Strittige Szenen am 13. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Vier Elfmeter-Situationen aus dem Spiel zwischen Saarbrücken und 1860, die nicht gegebenen Strafstöße für Osnabrück und Verl, die Elfmeter für Saarbrücken und Meppen, ein Foulspiel von Scheu an Belkahia, der Zusammenprall von Götze und Feltscher, der Platzverweis gegen Hanslik und das Tor von Magdeburg: Am 13. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Adriano Grimaldi (Saarbrücken) dringt in den Strafraum ein und geht im Duell mit Niklas Lang und Daniel Wein (1860) zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Patrick Kessel. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]

Babak Rafati: Grimaldi dringt in den Strafraum von 1860 ein und wird von zwei Verteidigern attackiert. Wein legt dabei die Hand auf die Schulter von Grimaldi, was aber ein üblicher Vorgang und somit nicht strafbar ist. Lang spielt derweil klar den Ball, hält Grimaldi jedoch zeitgleich oben an der Schulter am Trikot fest und reißt ihn zu Boden. Das Zufallkommen von Grimaldi ist die Ursache des Trikotvergehens, sodass ein Foulspiel vorliegt und es einen Elfmeter für Saarbrücken hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen fälligen Elfmeter nicht zu geben. Eine Erklärung für das Nichtahnden dieses Foulspiels könnte sein, dass der Schiedsrichter nur auf die Füße schaut, dort wo der Ball gespielt wird und ihm deshalb das Vergehen im Oberkörperbereich verwehrt bleibt.

Szene 2: Eine Flanke bekommt Phillipp Steinhart (1860) im Strafraum an den Arm/die Brust. Saarbrücken fordert Elfmeter, Kessel lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:22:25]

Babak Rafati: Nach einer Flanke in den eigenen Strafraum stoppt Steinhart den Ball mit der Brust und verhält sich somit regelgerecht, auch wenn die Saarbrücker einen Elfmeter wegen eines möglichen Handspiels fordern. Für die Handspielvergehen gilt, dass die Grenze zwischen Schulter und Arm (bei angelegtem Arm) unten an der Achselhöhe verläuft. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 3: Fabian Greilinger (1860) wird von Adriano Grimaldi (Saarbrücken) etwas härter vom Ball getrennt, das Spiel läuft weiter. Direkt danach fährt Stephan Salger (1860) gegen Robin Scheu (Saarbrücken) den Arm aus, es gibt Elfmeter für den FCS. Bei der anschließenden Ausführung stoppt Julian Günther-Schmidt kurz ab, der Treffer zählt dennoch. [TV-Bilder – ab Minute 1:54:35]

Babak Rafati: Die Aktion von Grimaldi gegen Greilinger ist ballorientiert – somit liegt kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Anschließend kommt es im Strafraum von 1860 zu einem Zweikampf zwischen Salger und Scheu, bei dem Scheu zu Fall kommt. Natürlich hat Salger den Arm oben dran, allerdings ist dieses "Bearbeiten" kein Foulspiel, sondern vielmehr ein handelsüblicher Zweikampf, den Scheu zum Anlass nimmt, sich fallen zu lassen. Zudem zieht Scheu den Arm seines Gegenspielers etwas zu sich. Elfmeter müssen klar und deutlich sein und keine Cheap-Penalties, wie es beim diesjährigen DFB-Lehrgang der Schiedsrichter angewiesen wurde. In dieser Szene wird mehr geschundet als alles andere, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, diesen Elfmeter für Saarbrücken zu geben. Scheu erkennt vielleicht auch, dass er in einer ungünstigeren Position als der Verteidiger ist und kommt deshalb zu Fall. Es ist natürlich müßig, darüber zu spekulieren, ob der Schiedsrichter in dieser Szene womöglich eine Konzessionsentscheidung trifft, weil er zuvor bei zwei Szenen keinen Elfmeter für Saarbrücken gepfiffen hat.

Beim anschließenden Elfmeter sehen wir die Ausführung dessen in Lewandowski-Manier, die erlaubt ist. Der Schütze darf beim Anlauf nicht komplett stehenbleiben, sondern muss beim Verzögern der Ausführung die Bewegung aufrechterhalten. Auch wenn es in dieser Szene optisch den Anschein macht, dass Günther-Schmidt kurz abstoppt, so ist das regeltechnisch noch vertretbar. Eine richtige Entscheidung, die Ausführung des Elfmeters nicht zu unterbinden und den anschließenden Treffer für Saarbrücken anzuerkennen. Zugegebenermaßen ist die Regel ein wenig widersprüchlich.

