines schnellen Einwurfs sieht Laurenz Dehl (Halle) zweimal innerhalb kürzester Zeit jeweils Gelb und muss vom Platz. [TV-Bilder – ab Minute 2:25]
Babak Rafati: Die erste gelbe Karte für Dehl für ein Foulspiel an Sohm ist unstrittig. Bei der zweiten Aktion verhindert Dehl bei einem Einwurf eine schnelle Spielfortsetzung für Dresden und bekommt dafür seine zweite Karte, folglich die gelb-rote Karte. Eine richtige Entscheidung, weil eine Unsportlichkeit vorliegt. Da muss sich ein Spieler selbst hinterfragen. Selbst wenn ein Spieler der Meinung ist, dass ihm der Einwurf zusteht und es tatsächlich auch so sein sollte, hat ein Schiedsrichter bei derartigen Aktionen keinen Ermessensspielraum, denn sonst besteht die Gefahr, dass sich andere Spieler auch derartig verhalten und es im Chaos endet.
Szene 12: Einen Schuss von Julian Schwermann (Verl) blockt Bernard Kyere (Köln) mit dem ausgestreckten Arm. Schiedsrichter Tobias Schultes lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 0:50]
Babak Rafati: Schwermann schießt auf das Tor von Köln, Kyere blockt den Ball mit seinem Arm, den er aktiv und bewusst heraus nimmt, sodass ein absichtliches Handspiel vorliegt. Es hätte einen Strafstoß für Verl sowie die gelbe Karte gegen Kyere geben müssen. Eine Fehlentscheidung, Verl diesen fälligen Strafstoß zu verwehren.
Szene 13: Simon Handle (Köln) begeht im Mittelfeld ein rüdes Foul an Aygün Yildirim (Verl), Schultes belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 36:30]
Babak Rafati: Handle kommt mit voller Dynamik in hohem Tempo angelaufen, rutscht mit den Stollen voraus in Yildirim hinein, tritt ihn brutal gegen dessen Schienbein und bringt ihn zu Fall. Damit nimmt er billigend in Kauf, die Gesundheit des Gegenspielers zu gefährden. In dieser Szene kann es nur die rote Karte geben.
Es geht natürlich sehr schnell, aber wenn ein Spieler so angerauscht kommt, sollten bei einem Schiedsrichter die Alarmglocken läuten, sodass höchste Aufmerksamkeit gefordert ist. Leider entgeht diese rüde Szene auch dem Assistenten. Eine krasse Fehlentscheidung, nur Gelb zu zeigen.
Szene 14: Barne Pernot (Verl) bringt Timmy Thiele (Köln) bei einem Laufduell im Strafraum zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet der Schiedsrichter. [TV-Bilder – ab Minute 3:20]
Babak Rafati: Bei diesem Laufduell zwischen Pernot und Thiele will der Angreifer im gegnerischen Strafraum auf das Tor schießen, wird dabei jedoch von Pernot an den Beinen getroffen. Sicherlich unbeabsichtigt, aber dennoch ein Foulspiel. Zudem reißt er ihn herunter, weil er in einer schlechteren Position zum Ball steht und keine Chance mehr hat, an das Spielgerät zu kommen. Hier hätte es einen Strafstoß für Köln und die rote Karte gegen Pernot geben müssen. Eine Fehlentscheidung, das Foulspiel nicht zu ahnden.
Szene 15: Bei einer Ecke für Duisburg setzt Max Jansen (Duisburg) im Zentrum den Körper gegen Jakov Medic (Wiesbaden) ein und bringt ihn damit zu Fall. Das Spiel läuft weiter, aus der Ecke fällt das 2:0 für Duisburg. [TV-Bilder – ab Minute 1:55]
Babak Rafati: Nach der Ecke kommt es unter anderem zu einem Zweikampf zwischen Jansen und Medic. Dabei hat der Duisburger zwar den Blick nur auf seinen Gegenspieler – was erlaubt ist, – jedoch "stellt" er nur seinen Gegenspieler und begeht dabei kein Offensivfoul. Medic läuft lediglich gegen ihn auf, kann sich nicht mehr befreien und kommt selbstverschuldet zu Fall. Eine richtige Entscheidung, diesen Zweikampf laufen zu lassen.
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