Fragen und Antworten nach dem Spielabbruch in Duisburg

Wegen rassistischer Äußerungen eines MSV-Anhängers gegenüber Osnabrücks Aaron Opoku ist die Partie zwischen dem MSV Duisburg und dem VfL Osnabrück am Sonntagnachmittag beim Stand von 0:0 nach 32 Minuten abgebrochen worden. liga3-online.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Die Hintergründe

Was ist passiert?

Es lief die 32. Minute. Nach einem abgefälschten Freistoß des VfL Osnabrück bekamen die Niedersachsen eine Ecke zugesprochen. Florian Kleinhansl und Aaron Opoku, in Hamburg geboren mit ghanaische Wurzeln, gingen zur Eckfahne, wobei Kleinhansl wie schon einige Minuten zuvor die Ecke ausführen wollte. Doch noch bevor es dazu kam, wurden von der angrenzenden Tribüne offenbar rassistische Rufe eines Anhängers der MSV Duisburg getätigt. Sowohl Kleinhansl als auch Opoku zeigten ins Publikum und diskutierten mit Linienrichter Fabian Schneider. Dieser informierte über das Headset Schiedsrichter Nicolas Winter, der hinzugeilt kam und Opoku befragte. Dem Osnabrücker Flügelspieler stand der Schock dabei ins Gesicht geschrieben, immer wieder schüttelte er ungläubig den Kopf. Spieler beider Mannschaften kamen hinzu, nach etwa 20 Sekunden gingen alle Akteure geschlossen vom Platz, dabei legte Osnabrücks Gugganig den Arm um Opoku. In der Kabine diskutierten Vertreter beide Vereine mit dem Schiedsrichter-Team anschließend, wie es weitergehen soll. Nach rund 20 Minuten entschied der VfL Osnabrück dann, nicht mehr anzutreten, weil sich Opoku nach den rassistischen Beleidigungen nicht im Stande sah, weiterzuspielen. Daraufhin wurde die Partie abgebrochen.

Wie hat Schiedsrichter Nicolas Winter den Vorfall wahrgenommen?

Bei "MagentaSport" sagte Winter nach der Partie: "Es gab einen Eckstoß für den VfL Osnabrück, dabei wurden Affenlaute von der Tribüne gerufen." Das hätten Opoku und der Linienrichter "sofort wahrgenommen", beide hätten ihm den Vorgang dann so geschildert. Das sei etwas, "wo wir sehr sensibel sind und auch direkt reagieren. Ich habe versucht, mich direkt um ihn (Opoku, d. Red.) zu kümmern und habe gesehen, wie schockiert er war und gar nicht richtig aufnahmefähig war, als ich ihn ansprechen wollte."

Normalerweise gibt es für Vorfälle dieser Art einen Drei-Stufen-Prozess, bei dem zunächst eine Stadiondurchsage veranlasst wird. "Aber er (Opoku) war überhaupt nicht ansprechbar, und auch die Mannschaften sind schnell in Richtung Kabine gegangen, sodass wir die erste Stufe der Unterbrechung schnell überspringen mussten und in die Kabine gegangen sind, um uns um den Spieler zu kümmern." In den Katakomben sei Winter dann direkt zum Spieler in die Kabine gegangen: "Das war mir sehr wichtig, um ihm zu signalisieren, dass wir für ihn da sind und ihn schützen." In Ansprache mit den beiden Sportdirektoren sowie den Kapitänen habe das Schiedsrichter-Gespann beiden Teams weitere Bedenkzeit eingeräumt. "Wir haben dann vom VfL die Mitteilung bekommen, dass sie nicht weiterspielen möchten, was wir natürlich akzeptieren."

Was soll der Fan gerufen haben?

Laut Polizei, die sich auf Zeugenaussagen beruft, soll der Fan – ein 55-jähriger Mann – "Du Affe kannst eh keine Ecken schießen!" gerufen haben.

 

"Können Affenlaute derzeit nicht bestätigten"

Was hat der Tatverdächtige bei der Polizei ausgesagt?

Wie die Pressestelle der Polizei Duisburg auf Anfrage von liga3-online.de mitteilte, habe der Tatverdächtige im Rahmen der Vernehmung am Sonntag eingeräumt, den Satz "Du Affe kannst eh keine Ecken schießen" gesagt zu haben. Allerdings habe er damit nicht den dunkelhäutigen Aaron Opoku, sondern Florian Kleinhansl, der die Ecke schießen wollte, gemeint. Zeugen, die nach eigenen Angaben im entsprechenden Block gesessen haben und den Vorfall hautnah mitbekommen haben wollen, bestätigten das.

Zu Affenlauten soll es den Zeugen zufolge nicht gekommen sein, auch im Polizeibericht werden diese nicht erwähnt. "Wir können Affenlaute derzeit nicht bestätigten", erklärte die Polizei auf Nachfrage. Die von Schiedsrichter Nicolas Winter zu Protokoll gebrachten Affenlaute seien derzeit aber noch "Gegenstand der Ermittlungen", wie es heißt. Im Laufe der nächsten Tage sollen weitere Zeugen befragt werden. Auch Videos sollen gesichtet werden. Der 55-jährige Beschuldigte sei bisher aber "noch nie polizeilich" aufgefallen. Man habe "keinerlei" Erkenntnisse darüber, dass er rassistisch veranlagt sein könnte.

