Kommentar: Dotchev trifft beim MSV nur eine Teilschuld
Was soll nur aus dem MSV Duisburg werden? Diese Frage stellen sich gerade alle im Umfeld der Zebras. Nach der Entlassung von Cheftrainer Pavel Dotchev ist das Unverständnis bei vielen Fans jedenfalls groß, weil Sportdirektor Ivica Grlic offensichtlich von Konsequenzen verschont bleibt – wieder einmal. Doch trägt Grlic überhaupt die Schuld? Und wenn nicht – wer dann? Ein Kommentar.
Dotchev brachte keine Einheit auf den Rasen
Nach der 0:1-Niederlage gegen Meppen war dem Duisburger Umfeld eigentlich schon klar, dass der Rekordtrainer der 3. Liga in der Länderspielpause gehen muss. So kam es schließlich auch – nach reichlich Bedenkzeit. In 30 Pflichtspielen an der Seitenlinie bekam der 56-Jährige schlichtweg keine Konstanz in seine Ergebnisse. Fraglich ist, warum dies so war. Als Dotchev den MSV übernahm – als Wunschtrainer der Mannschaft, wie zu vernehmen war – holte er sechs Siege aus elf Partien. Doch je näher die Duisburger dem Klassenerhalt im Vorjahr kamen, umso stärker war die Luft raus.
Und Dotchev kam nicht dagegen an, was in der 2:6-Niederlage im Landespokal-Halbfinale gegen Wuppertal gipfelte. Dachte man. Nun zeigte die neue Saison, dass sich im Wesentlichen nichts verändert hat. Trotz eines personellen Umbruchs, der sich auf dem Papier sehen lässt, brachte Dotchev bis zuletzt keine Einheit auf den Rasen. Eine Teilschuld, die sich der 56-Jährige ankreiden muss – die aber nicht alleine ausschlaggebend für die Misere ist.
Grlic als Hauptschuldiger?
In dem Sportdirektor sieht ein Großteil der Fans den Hauptschuldigen. Doch auch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Kritiker wurden in diesem Sommer nachdenklich, als Grlic seine Entscheidungen auf dem Transfermarkt traf. Erfahrene Neuzugänge wie Marvin Bakalorz und Rolf Feltscher wussten zu gefallen, so auch talentierte Kicker wie Alaa Bakir oder Niclas Stierlin. Zudem wurde Leih-Torhüter Leo Weinkauf unerwartet gehalten. Nicht zum ersten Mal freuten sich MSV-Anhänger über die Kaderzusammenstellung unter Grlic.
Dann kamen aber wieder die Niederlagen. Jeden Fehler dahingehend am Sportdirektor festzumachen, ist zu einfach. Auch mit Blick auf die jüngere Vergangenheit, denn beispielsweise die viel kritisierte Rückholaktion von Gino Lettieri soll nicht Grlics Idee gewesen sein. In Fankreisen kursiert schon seit längerer Zeit die Vermutung, dass der Ex-Coach extern geholt und finanziert wurde – und trotzdem muss der Sportdirektor diese offensichtliche Fehlentscheidung ausbaden. Dabei war Grlics Trainerauswahl rückblickend selten fehlerhaft – auch Lettieri stieg beim ersten Engagement in die 2. Bundesliga auf. Kurzfristig erreichte der MSV seit dem Zwangsabstieg fast jedes Ziel, egal ob unter Karsten Baumann, Ilia Gruev oder auch Pavel Dotchev. Einzig die Zeit von Torsten Lieberknecht müsste – aufgrund des verfehlten Klassenerhalts und dem verpassten Aufstieg – ausgeklammert werden. Und ausgerechnet Lieberknecht wird von vielen MSV-Fans mehr als alle anderen gefeiert.
