Strittige Szenen am 21. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Das 2:0 von Wiesbaden, das 2:2 und das 3:2 von 1860, die nicht gegebenen Elfmeter für Saarbrücken, Mannheim und Verl, der Strafstoß für Dortmund II, der verwehrte Treffer von Freiburg II sowie die Foulspiele von Saghiri und Al-Hazaimeh: Am 21. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zehn strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach einem langen Pass ist Kevin Lankford (Wiesbaden) in abseitsverdächtiger Position frei durch, geht zwar nicht an den Ball, stellt sich aber in den Laufweg von Stephan Salger (1860) und blockt damit den Weg für Dominik Prokop frei, der zum 2:0 für Wiesbaden trifft. Schiedsrichter Eric Müller gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:10]
Babak Rafati: Auch wenn Lankford den Ball nicht berührt, was für eine strafbare Abseitsposition auch nicht maßgeblich ist, irritiert er zunächst seinen Gegenspieler, in dem er zum Ball läuft und im letzten Moment abstoppt. Zudem kreuzt er den Weg von Salger und hindert diesen im Zweikampf, an den Ball zu kommen. Diese beiden Einzelaktionen sind schon jeweils an sich ein Kriterium für eine Abseitsposition, sodass der anschließende Treffer nicht hätte zählen dürfen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 2: Einen Schuss von Stephan Salger (1860) bekommt Semi Belkahia (1860) im Strafraum an den Arm und blockt ihn wieder zu Salger ab, der den Ausgleich erzielt. Der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]
Babak Rafati: Salger schießt den Ball auf das gegnerische Tor, allerdings bekommt Mitspieler Belkahia das Spielgerät aus kurzer Entfernung unbeabsichtigt an den Arm. Der Arm ist in natürlicher Haltung, sodass keine Absicht vorliegt. Bei nicht absichtlichem (!) Handspiel mit anschließender Torfolge hat sich die Regel mit Beginn dieser Saison dahingehend geändert, dass nur bei Unmittelbarkeit ein Handspiel geahndet wird. Unmittelbarkeit bedeutet, dass der Treffer nur dann nicht zählen würde, wenn der Torschütze selbst das Handspiel begehen und im Anschluss daran unmittelbar ein Tor erzielen würde. Somit eine richtige Entscheidung, den Treffer anzuerkennen.
Szene 3: Einen Freistoß von Richard Neudecker (1860) blockt Stefan Lex mit dem Oberarm ab, sodass der Ball seine Richtung ändert und zum 3:2 ins Tor fliegt. Auch diesen Treffer gibt Müller. [TV-Bilder – ab Minute 3:10]
Babak Rafati: Nach einem Freistoß von Neudecker bekommt Mitspieler Lex den Ball an den Arm, und von da aus prallt der Ball dieses Mal – anders als in der Szene zuvor – direkt ins gegnerische Tor. Wieder liegt kurioserweise im gleichen Spiel ein unabsichtliches Handspiel vor, aber dieses Mal geht der Ball direkt ins Tor, nachdem er am Arm von Lex war. Somit liegt eine Unmittelbarkeit vor, sodass das Tor nicht hätte zählen dürfen. Sicherlich hat der Schiedsrichter in der Dynamik des Ablaufs und im Spielerpulk nicht wahrgenommen, dass der Ball vom Arm abgeprallt ist. Daher eine schwierige Situation für ihn. Dennoch eine Fehlentscheidung, das Tor für 1860 München anzuerkennen.
Szene 4: Einen Schuss von Luca Kerber (Saarbrücken) blockt Ulrich Taffertshofer (Osnabrück) im Strafraum mit den Händen. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Mitja Stegemann. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]
Babak Rafati: Nach einem Schuss von Kerber auf das gegnerische Tor nimmt Taffertshofer im eigenen Strafraum den linken Arm in Torwartmanier hoch, bekommt den Ball aber nicht an diesen, sondern an den rechten Arm. Auch dieser ist nicht in natürlicher Haltung, sondern abgespreizt, sodass Taffertshofer in Kauf nimmt, den Ball mit irgendeinem Arm zu blocken. Das ist somit ein strafbares Handspiel, für das es einen Elfmeter für Saarbrücken sowie die gelbe Karte gegen Taffertshofer hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen, zumal der Schiedsrichter eine sehr gute Position zum Geschehen hatte und den Vorgang somit sehr gut hätte bewerten können.
Szene 5: Hamza Saghiri (Mannheim) will im Mittelfeld zum Ball und geht mit hohem Bein in den Zweikampf gegen Abdoulaye Kamara (Dortmund II). Dabei trifft er Kamara mit offener Sohle am Arm, kommt bei Schiedsrichter Dr. Robert Kampka aber mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 52:10]
Babak Rafati: Saghiri will im Mittelfeld zum Ball und richtet den Blick nur zum Spielgerät, sodass er bei diesem Zweikampf nicht beabsichtigt, den Gegner zu foulen. Allerdings geht er mit offener Sohle und gestrecktem Bein in den Zweikampf und trifft, dadurch, dass er zu spät kommt, seinen Gegenspieler Kamara am Arm und verletzt ihn hierbei. Das ist regeltechnisch ein brutales Foulspiel, weil bei diesem Einsatz eine Gesundheitsgefährdung des Gegners in Kauf genommen wird. Somit hätte es die rote Karte gegen Saghiri geben müssen. Eine Fehlentscheidung, es nur bei der gelben Karte zu belassen.
