Strittige Szenen am 19. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Elfmeter für Magdeburg, Köln, Duisburg und Wiesbaden, die verwehrten Strafstöße für Verl, Kaiserslautern und Saarbrücken, die Platzverweise gegen Andreas Müller und Richmond Tachie, das 2:1 für Verl, das 2:1 für Türkgücü und das 1:1 für Havelse sowie die Foulspiele von Kühn, Schuler, Buballa, Sorge und Fölster: Am 19. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 17 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Bei einem langen Ball kommt Philipp Kühn (Osnabrück) aus seinem Tor heraus und will das Spielgerät außerhalb des Strafraums klären, trifft dabei aber nur Luca Schuler (Magdeburg). Schiedsrichter Robert Schröder belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 33:35]
Babak Rafati: Keeper Kühn läuft aus seinem Tor heraus und will zwar den Ball spielen, kommt aber etwas zu spät und erreicht den Ball nicht mehr. Schuler wiederum ist etwas früher am Ball und legt sich das Spielgerät vor, aber deutlich weg vom Tor und Richtung Außenbahn. Somit wird keine Torchance vereitelt, sodass die Frage nach einer roten Karte verneint werden muss. Die entscheidende Frage ist nunmehr, ob überhaupt ein Foulspiel des Keepers vorliegt. Diese Frage kann man bejahen. Das Foul ist allerdings nicht so schlimm, wie es im ersten Moment aussieht. Der Keeper trifft den Angreifer nicht mit dem Bein, mit dem er zum Ball will und etwas zu spät ist, sondern mit dem Nachziehbein. Das passiert im normalen Bewegungsablauf, sodass dieses Vergehen nicht brutal, sondern vielmehr rücksichtslos ist. Somit ist die gelbe Karte absolut richtig und angemessen.
Prima, wie der Schiedsrichter den Überblick behält und den Spielern durch Hinzunahme seiner Gestik signalisiert, dass es keine rote Karte geben kann, da der Ball nach außen gespielt wurde, also vom Tor weg. Somit liegt eine richtige Entscheidung mit einer sehr guten Außenwirkung für alle Beteiligten vor.
Szene 2: Der bereits gelb-verwarnte Luca Schuler (Magdeburg) geht mit dem Bein voraus in einen Zweikampf mit Ulrich Taffertshofer (Osnabrück), kommt aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:46:05]
Babak Rafati: In dieser Szene kommt der bereits gelb-verwarnte Schuler im Mittelfeld gegen Taffertshofer einen Moment zu spät und will sicherlich auch den Ball spielen, jedoch trifft er nur das Knie seines Gegenspielers. Das ist unumstritten ein Foulspiel. Dadurch, dass er das Bein im letzten Moment zurückzieht, ist das Foulspiel nicht mehr brutal und somit nicht mit der roten Karte zu sanktionieren. Das Foulspiel ist jedoch rücksichtslos, sodass eine gelbe Karte vorgeschrieben ist. Schuler hätte in der Folge die Ampelkarte sehen müssen. Diese Ampelkarte nicht zu zeigen, ist viel zu großzügig und somit eine Fehlentscheidung.
Szene 3: Für ein Foulspiel an Sören Bertram (Osnabrück) sieht Andreas Müller (Magdeburg) Gelb, was die Ampelkarte zur Folge hat. [TV-Bilder – ab Minute 2:09:40]
Babak Rafati: Bertram läuft mit dem Ball am Fuß auf der rechten Außenbahn und will einen guten Angriff in Richtung gegnerisches Tor einleiten. Dabei wird er von seinem Gegenspieler Müller durch Beinstellen zu Fall gebracht. Auch wenn Müller den Angreifer nicht entscheidend am Fuß trifft, bringt er ihn dennoch durch das Bein-Ausfahren zu Fall. Das ist ein taktisches Foulspiel, und somit eine absolut richtige Entscheidung, diese gelbe Karte gegen Müller, die dann zur Ampelkarte führt, zu zeigen.
Szene 4: Florian Kath (Magdeburg) geht im Strafraum gegen Maurice Trapp (Osnabrück) zu Fall, Schröder gibt Elfmeter für den FCM. [TV-Bilder – ab Minute 2:25]
Babak Rafati: Kath legt sich den Ball im gegnerischen Strafraum an Gegenspieler Trapp vorbei, und dieser will mit dem langen Bein zum Ball grätschen. Er trifft Kath jedoch am Fuß und bringt ihn entscheidend zu Fall. Eine richtige Entscheidung, einen Elfmeter für Magdeburg zu geben.
