Strittige Szenen am 5. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die nicht gegebenen Elfmeter für Saarbrücken, Köln und Zwickau, der Strafstoß für Saarbrücken, das 2:0 von Mannheim, ein Handspiel von SVM-Keeper Erik Domaschke außerhalb des Strafraums, die Platzverweise gegen Jonas Fedl, Maximilian Rossmann und Ulrich Taffertshofer sowie ein Foulspiel von Boris Tomiak. Am 5. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zehn Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).
Szene 1: Minos Gouras (Saarbrücken) bekommt im Strafraum den Arm von Tobias Knost (Magdeburg) ins Gesicht und geht zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Dr. Robert Kampka. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]
Babak Rafati: Gouras legt sich den Ball im gegnerischen Strafraum an Knost vorbei und will an ihm vorbeilaufen. Dieser nimmt den Arm heraus, und es kommt zum leichten Kontakt im Gesicht und am Oberkörper. Diese Spielweise hindert Gouras natürlich ein wenig, allerdings ist der Armeinsatz regelgerecht und nicht ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers. Es erfolgt somit kein Schlag oder ähnliches. Der Angreifer nimmt den Kontakt natürlich dankend an und kommt zu Fall. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 2: Im Laufduell mit Andreas Müller (Magdeburg) geht Minos Gouras (Saarbrücken) im Strafraum zu Boden, es gibt Elfmeter für Saarbrücken. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]
Babak Rafati: Bei diesem Laufduell zwischen Müller und Gouras erläuft sich der Angreifer zunächst eine bessere Position, sodass Müller hinter ihm ist. Dabei bemerkt Müller, dass er vorsichtig sein muss, um den Angreifer nicht zu treffen und kein Foulspiel zu verursachen – er bremst sein Lauftempo ab. Auch wenn es außerhalb des Strafraumes dennoch zum Kontakt im Fußbereich kommt, liegt kein Foulspiel vor. Der Kontakt kommt durch das Ausschlagen der Beine von Gouras nach hinten zustande, und wie oben beschrieben verhält sich Müller absolut passiv. Der Armeinsatz von Müller ist dabei zu vernachlässigen, denn das ist branchenüblich und erlaubt. Gouras läuft anschließend weiter und kommt plötzlich im Strafraum zu Fall. Das ist, wenn überhaupt, unter der Rubrik "Unfall" einzuordnen und keinesfalls ein Foulspiel. Eine Fehlentscheidung, auf Elfmeter für Saarbrücken zu entscheiden.
Szene 3: Bei einer Ecke für Mannheim verschafft sich Marcel Seegert (Mannheim) gegen Florian Egerer (Meppen) einen Vorteil, in dem er ihn am Trikot hält – dabei geht Egerer zu Fall. Anschließend köpft Seegert zum 2:0 ein, Schiedsrichter Steven Greif gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf nach der Ecke gibt es die üblichen Spielchen im Strafraum. Der Einsatz von Seegert ist aber im grünen Bereich. Zudem fällt Egerer nicht wegen des Einsatzes des Gegenspielers, vielmehr ist Seegert einfach galliger und williger im Zweikampfverhalten. Eine richtige Entscheidung, diesen Zweikampf weiterlaufen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen. Bei diesen Aktionen ist auch immer die Frage zu stellen, ob andersherum der Einsatz ausgereicht hätte, um einen Elfmeter zu geben.
Szene 4: Meppen-Keeper Erik Domaschke kommt bei einem Angriff des Waldhof aus dem Tor und wehrt den Ball außerhalb des Strafraums mit dem Arm ab. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:33:20]
Babak Rafati: Keeper Domaschke kommt aus seinem Strafraum herausgelaufen und will den Ball vor dem gegnerischen Angreifer abwehren. Dabei grätscht er zum Ball und spielt den Ball mit dem Fuß, von da aus prallt das Spielgerät aus sehr kurzer Entfernung an den Arm des Keepers. Allerdings ist der Arm in natürlicher Haltung, da er nicht aktiv zum Ball geht. Es liegt also keine Absicht vor, und der Arm wurde auch nicht vorher unnatürlich in Position gebracht, um in Kauf zu nehmen, den Ball mit dem Arm zu blocken. Insgesamt kein absichtliches Handspiel und somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 5: Im Mittelfeld sieht Jonas Fedl (Meppen) für ein Foulspiel an Adrien Lebeau (Mannheim) glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:45]
Babak Rafati: Lebeau führt den Ball am Fuß und wird dabei vom Gegenspieler Fedl völlig übermotiviert und brutal gefoult, indem Fedl mit den Stollen voraus Lebeau in die Wade trifft. Auch wenn er ihn nicht voll trifft, ist das eine brutale Spielweise. Das Trefferbild ist vollkommen ausreichend, um billigend in Kauf zu nehmen, die Gesundheit des Gegenspielers zu gefährden. Eine richtige Entscheidung, diese Spielweise mit der roten Karte zu ahnden.