Szene 4: Nach einem langen Ball ist Julian Günther-Schmidt (Saarbrücken) frei durch und geht gegen Niklas Lang (1860) im Strafraum zu Fall. Der Schiedsrichter lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 2:01:35]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von 1860 legt sich Günther-Schmidt den Ball vor, während Gegenspieler Lang einen Moment zu spät kommt, dem Angreifer nur noch gegen den Fuß tritt und ihn dadurch zu Fall bringt. Das ist ein klares Foulspiel und hätte einen Elfmeter für Saarbrücken sowie die gelbe Karte gegen Lang nach sich ziehen müssen. Eine rote Karte deshalb nicht, weil das Vergehen im Kampf um den Ball passiert und nicht gegnerorientiert ist. Eine Fehlentscheidung allerdings, gar nicht zu pfeifen und weiterspielen zu lassen.

Szene 5: An der Seitenlinie wird Semi Belkahia (1860) von Robin Scheu rüde umgegrätscht, Kessel belässt es bei einer Ermahnung. [TV-Bilder – ab Minute 2:06:45]

Babak Rafati: Auch wenn Scheu an der Seitenlinie den Ball spielt, so geht er schon sehr rustikal in den Zweikampf, trifft dabei auch seinen Gegenspieler Belkahia und räumt ihn ab. Das ist ein rücksichtsloser Einsatz, der zwingend eine gelbe Karte nach sich ziehen muss. Eine Fehlentscheidung, diese Karte nicht zu zeigen.

 

Szene 6: Felix Higl (Osnabrück) kommt im Strafraum an den Ball und wird von Niklas Kastenhofer (Halle) getroffen und zu Fall gebracht. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Florian Exner. [TV-Bilder – ab Minute 2:00]

Babak Rafati: Im Strafraum von Halle prallt der Ball von Kastenhofer vor die Füße von Higl. Dieser legt sich den Ball vor, bevor er von Kastenhofer in die Füße getroffen und zu Fall gebracht wird. Der Schiedsrichter steht eigentlich optimal und hat freie Sicht. Zudem ist er fokussiert auf diesen Zweikampf, was man an der Körperspannung sehr gut erkennen kann. Warum er trotzdem diesen fälligen Elfmeter für Osnabrück nach Foulspiel nicht pfeift, ist nicht nachvollziehbar. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 7: Nach einer Flanke köpft Felix Higl (Osnabrück) den Ball auf das Tor, wird dabei aber von Niklas Kreuzer (Halle) geschubst. Exner pfeift erneut nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:20]

Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum von Halle hat Higl eine gute Torchance, wird aber beim Versuch des Kopfballs von Kreuzer mit beiden Armen kurz und ansatzlos nach vorne geschubst, sodass er nicht hinter den Ball kommt und das Spielgerät nicht platziert genug treffen kann. Stattdessen geht der Ball nach dem missglückten Kopfball über das Tor. Das ist ein Foulspiel und es hätte einen Elfmeter für Osnabrück sowie die gelbe Karte gegen Kreuzer geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter nicht zu pfeifen. Wenn man sich mal den Verteidiger, der das Foulspiel begeht, wegdenkt, sieht man sehr gut, dass der Ball gar nicht so hoch hereingeflankt wird, sodass Higl aus seiner Position ohne dabei hochspringen zu müssen, den Ball sogar aus dem Stand auf das Tor hätte bringen können. Er hätte somit nicht nach vorne laufen müssen.

Natürlich könnte man auch argumentieren, dass die Aktion von Kreuzer nur gegnerorientiert ist und Higl nur noch einköpfen braucht. Aber für eine rote Karte muss regeltechnisch unter anderem die Ballkontrolle gegeben sein. In diesem Fall ist der Ball aber noch in der Luft. Auch wenn hier der Angreifer nicht reklamiert: Nicht immer ist das Protestieren eines Spielers ein Grund für eine Fehlentscheidung – es ist eher ein Indiz. Hier stellt sich der Fall aber klar und deutlich dar, mit oder ohne protestieren.