Könnte es sich also um ein "Missverständnis" gehandelt haben, weil Opoku gar nicht gemeint war?

Das lässt sich derzeit nicht seriös beantworten, weil Aussage gegen Aussage steht. Zunächst müssen die weiteren Ermittlungen abgewartet werden. Die "Bild" berichtet allerdings, dass es im Laufe der Partie mehrmals zu Affenlauten gekommen sein soll. Bestätigt ist das aber nicht.

Wurde auch Duisburgs Leroy Kwadwo, wie zunächst im Raum stand, rassistisch beleidigt?

Leroy Kwadwo, im Februar 2020 als Spieler der Würzburger Kickers bei der Partie in Münster selbst Opfer einer rassistischen Beleidigung, wollte die Situation mit Opoku vor der Tribüne schlichten und wurde dabei ebenfalls beleidigt. Wie MSV-Pressesprecher Martin Haltermann aber nach der Partie sagte, würden "keine Erkenntnisse" darüber vorliegen, dass Kwadwo rassistisch beleidigt worden sei. Laut Haltermann sei er aber "definitiv" von dem 55-Jährigen beleidigt worden.

Die besagte Partie in Münster war damals nach etwa zehnminütiger Unterbrechung fortgesetzt worden, nachdem der Fan, der die rassistischen Parolen geäußert hatte, des Stadions verwiesen worden war. Im Anschluss hatte sich Kwadwo für Spielabbrüche bei Rassismus-Vorfällen ausgesprochen.

 

"Er saß in der Kabine und hat geweint"

Wie reagierte der MSV Duisburg?

MSV-Präsident Ingo Wald zeigte sich auf einer Pressekonferenz nach der Partie in einer Mischung aus Wut, Enttäuschung und Traurigkeit: "Wir sind alle schockiert und fassungslos. Es tut uns sehr leid, was da passiert ist. Das entspricht nicht unseren Werten. Einige wenige zerstören den Fußball – das ist nicht zu tolerieren." Jeder einzelne dieser Chaoten sei einer zu viel. "Es ist mir einfach unbegreiflich, wie man diesen Sport, den wir so sehr lieben, dermaßen sabotieren kann. In kaum einer Stadt finden so viele unterschiedliche Nationen zusammen wie hier in Duisburg. Gerade deswegen entsetzt es uns umso mehr. Wir müssen uns entschieden dagegen wehren und werden alles dran setzen, so etwas künftig zu verhindern. Ich hoffe, dass das ein Weckruf für alle ist."

Auch Pressesprecher Martin Haltermann war sichtlich mitgenommen und "völlig sprachlos", sprach von einem "ganz schweren Moment" und einem "absoluten Tiefpunkt in der Vereinsgeschichte. Es ist hoffentlich die letzte Warnung für alle Hohlköpfe, die es in diesem Land noch gibt, jeden Menschen so zu akzeptieren und zu respektieren, wie er ist." Im Namen des ganzen Vereins entschuldigte sich Haltermann mehrfach beim VfL und betonte: "Es ist absolut nachvollziehbar, dass Osnabrück nicht mehr weiterspielen kann. Wir haben mehr als Verständnis dafür, unterstützen das auch und können uns nur furchtbar schämen."

Wie reagierte der VfL Osnabrück?

Geschäftsführer Michael Welling zeigte sich "schockiert" über den Vorfall und begründete die Entscheidung, nicht mehr antreten zu wollen, so: "Aaron war fix und fertig und nicht mehr in Lage, weiterzuspielen. Wir haben dann entsprechend zu Protokoll gegeben, dass wir eben nicht mehr antreten." Denn es sei nicht damit getan, irgendwelche Sprüche auf Papier zu drucken oder Fahnen hochzuhalten, sondern man müsse ein klares Zeichen gegen Rassismus und für Mitmenschlichkeit setzen. "Das haben wir im Sinne der Sache getan – unabhängig davon, welche sportrechtlichen Konsequenzen folgen könnten. Wenn wir als VfL keine Punkte bekommen, dann ist das so. Aber wir stehen als VfL voll hinter, neben und vor Aaron Opoku. Wir lassen ihn nicht allein – das hat auch die Mannschaft signalisiert", sagte Welling und hofft, "dass solche Vorfälle durch unsere Reaktion künftig nicht mehr vorkommen. "Durch das Nicht-Antreten wollten wir klar machen, dass solche Vorfälle nicht zu tolerieren sind. Das ist die Kraft, die der Fußball hat".

Einen Vorwurf machte er dem MSV als Veranstalter nicht: "Es handelt sich um ein gesamt-gesellschaftliches Problem, das im Fußball Wiederhall findet. Es hätte auch in Osnabrück passieren können", so Welling, der die Reaktion des Schiedsrichter als "hervorragend" bezeichnete und hofft, dass der MSV nicht durch das Verhalten "eines Idioten" bestraft werde. "Hier geht es nicht um den VfL oder den MSV, hier geht es um Rassismus."

