Strittige Szenen am 31. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die Elfmeter für Mannheim, die nicht gegebenen Strafstöße für Magdeburg, Saarbrücken, Duisburg und Dortmund II, das 1:0 von Köln, der verwehrte Treffer von Würzburg, das 3:1 von Osnabrück, ein Foulspiel von Higl (Osnabrück) sowie ein Zweikampf zwischen Seegert (Waldhof) und Neudecker (1860). Am 31. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Nach Luftzweikämpfen gehen sowohl Fabian Greilinger als auch Philipp Steinhart von 1860 zu Boden, das Spiel läuft weiter. Kurz danach will Lenadro Morgalla (1860) im Strafraum nach einem Kopfball von Marcel Seegert (Mannheim) klären, bekommt den Ball dabei aber an die Hand. Schiedsrichter Florian Badstübner gibt Elfmeter für 1860. [TV-Bilder – ab Minute 20:00]

Babak Rafati: Im ersten Zweikampf läuft Greilinger selbst beim Rückwärtslaufen gegen seinen Gegenspieler, der sich nicht in Luft auflösen kann. Auch sind die Arme des Gegenspielers im Bereich des Erlaubten, denn er schubst nicht. Beim zweiten Zweikampf will Steinhart zum Kopfball hoch, verschätzt sich dabei jedoch, springt am Ball vorbei und kommt selbstverschuldet und ohne Fremdeinwirkung auf dem Boden auf. Somit sind beide Zweikämpfe kein Foulspiel. Richtig, weiterspielen zu lassen.

Das anschließende Handspiel von Morgalla im eigenen Strafraum ist sicherlich eine grenzwertige Angelegenheit. Was für einen Elfmeter spricht ist, dass er den Arm abgespreizt hat und somit in Kauf nimmt, den Ball an den Arm zu bekommen, wenngleich er sicherlich den Ball nicht mit dem Arm spielen wollte und der Ball aus kurzer Entfernung kommt. Es ist eher die rücksichtslose Vorgehensweise, die dieses Handspiel strafbar macht. Morgallas Blick und seine möglichen Gedanken zu diesem verschuldeten Elfmeter sind auch vielsagend. Somit eine richtige Entscheidung, auf Elfmeter zu entscheiden, zumindest gemäß den Anweisungen.

Szene 2: Richard Neudecker (1860) bleibt nach einem Zweikampf mit Marcel Seegert (Mannheim) benommen liegen. Eine Karte sieht Seegert nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:26:10]

Babak Rafati: Bei diesem Luftzweikampf setzt Seegert zwar die Arme gegen Neudecker ein und foult diesen, allerdings ist ein Pfiff ohne Karte ausreichend. Das fällt unter die Kategorie "Allerweltsfoul." Die Verletzung, die Neudecker erleidet, resultiert nicht aus dem Armeinsatz, sondern aus einem Kopftreffer, der unabsichtlich passiert. Seegert köpft den Ball, und Neudecker will das gleiche auch tun, jedoch trifft er anstatt des Balls den Hinterkopf seines Gegenspielers, was natürlich große Schmerzen bei Neudecker verursacht. Eine richtige Entscheidung, lediglich auf Foulspiel zu entscheiden und keine Karte zu zeigen.

Szene 3: Nach einer Ecke bekommt Kevin Goden (1860) den Ball im Strafraum an die Hand, wieder gibt es Strafstoß für Mannheim. [TV-Bilder – ab Minute 1:42:20]

Babak Rafati: Der Ball wird nach einer Ecke verlängert, und Goden bekommt den Ball unmittelbar danach an den Arm. Er hat dabei eine absolut natürliche Haltung und versucht sogar noch den Arm wegzuziehen, was ihm aufgrund der kurzen Entfernung nicht mehr gelingt. Das ist ein klassisches Nicht-Handspiel. Genau diese Entscheidungen sind es, warum die Beteiligten die Handregel und diese "Rotations-Auslegung" Woche für Woche nicht verstehen. Der Schiedsrichter wird sicherlich nach Studium der Fernsehbilder einsehen, dass das eine klare Fehlentscheidung ist.