Szene 5: Nach einem Foul von Sebastian Müller (Braunschweig) an Simon Handle (Köln) kurz vor der Strafraumlinie gibt Schiedsrichter Patrick Alt Elfmeter für Köln. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]
Babak Rafati: Das Foul von Müller an Handle ist tatsächlich knapp außerhalb des Strafraums. Durch die Vorwärtsbewegung und resultierend daraus, dass der Sturz in den Strafraum erfolgt, ist es sehr schwierig, im normalen Ablauf den genauen Tatort auszumachen. Der Schiedsrichter selbst kann aus seiner Position – hinter dem Geschehen – nicht zweifelsfrei den Tatort festlegen. Deshalb läuft er zögerlich und schaut gleichzeitig zu seiner Assistentin heraus, die eine optimale Position von der Seite hat, um Unterstützung zu bekommen. Die Assistentin signalisiert anweisungsgemäß klar und deutlich, dass das Vergehen innerhalb des Strafraumes ist, indem sie Richtung Torlinie läuft. Dieses nimmt der Schiedsrichter final zum Anlass, um auf Elfmeter für Köln zu entscheiden. Das ist allerdings eine Fehlentscheidung. So etwas kann aber auch die Assistentin aus einer sehr guten seitlichen Position nur mit einem Standbild richtig erkennen.
Szene 6: Daniel Buballa (Köln) hält im Mittelfeld gegen Bryan Henning (Braunschweig) drüber, kommt aber mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 59:30]
Babak Rafati: Buballa geht im Mittelfeld gegen Henning in den Zweikampf, indem er mit dem Fuß ausholt und seinem Gegenspieler gegen den Fuß tritt. Dadurch, dass er aber nicht mit der offenen Sohle sowie nicht mit gestrecktem Bein zu Werke geht, liegt lediglich ein rücksichtsloses Foulspiel vor. Somit handelt es sich nicht um brutales Spiel, bei dem die Gesundheit des Gegenspielers gefährdet wird. Eine richtige Entscheidung, Buballa für dieses Vergehen, das nicht übermäßig hart ist, lediglich die gelbe Karte zu zeigen. Natürlich wollte Buballa vorher ein Foul an ihn gepfiffen haben, und deshalb setzt er in dieser Art und Weise nach.
Szene 7: Cyrill Akono (Verl) wird im Strafraum von Niclas Stierlin (Duisburg) am Fuß getroffen. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Wolfgang Haslberger. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf wird Akono von seinem Gegenspieler Stierlin am Fuß getroffen und zu Fall gebracht. Auch wenn Stierlin nicht beabsichtigt, Foul zu spielen und eher gewillt ist, den Angreifer branchenüblich ein wenig zu stören und daran zu hindern weiterzulaufen, liegt dennoch ein Foulspiel vor. Denn der Tritt ist ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers. Es hätte somit einen Elfmeter für Verl geben müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
Szene 8: Im Mittelfeld wird Alaar Bakir (Duisburg) von Frederik Lach (Verl) gefoult, Haslberger lässt weiterlaufen. Aus dem Angriff fällt das 2:1 für Verl. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]
Babak Rafati: Lach nimmt im Mittelfeld das Bein klar heraus und bringt dadurch seinen Gegenspieler Bakir zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Freistoß für Duisburg geben müssen. Eine Fehlentscheidung, das Spiel weiterlaufen zu lassen und das anschließende Tor für Verl anzuerkennen.
Szene 9: Kolja Pusch (Duisburg) geht im Strafraum gegen Emanuel Mirchev (Verl) zu Boden. Strafstoß für den MSV. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]
Babak Rafati: Bei dieser Szene im Strafraum von Verl will Mirchev sicherlich zum Ball, kommt aber einen Moment zu spät und trifft Pusch, wenn auch unbeabsichtigt, gegen den Fuß und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel – auch wenn der Kontakt von Pusch dankend angenommen wird. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, diesen Elfmeter für Duisburg zu geben.
Szene 10: Nach Vorlage von Albion Vrenezi trifft Petar Sliskovic zum 1:2 für Türkgücü. Lautern reklamiert Abseits, Schiedsrichter Eric Müller gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]
Babak Rafati: Auch wenn diese Szene mit den vorliegenden TV-Bildern nicht zweifelsfrei aufzulösen ist, steht Sliskovic zum Zeitpunkt des Abspiels vom Mitspieler Vrenezi tendenziell hinter dem Ball, sodass keine Abseitsposition vorliegt und die Entscheidung richtig sein müsste.
Szene 11: Im Strafraum bekommt Daniel Hanslik (Kaiserslautern) bei einem Luft-Zweikampf den Ellenbogen von Mergim Mavraj (Türkgücü) ins Gesicht, geht zu Boden und muss ausgewechselt werden. Einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]
Babak Rafati: Nach einer langen Flanke kommt es zu einem Luftzweikampf. Dabei springt Mavraj zum Kopfball hoch und hat zunächst den linken Arm in natürlicher Haltung, nimmt diesen dann aber im letzten Moment etwas heraus und trifft seinen Gegenspieler Hanslik im Gesicht. Auch wenn das kein Schlag ist, der eine rote Karte nach sich ziehen würde, liegt dennoch ein Vergehen vor. Dieses Zweikampfverhalten dient nur dazu, um den Gegner vom Ball wegzuhalten. Wenn es – wie in diesem Fall – dann aber zum "Treffer" kommt, liegt ein Foulspiel vor. Somit hätte es einen Elfmeter für Kaiserslautern sowie die gelbe Karte gegen Mavraj geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 12: Für einen Tritt in den Rücken von Boris Tomiak (Kaiserslautern) kommt Alexander Sorge (Türkgücü) mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 2:16:10]
Babak Rafati: Bei diesem Tritt von Sorge gegen Tomiak im Strafraum von Kaiserslautern ist der Blick des Angreifers nur zum Ball gerichtet. Er hat den Gegenspieler dabei im Rücken, sodass er ihn gar nicht sehen kann. Das Foulspiel ist eher unglücklich und nicht böswillig oder übermäßig hart. Dieser Einsatz ist lediglich rücksichtslos, sodass die gelbe Karte absolut angemessen ist.