Wie gut oder schlecht Ivica Grlic seine Arbeit als Einzelperson macht, sei demnach dahingestellt. Zumal es nicht garantiert ist, dass ein anderer die Arbeit in der Situation des MSV mit den Mitteln des MSV besser machen könnte. Und trotzdem: Mit Ivica Grlic wird es beim MSV nicht leichter, denn Unruhen sind bei jeder Entscheidung des Sportdirektors mittlerweile vorprogrammiert. Daran sind die Verantwortlichen, inklusive Grlic, aufgrund von Kommunikation und Außendarstellung nicht ganz unschuldig. Fraglich ist, ob frischer Wind auf der Position nicht allen Beteiligten guttun würde.
Das Miteinander in der Mannschaft fehlt
Am Ende des Tages ist es einzig die Mannschaft, die auf dem Rasen die passende Antwort geben kann. Es liegt auf der Hand, dass die Zebras es besser können, als sie derzeit zeigen – das haben die Einzelspieler in ihrer Karriere bereits in vielen Fällen unter Beweis gestellt und das ist auch der Anspruch jedes Einzelnen im MSV-Kader. Doch für den Erfolg benötigt es Teamgeist, den die Zebras zu selten zeigen. Ob ein Tiefpunkt die Wende herbeiführen kann? Als Dominik Schmidt gegen Meppen eingewechselt und ausgepfiffen wurde, hielt das Team – gefühlt zum ersten Mal in der Saison – geschlossen zusammen und stellte sich vor den Innenverteidiger.
Auf dem Platz gibt es jedoch zu wenig von diesem Zusammenhalt. Es wirkte zuletzt, als würde jeder Spieler jeden Pass oder jede Aktion nur für sich, aber nicht für die Mitspieler machen. Erreicht ein Ball den Kollegen nicht, dann liegt es an demjenigen und nicht am Passgeber. Bekommt derselbe Spieler den Ball nicht in die Füße gespielt, wie er es will, dann ist wieder der andere Schuld. Hacke-Spitze und gechippte Eck- und Flankenbälle sind im Repertoire mancher Spieler, aber im Moment geht es nicht um einen Schönheitspreis, sondern um das miteinander erfolgreich sein – das muss die Mannschaft verstehen.
Unruhiges und kritisches Umfeld
Kurz vor der Jahreshauptversammlung am nächsten Dienstag steht entsprechend alles und jeder beim MSV in der Kritik. Das schließt weitergehend auch Präsident Ingo Wald und den Vorstand mit ein. Der Ablauf der Dotchev-Freistellung ist bezeichnend, denn Ingo Wald gilt seit jeher als herzensguter Mensch, der sich die Zeit und das Mitspracherecht für elementare Entscheidungen im Verein nimmt. Doch genau das könnte dem Präsidenten zeitnah um die Ohren fliegen. Denn die Fans sehnen sich nach Erfolg – und zwei kurze Ausflüge in die 2. Bundesliga in den letzten Jahren reichen nicht aus. Entwickelt hat sich der MSV in den vergangenen Jahren augenscheinlich nicht.
Aber an diesem Punkt trägt auch ein Teil der Fans zu guter Letzt eine Teilschuld. Klar ist, dass die Erwartungshaltung bei einem Traditionsklub wie dem MSV Duisburg groß ist. Klar ist, dass sich die Zebras langfristig nicht als Drittligist sehen wollen und schon gar nicht zufrieden sind, wenn es dann auch noch um den Klassenerhalt dort geht. Klar ist, dass es das berüchtigte 'Weiter so' angesichts des voranschreitenden Verfalls beim MSV nicht geben darf. Aber spätestens seit der Aktion mit Dominik Schmidt ist auch klar, dass gesellschaftliche Schwächen – immer schneller immer mehr Erfolg – nicht auf Kosten der Menschlichkeit gehen sollten. Das Wir-Gefühl fehlt dem MSV nicht nur in der Mannschaft – daran müssen nun wieder alle gemeinsam arbeiten, um dauerhaft herauszukommen. Auch die dazu nötigen Entscheidungen sollten gemeinsam – und nicht gegeneinander – getroffen und getragen werden.