Szene 6: Nach einem langen Ball ist Dominik Martinovic (Mannheim) frei durch und kommt im Strafraum gegen Franz Pfanne (Dortmund II) zu Fall. Kampka lässt weiterspielen. [TV-Bilder – ab Minute 1:57:00]
Babak Rafati: Bei diesem Duell im Strafraum von Dortmund ist im Fußbereich alles sauber und somit regelgerecht. Im Oberkörperbereich stößt Martinovic im Laufduell gegen Pfanne an dessen Oberkörper, hilft anschließend selbst etwas nach, nimmt diesen Kontakt dankend an und kommt zu Fall. Allerdings ist auch hier alles im normalen Bewegungsablauf, sodass dieser Kontakt kein Foulspiel darstellt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 7: Justin Njinmah (Dortmund II) geht im Strafraum bei einem Laufduell mit Stefano Russo (Mannheim) zu Fall, es gibt Elfmeter für Dortmund II. [TV-Bilder – ab Minute 3:35]
Babak Rafati: Nach einer Hereingabe in den Strafraum von Mannheim kommt Njinmah in eine bessere Position zum Ball als sein Gegenspieler Russo. Dabei kreuzen sich die Laufwege, und Russo trifft Njinmah hinten in die Füße und bringt ihn dadurch zu Fall. Auch wenn Russo zum Ball schaut und womöglich gar nicht den Angreifer durch ein Foulspiel stoppen will – die Aktion quasi unbeabsichtigt ist -, liegt trotzdem ein Foulspiel vor. In solchen Szenen sollte ein Verteidiger lieber zurückziehen, statt in Kauf zu nehmen, den Gegenspieler durch einen Kontakt aus dem Tritt zu bringen. Eine richtige Entscheidung, einen Elfmeter für Dortmund zu geben.
Szene 8: Eine Flanke von Mika Baur bringt Claudio Kammerknecht (Freiburg II) im Tor unter. Schiedsrichter Patrick Hanslbauer entscheidet jedoch auf Stürmerfoul von Yannick Engelhardt (Freiburg II) an Luca Schuler (Magdeburg) und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf kommt es zwar zum Kontakt, aber diesen nimmt Schuler als Anlass, sich fallen zu lassen, da er erkennt, dass er nicht mehr an den Ball kommt. Das ist allerdings nicht im Ansatz ein Foulspiel von Engelhardt, zumal der Schiedsrichter eine gute Sicht auf den Zweikampf hat. Eine Fehlentscheidung, auf Foulspiel zu entscheiden und den regulären Treffer von Kammerknecht nicht anzuerkennen.
Szene 9: Jeron Al-Hazaimeh (Meppen) will im Laufduell mit Kenny Redondo (Kaiserslautern) eine Flanke verhindern und setzt zur Grätsche an, kommt aber zu spät und räumt Redondo rüde ab. Schiedsrichter Michael Bacher belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:32:15]
Babak Rafati: Auf der rechten Außenbahn kommt es zu einem Zweikampf zwischen Al-Hazaimeh und Redondo. Dabei grätscht Al-Hazaimeh aus vollem Lauf und mit viel Dynamik in die Beine von Redondo. Mit dem Nachziehbein räumt er ihn "nur" ab, aber mit dem linken Fuß trifft er Redondo im Knöchelbereich, sodass eine Gefährdung der Gesundheit des Gegenspielers in Kauf genommen wird. Das ist ein brutales Spiel und muss die rote Karte gegen Al-Hazaimeh nach sich ziehen. Eine Fehlentscheidung, es nur bei der gelben Karte zu belassen.
Szene 10: Hendrik Bonmann (Würzburg) will eine Flanke aus dem Strafraum fausten, trifft aber nur Gegenspieler Cyrill Akono (Verl), während der Ball auf seinen Kopf prallt. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Tom Bauer. [TV-Bilder – ab Minute 0:55]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den eigenen Strafraum wollen Keeper Bonmann und Stürmer Akono zum Ball. Dabei ist der Keeper schneller am Ball und faustet das Spielgerät vor dem Angreifer weg. Im Bewegungsablauf, nachdem der Torwart den Ball gespielt hat, touchiert er auch den Angreifer mit dem Ellenbogen am Kopf. Allerdings ist das ein normaler, handelsüblicher Zweikampf, bei dem der Ball Spielobjekt ist und keinesfalls ein Foulspiel vorliegt. Dass bei Zweikämpfen, die zum Ball gerichtet sind, trotzdem auch ein Kontakt zustande kommt, gehört naturgemäß zum Fußballspiel dazu. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen. Erwähnenswert ist, dass Akono sofort wieder aufsteht und keinen Aufstand macht, um einen Elfmeter zu schinden. Der Schiedsrichter zuckt nämlich unmittelbar nach dem Zweikampf etwas zusammen, signalisiert aber direkt nach Aufrappeln des Angreifers dass weitergespielt wird. Sehr sportlich von Akono. Respekt!
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