Szene 6: Youssef Amyn (Köln) dringt in den Strafraum ein und wird von Quirin Moll (1860) zu Fall gebracht. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Christof Günsch. [TV-Bilder – ab Minute 48:20]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von 1860 München nimmt Moll natürlich sehr kraftvoll den Körper und die Arme zu Hilfe. Wenn ein Gegenspieler dann körperlich unterlegen ist, kann dieser schon mal zu Fall kommen. Dieser Einsatz ist aber absolut fußball-/ und branchenüblich, sodass alles regelkonform ist und somit kein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 7: Der bereits verwarnte Maximilian Rossmann (Köln) hält Stefan Lex (1860) bei einem Angriff der Löwen auf Höhe der Mittellinie fest und sieht dafür Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]
Babak Rafati: Der erste Einsatz von Rossmann war schon dunkelgelb, denn der Fußtritt trifft Mölders im Knöchel-/Bänderbereich und kann böse enden. Die zweite Aktion – das Festhalten an der Mittellinie – ist ein Vergehen, das eine gelbe Karte nach sich zieht, sodass diese Entscheidung richtig ist, Rossmann hierfür die Ampelkarte zu zeigen.
Bei der Frage, ob auch eine rote Karte für das Vergehen von Rossmann an Lex in Frage kommt, gilt folgendes zu beachten. Es ist ein Regelmythos, dass bei einem Vergehen als letzter Mann, die Konsequenz die rote Karte ist. Im Sprachgebrauch der Journalisten taucht dieser Begriff "Letzter Mann" häufig auf, hat aber in den Fußball-Regeln absolut keine (!) Relevanz.
Die Regel bezieht sich nicht auf den letzten Mann, sondern nur auf die Vereitelung einer glasklaren Torchance. Diese glasklare Torchance wird in der Praxis so ausgelegt, dass innerhalb weniger Sekunden – ca. 2-3 Sekunden – ein Tor erzielt werden könnte. Bei Vergehen an der Mittellinie trifft das naturgemäß nicht zu. Erst bei näherer Entfernung zum Tor, ca. 20-25 Meter, spricht man von einer sogenannten Vereitelung einer glasklaren Torchance oder Notbremse in Verbindung mit einer roten Karte.
In dieser Szene war das nicht der Fall. Bei der Regel wird zugrunde gelegt, dass die Entfernung zum Tor relativ groß ist und ein angreifender Spieler an der Mittellinie noch von anderen Verteidigern eingeholt werden könnte. In der vorliegenden Szene sieht man sehr gut, dass am oberen Bildrand ein weiterer Kölner Spieler in der Nähe von Lex postiert ist und somit noch eingreifen könnte. Daher ist die gelbe Karte bzw. die Ampelkarte, wegen der zweiten gelben Karte, die einzig richtige Entscheidung.
Szene 8: Bei einem Angriff des Halleschen FC geht Boris Tomiak (Kaiserslautern) mit dem Ellenbogen in einen Zweikampf mit Julian Guttau (Halle), Schiedsrichter Lasse Koslowski pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:57:20]
Babak Rafati: Guttau wird kurz vor dem Strafraum angespielt, dabei kommt Tomiak angelaufen und geht nicht regelkonform mit dem Körper und angelegtem Arm in den Zweikampf, sondern setzt den Ellenbogen/Arm aktiv ein und trifft Guttau ins Gesicht. Da hat der Arm nichts zu suchen. Auch wenn das kein aktiver Schlag ist, so ist es aber dennoch ein Foulspiel, bei dem sogar eine gelbe Karte als persönliche Strafe möglich wäre. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 9: Erst sieht Ulrich Taffertshofer von Schiedsrichter Patrick Kessel für ein Gerangel Gelb (25.), dann nach einem Foulspiel (78.) Gelb-Rot und muss vorzeitig vom Platz. [TV-Bilder – ab Minute 39:55 & 1:51:05]
Babak Rafati: Bei der ersten Szene gibt es für das Angehen von Taffertshofer vollkommen berechtigt die gelbe Karte. Auch die gelbe Karte für den Gegenspieler für die Nichtfreigabe des Balles in dieser Aktion ist richtig.
Bei der zweiten Aktion entscheidet der Schiedsrichter nach einem Foulspiel von Taffertshofer an der Torlinie auf Freistoß für Dortmund. Nach kurzer Überlegung holt er Taffertshofer zu sich zurück und gibt ihm für dieses Foulspiel die Ampelkarte, was jedoch eine Fehlentscheidung ist. Zum einen ist das vorangegangene Foulspiel nicht gelbwürdig, da das Vergehen ein Allerweltsfoul ist und zum anderen hätte ein weiterer Mitspieler eingreifen können. Außerdem wirkt das verzögerte Zeigen der Karte sehr unglücklich. Durchaus denkbar, dass das Signal vom Assistenten über das Headset kam, was in der Praxis gängig ist. Das kann man so machen, nur sollte die Entscheidung richtig sein und zudem sollte sofort eine Meldung kommen und nicht wie in dieser Szene zeitverzögert.
Szene 10: Einen Schuss von Dominik Baumann (Zwickau) bekommt Björn Jopek (Berlin) im Strafraum an die Hand, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Christian Ballweg nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:35]
Babak Rafati: Nach einem Schuss von Baumann wehrt Jopek den Ball aus kurzer Distanz mit dem Arm zur Ecke ab. Der linke Arm ist nicht entscheidend, da der Ball dort nicht hinkommt, auch wenn es optisch den Eindruck erweckt. Der rechte Arm ist entscheidend, und dieser ist klar und deutlich angelegt, sodass keine Absicht vorliegt und alles im grünen Bereich ist. Aus dieser kurzen Distanz ist es zudem gar nicht möglich, so schnell zu reagieren und den Arm noch wegzuziehen. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
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