Szene 13: Tobias Fölster (Havelse) geht mit hohem Bein in einen Zweikampf mit Joseph Boyamba (Mannheim) und trifft ihn am Kopf. Schiedsrichter Dr. Robin Braun lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 50:35]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf geht Fölster extrem hohes Risiko ein und nimmt das Bein sehr hoch, um den Ball zu klären. Er spielt schlussendlich auch das Spielgerät, touchiert aber auch Gegenspieler Boyamba am Nacken. Das ist ein Foulspiel und muss unterbunden werden. Zudem hätte es die gelbe Karte gegen Fölster geben müssen, da er rücksichtslos in den Zweikampf geht. Hätte er Boyamba sogar richtig getroffen, hätte es die rote Karte zur Folge, weil die Gesundheit des Gegenspielers gefährdet wäre. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 14: Nach einem Freistoß trifft Noah Plume zum 1:1 für Havelse. Mannheim reklamiert Abseits, der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:50]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum von Mannheim wird der Ball per Kopfball verlängert. Dabei steht ein Havelser Spieler, der den Ball anschließend zu einem weiteren Mitspieler in die Mitte passen kann, deutlich im Abseits, und Havelse kann anschließend zum Ausgleich treffen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den Treffer anzuerkennen. Unerklärlich, wie diese klare Abseitsposition vom Assistenten übersehen werden kann. Selbst bei der Fragestellung, ob womöglich der Verteidiger und nicht ein Angreifer den Ball weitergeköpft haben könnte, müsste mit dem Schiedsrichter zunächst kommuniziert werden, bevor man final darüber entscheidet.
Szene 15: Im Strafraum wird Maurice Deville (Saarbrücken) von Claudio Kammerknecht (Freiburg II) mit den Armen abgedrängt und kracht in die Bande, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Martin Speckner nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:52:00]
Babak Rafati: Beim Zweikampf im Strafraum von Freiburg will Deville den Ball in den Strafraum bringen und kommt dabei selbst ins Straucheln. Gegenspieler Kammerknecht hilft natürlich auch etwas nach, in dem er den Angreifer mit dem Arm wegschiebt, sodass dieser unglücklich mit dem Kopf an die Bande knallt. Dieses Wegschieben ist allerdings branchenüblich und stellt noch kein Vergehen dar. Es ist einfach eine unglückliche und schmerzhafte Angelegenheit, dass Deville in der Folge gegen die Bande knallt, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen. Das anschließende Verhalten von Kammerknecht, zum Gegenspieler zu gehen und sich um ihn zu kümmern, verdeutlicht glaubwürdig, dass keine böse Absicht von ihm vorliegt.
Szene 16: Einen Schuss von Kevin Lankford (Wiesbaden) bekommt Janek Sternberg (Halle) im Fallen an den Arm, Schiedsrichter Franz Bokop gibt Elfmeter für Wiesbaden. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]
Babak Rafati: Schwierig für den Schiedsrichter zu bewerten, ob dieses Handspiel absichtlich erfolgt. Sternberg wirft sich mittels einer Grätsche vor den Ball und will mit aller Kraft und mit allen Mitteln den Ball blocken und somit verhindern, dass das Spielgerät in den eigenen Strafraum geflankt wird. Dabei nimmt er auch in Kauf, den Ball mit dem Arm zu spielen, sodass der Arm sehr weit mitschwingt. Das ist regeltechnisch dann als ein absichtliches Handspiel auszulegen, sodass die Entscheidung richtig ist, einen Elfmeter für Wiesbaden zu pfeifen.
Szene 17: Richmond Tachie (Dortmund II) setzt im Laufduell gegen Fabian Greilinger (1860) zur Grätsche an und sieht dafür von Schiedsrichter Nico Fuchs glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]
Babak Rafati: An der Seitenlinie läuft Tachie seinem Gegenspieler Greilinger hinterher und springt dann völlig übermotiviert und überhart mit voller Dynamik und hoher Intensität in die Beine des Gegenspielers und bringt ihn rüde zu Fall. Das ist ein brutales Spiel, nimmt eine Gesundheitsgefährdung des Gegenspielers in Kauf und hat nichts mit einem möglichen Ballspielen zu tun. Eine völlig richtige Entscheidung, Tachie die rote Karte für dieses überharte Einsteigen zu zeigen.
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