Nach 30 Jahren wieder Profifußball: Wer ist der TSV Havelse?

Ein Aufstieg in nur elf Spielen: Ganz normal ist die Geschichte des TSV Havelse auf dem Weg zur erstmaligen Teilnahme an der 3. Liga gewiss nicht. Nur ältere Generationen erinnern sich daran, dass dieser Klub bereits einmal im Profifußball vertreten war. Historie, Infrastruktur, Ambitionen: Wir stellen den Neu-Drittligisten vor.

Havelse – wo liegt das überhaupt?

Ähnlich wie im vergangenen Jahr, als der SC Verl den Aufstieg schaffte, musste mancher Drittliga-Interessierter wohl erst einmal eine Landkarte zu Rate ziehen: Wie groß ist der Ort, wo liegt er? Fußballfans aus Norddeutschland dürften Bescheid wissen: Havelse, übrigens nicht zur verwechseln mit dem landschaftlich reizvollen Havelsee in Brandenburg, ist ein Stadtteil von Garbsen, das wiederum knapp nordwestlich der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover verortet und den meisten auf der Ost-West-Durchreise über die Autobahn 2 bekannt ist. In Garbsen wohnen rund 60.000 Menschen, in Havelse nicht einmal ein Zehntel dessen. Bezieht man sich einzig auf den namensgebenden Ortsteil und dessen Einwohnerzahl, wäre der TSV also der "kleinste" Klub der 3. Liga.

Kaderniveau und Ambitionen

Als Kandidat für den Durchmarsch in die 2. Bundesliga wird der TSV Havelse sicherlich nicht gehandelt werden: Selten kam ein Aufsteiger mit derart wenig Profierfahrung wie die Mannschaft von Trainer Jan Zimmermann, der obendrein künftig für Zweitligist Hannover 96 an der Seitenlinie stehen wird. Nur Noah Plume (Lotte) und Erik Henschel (Hallescher FC) haben bereits genau ein Drittliga-Spiel absolviert, Henschel gar nur eine Einwechslung über eine Minute. Für den großen Rest steht eine völlig neue Herausforderung an: Viele von ihnen verdienten bislang ihre Brötchen nicht ausschließlich mit dem Fußball und werden es auch in der 3. Liga nicht tun.

Vor einigen Monaten, als noch völlig offen war, ob die Regionalliga-Saison fortgesetzt wird, sagte Vorsitzender Dieter Lorenz dem Sportbuzzer zur Etatplanung: "Wir liegen in der Regionalliga absolut am unteren Ende und würden das auch in der 3. Liga sein." Die Verbindung von Beruf und Fußball lässt nur erahnen, welche geringen Summen der TSV Havelse mit seinem kleinen, regionalen Sponsorenpool im Drittliga-Vergleich künftig aufwenden wird. Es wird von Beginn an nur darum gehen, einen der letzten vier Plätze zu vermeiden – und sollte das tatsächlich klappen, wäre das nach jetzigem Stand schon eine mindestens kleine Sensation für einen der klarsten Außenseiter, der in 13 Jahren 3. Liga am diesem Wettbewerb teilgenommen hat. Eine Rolle, die für den Moment durchaus angenehm sein kann. Man frage einmal in Großaspach, Verl und Lotte nach…

Sportliche Vergangenheit

Seit 2010 spielte der Turn- und Sportverein durchgängig in der Regionalliga Nord – zuletzt einige Jahre in Folge im grauen Mittelfeld, davor auch im oberen Drittel, aber immer mindestens zwölf Punkte vom Meistertitel entfernt. Umso überraschender ist der Erfolg nun, der bekanntlich dank des corona-bedingten Abbruchs der Regionalliga-Nord-Saison in nur neun Spieltagen (sechs Siege, zwei Remis, eine Niederlage) plus zwei Aufstiegsspielen zustandekam. Dass Havelse sogar ein ehemaliger Zweitligist ist, weiß nicht jeder. Nachdem sich der 1912 gegründete Verein in den 80er Jahren in der drittklassigen Oberliga Nord etabliert hatte, scheiterte er zunächst 1989 als Oberliga-Meister in der Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga. Ein Jahr klappte der Coup dann doch: Diesmal nur als Zweiter qualifiziert, gelang der gemeinsame Aufstieg mit dem VfB Oldenburg. Trainer der Aufstiegself: die spätere Freiburger Trainer-Ikone Volker Finke.

Das Abenteuer 2. Bundesliga kam für das kleine Havelse zu früh, über den Sommer konnten keine Bedingungen für den professionellen Fußball garantiert werden. Mit nur 19 Punkten aus 38 Spielen ging es 1991 direkt wieder runter, und damit nicht genug: 1993 folgte der Abstieg in die viertklassige Verbandsliga Niedersachsen, 2001 ging es in die fünfte, 2002 in die sechste Liga. Ursächlich dafür war auch der Tod des langjährigen Förderers Wilhelm Langrehr zu Beginn des Jahrtausends – nach dem einstigen Manager ist heute noch die Heimspielstätte benannt. Ohne Langrehr drohte damals gar die Insolvenz, die aber abgewendet werden konnte. 2005 war das Tal durchschritten: Da ging es zurück in die Fünftklassigkeit, 2010 dann zurück in die Regionalliga.

Infrastruktur: Noch ein Drittligist muss umziehen

Im Duell zwischen Havelse und dem bayrischen Vertreter Schweinfurt drückten nicht wenige den Süddeutschen die Daumen. Dies lag unter anderem an der seit Monaten bekannten Nachricht, dass der TSV Havelse nicht in seinem eigenen Stadion antreten darf. Das schmucke Wilhelm-Langrehr-Stadion im Süden von Havelse hat lediglich ein Fassungsvermögen von 3.500 Zuschauern, und genügt damit trotz einiger Modernisierungsmaßnahmen wie dem Bau von Stehplatz-Hintertortribünen und der Installation einer Videoleinwand den Anforderungen des DFB für die 3. Liga nicht. Neben Kapazität fehlen auch eine Rasenheizung sowie TV-taugliches Flutlicht.

Zum Glück liegt eine WM-taugliche Arena nur eine kurze Autofahrt entfernt: Havelse wird in der fast 50.000 Zuschauer fassenden HDI-Arena auflaufen, die Hannover 96 gehört und von einer klubeigenen GmbH betrieben wird. Vereinsboss Martin Kind kündigte bereits an, dass der TSV dafür nur die Betriebskosten übernehmen müsse.

Zuletzt plante Havelse mit einem Zuschauerschnitt von etwa 4.000 Fans. Bereits das käme dem "Erlebnis" Geisterspiel in einem überdimensionierten Stadion ziemlich nah – ganz ähnlich, wie es der ehemalige Drittligist Uerdingen als Untermieter in Duisburg und insbesondere Düsseldorf vormachen musste. Ist in dieser Prognose, und davon ist auszugehen, noch ein erheblicher Anteil an Gästefans inkludiert, dürfte die reale Besucherzahl bei vielen Duellen noch deutlich geringer sein. In der Regionalliga und im eigenen Stadion begrüßte der TSV vor der Corona-Pandemie im Durchschnitt 500 bis 700 Besucher pro Partie. Neben Havelse können auch Mitaufsteiger Viktoria Berlin (Jahn-Sportpark im Prenzlauer Berg), Türkgücü München (Grünwalder Stadion/Olympiastadion) und der SC Verl (Frimo-Arena in Lotte) nach jetzigem Stand nicht in einem "eigenen" Stadion antreten.

   

Das könnte Sie auch interessieren

Auch interessant

Back to top button