Wie erging es Aaron Opoku in der Kabine?

Torwarttrainer Rolf Meyer schildert gegenüber "Sport1": "Er saß in der Kabine und ich glaube, er weinte. Es war furchtbar. Er hat gar kein Wort mehr gesagt. Nach einigen Minuten meinte er nur: 'Ich gehe da nicht mehr raus.' Das hat ihn natürlich sehr betroffen gemacht und uns auch. Es war keine schöne Situation." Auch Welling berichtete gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Unmittelbar nach der Vorfall ging es ihm extrem schlecht. Er war sehr getroffen." Die Rückfahrt im Bus sei "ziemlich bedrückt" gewesen, so Meyer. Die gute Nachricht: "Aaron geht es schon wieder besser. Wir können ihm nur sagen, dass es ein einzelner Idiot war." Auch Welling bestätigte, dass es dem 22-Jährige besser gehe. Opoku selbst hat sich bislang noch nicht geäußert.

Was ist mit dem Fan passiert?

Noch während des zunächst unterbrochen Spiels konnte der Duisburger Anhänger, der die rassistischen Äußerungen getätigt haben soll, durch Zeugenaussagen umliegender MSV-Fans identifiziert und aus dem Stadion gebracht werden. Die Polizei hat umgehend eine Anzeige erstattet und die Zeugen sowie den Tatverdächtigen vernommen. Es handelt sich demnach um einen 55-jährigen Mann, der bisher polizeilich nicht in Erscheinung getreten war. Nach der Vernehmung durfte der MSV-Fan nach Hause gehen. "Der Staatsschutz der Polizei Duisburg ist informiert. Die weiteren Ermittlungen dauern an", teilte die Polizei mit. Direkt nach der Partie bekam der 55-Jährige ein Hausverbot beim MSV Duisburg ausgesprochen, zudem droht ihm nun ein lebenslanges Stadionverbot.

Wie reagierten die übrigen Fans?

Während der Unterbrechung skandierten Anhänger beider Lager "Nazis raus" und die Stadionregie spielte den Antifaschismus-Song "Schrei nach Liebe" von der Band "Die Ärzte" ein. Sowohl Welling als auch Wald lobten die Reaktion der übrigen Anhänger ausdrücklich.

 

Grüner Tisch und Wiederholung?

Wie reagiert der DFB?

Noch am Sonntagabend teilte der Verband mit, dass der Kontrollausschuss des DFB Ermittlungen aufnehmen wird. DFB-Vizepräsident Günter Distelrath begrüßte es "sehr, dass gemeinsam von den beiden Mannschaften, den Vereinsvertretern, dem Schiedsrichter-Gespann und auch von vielen Zuschauern richtigen Zeichen gesetzt wurden".

Wie wird das Spiel gewertet?

Das ist noch völlig offen. Der DFB teilte am Sonntagabend lediglich mit: "Das DFB-Sportgericht wird zu einem späteren Zeitpunkt über die Wertung des Spiels zu befinden haben." Fakt ist: Abgebrochen wurde die Partie nicht auf Wunsch des Schiedsrichters, sondern weil sich der VfL Osnabrück dazu entschied, nicht mehr weiterzuspielen. Möglich ist nun eine Wertung am grünen Tisch für den MSV Duisburg (durch das Nicht-mehr-Weiterspielen des VfL) oder den VfL Osnabrück (durch den Rassismus-Eklat). Denkbar aber auch, dass es zu einem Wiederholungspiel kommt. Für diese Lösung haben sich im Nachgang der Partie auch beide Vereine ausgesprochen – nicht zuletzt deswegen, um im Rahmen dieses Spiels "nochmal ein Zeichen gegen Rassismus setzen zu können", wie Welling betonte. Wald bezeichnete ein Wiederholungsspiel als "fairste und sportlich richtige Entscheidung". Am Montag sprachen sich beide Klubs in einer gemeinsamen Pressemitteilung nochmals dafür aus.

Gab es schon mal einen Spielabbruch wegen rassistischer Äußerungen?

Nein, zumindest nicht in Deutschland. Wohl aber vor einem Jahr bei der Champions-League-Partie zwischen Paris St. Germain und Basaksehir Istanbul, nachdem Istanbuls Co-Trainer Pierre Webo ein Gespräch der Schiedsrichter als rassistisch empfunden hatte. Die Partie wurde einen Tag später ab der 13. Minute fortgesetzt.

Wie reagiert die Politik?

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sprach von einem "widerwärtiger und nicht hinnehmbaren" Vorfall: "Probleme wie Ausgrenzung und Diskriminierung im Sport gehören ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Wir haben hier noch reichlich Nachholbedarf." Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius sagte gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Das ist die hässliche Fratze des Alltagsrassismus in unserem Land. Vorfälle wie dieser sind absolut widerwärtig." Sowohl Wüst als auch Pistorius lobten das Verhalten der übrigen Fans.

   

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