 

Szene 8: Nach einem Zusammenprall zwischen Felix Götze (Kaiserslautern) und Rolf Feltscher (Duisburg) bleiben beide Spieler liegen, Schiedsrichter Konrad Oldhafer lässt zunächst weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:58:25]

Babak Rafati: Bei solchen Szenen, bei denen es zu Kopfverletzungen kommt, sind die Schiedsrichter dazu angehalten, das Spiel sofort zu unterbrechen. Der beste Zeitpunkt der Unterbrechung war in diesem Fall, als der Torwart den Ball abgefangen hatte. Bevor der Keeper den Ball abwirft, um einen Angriff einzuleiten, macht der Schiri auch Anzeichen, das Spiel zu unterbrechen, indem er kurz zögert und die Pfeife zum Mund führt. Warum er aber dann trotzdem weiterspielen lässt, ist nicht nachvollziehbar und absolut unverständlich. Letztendlich liegt die Entscheidung nur beim Schiedsrichter, wann eine ernsthafte Verletzung vorliegt und ob eine Spielunterbrechung erforderlich ist. Aber in diesem Fall ist gerade diese Entscheidung – das Spiel zu unterbrechen – unausweichlich und somit liegt eine sehr unglückliche Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen. So etwas muss ein Schiedsrichter einfach erkennen und die Anweisungen konsequent einhalten. Die Gesundheit der Spieler steht über allem.

Szene 9: Für einen Armeinsatz im Strafraum gegen Rolf Feltscher (Duisburg) sieht der bereits gelb-verwarnte Daniel Hanslik (Kaiserslautern) Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:07:00]

Babak Rafati: Nach einem Einwurf kommt es zu einem Luftzweikampf zwischen Feltscher und Hanslik. Dabei springt Hanslik zum Kopfball hoch, hat den Arm draußen und berührt seinen Gegenspieler leicht im Gesicht. Das ist ein Foulspiel. Allerdings liegt keine aktive Bewegung oder gar ein Schlag vor, um eine persönliche Strafe auszusprechen. In dieser Szene hätte ein Freistoßpfiff allein vollkommen ausgereicht. Eine Karte für diese Szene zu zeigen, ist überzogen und somit eine Fehlentscheidung.

 

Szene 10: Enes Küc (Berlin) wird auf dem Weg in Richtung Tor von Andreas Müller (Magdeburg) gefoult, Schiedsrichter Arne Aarnink lässt weiterlaufen. Aus dem Angriff fällt das 1:0 für Magdeburg. [TV-Bilder – ab Minute 21:50]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf stellt Müller nur den Körper in den Weg und kann Küc regelkonform vom Ball trennen, auch wenn dieser zu Fall kommt. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, das Spiel weiterlaufen zu lassen.

 

Szene 11: Nach einem Freistoß für den SV Meppen wird Lars Bünning (Meppen) von Gino Fechner (Wiesbaden) im Strafraum am Trikot gezogen. Schiedsrichter Steven Greif gibt Elfmeter für den SVM. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]

Babak Rafati: Nach einem Freistoß für Meppen will Bünning in Position laufen, wird dabei allerdings von Fechner am Trikot gehalten und zu Fall gebracht. Bei Standards ist es leider oftmals üblich, dass es nach/während der Ausführung zu solchen Haltevergehen kommt. Für die Schiedsrichter ist es aufgrund der vielen Pärchenbildungen nicht immer einfach, alles im Blick zu behalten. In dieser Szene steht der Schiedsrichter glänzend und ebenso glänzend erkennt er sofort das Trikotvergehen von Fechner, das ursächlich für das Zufallkommen von Bünning ist. Er gibt somit vollkommen zu Recht einen Elfmeter für Meppen.

 

Szene 12: Im Strafraum kommt Moritz Schwermann (Verl) an den Ball und geht gegen Yannik Engelhardt (Freiburg II) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Richard Hempel. [TV-Bilder – ab Minute 1:50:20]

Babak Rafati: Schwermann wird im gegnerischen Strafraum angespielt und legt sich den Ball vor. Dabei kommt Gegenspieler Engelhardt hinzu und geht in den Zweikampf, indem er ihm am linken Fuß trifft und entscheidend zu Fall bringt. Das ist ein Foulspiel, und es hätte einen Elfmeter für Verl geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen, zumal der Schiedsrichter eine gute Position und freien Blick auf die Szene hat.

 

Weiterlesen: Wer bisher am häufigsten benachteiligt wurde

 

   

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