Anmerkung: Ich fände es zielführend, wenn die Schiedsrichter nach jedem Spiel der drei Topligen bei der Pressekonferenz dabei wären, um solche Szenen zu erklären. Dann würde diese Szene z.B. als eine Fehleinschätzung definiert werden, und es würde zumindest Klarheit bezüglich der Regel entstehen. Das schafft gleichzeitig mehr Akzeptanz und Glaubwürdigkeit, was das Schiedsrichterwesen unbedingt wieder bräuchte.

 

Szene 4: Nach einem Freistoß erzielt Moritz Fritz das 1:0 für Köln. Würzburg reklamiert, dass Luca Marseiller den Ball aus einer Abseitsposition heraus verlängert und dass Fritz den Ball an den Arm bekommt. Schiedsrichter Tobias Schultes gibt den Treffer dennoch. [TV-Bilder – ab Minute 0:35]

Babak Rafati: Beim Freistoß in den Strafraum greift Marseiller ins Spielgeschehen ein, indem er den Gegenspieler in einem Zweikampf daran hindert, an den Ball zu kommen. Somit ist die Abseitsposition strafbar, auch wenn er den Ball nicht berührt. Das Berühren des Balls ist nicht maßgeblich.

Im Anschluss bekommt Fritz den Ball an den Arm und köpft ihn unmittelbar danach ins gegnerische Tor. Somit hätte das Tor aus zwei Gründen nicht zählen dürfen (Abseits und danach unmittelbares Handspiel), sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, diesen Treffer anzuerkennen.

Szene 5: Im Anschluss an einen Freistoß trifft Fanol Perdedaj zum Ausgleich, allerdings entscheidet Schultes auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:25]

Babak Rafati: Aus der Hintertorkamera ist es nicht zweifelsfrei aufzulösen, ob eine Abseitsposition vorgelegen hat oder nicht. Man sieht nur die Füße, die tendenziell auf keine strafbare Position hindeuten, allerdings sind auch alle anderen Körperteile, außer die Hände und Arme, maßgeblich.

 

Szene 6: Tatsuya Ito (Magdeburg) dringt in den Strafraum ein, geht gegen Christoph Hemlein (Meppen) zu Fall und fordert einen Elfmeter. Schiedsrichter Konrad Oldhafer lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]

Babak Rafati: Tatsuya spielt seinen Gegenspieler Hemlein im Strafraum aus und legt sich den Ball an ihm vorbei. Hemlein hat keine Chance mehr an den Ball zu kommen, streckt das linke Bein aus, stellt dieses in den Laufweg von Tatsuya und bringt ihn dadurch entscheidend zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter für Magdeburg geben müssen, weil diese Attacke nur dem Angreifer galt. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 7: Im Strafraum geht Baris Atik (Magdeburg) bei einem Duell mit Steffen Puttkammer (Meppen) zu Boden. Kein Elfmeter, entscheidet Kampka. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]

Babak Rafati: Atik legt sich den Ball im gegnerischen Strafraum an Gegenspieler Puttkammer vorbei, und dieser will mit dem ausgestreckten Fuß den Ball abwehren. Auf den ersten Blick scheint es so, dass Puttkammer den Ball verfehlt, dem Angreifer den Fuß dadurch in den Laufweg stellt und ihn somit zu Fall bringt. Beim genauen Hinschauen stellt man aber fest, dass kein entscheidender Kontakt stattfindet, wenn überhaupt ein minimaler Kontakt. Das ist somit nicht ausreichend für einen Elfmeter. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Optimal wäre es natürlich, Atik obendrein die gelbe Karte zu zeigen, wobei man dem Schiedsrichter keinen Vorwurf machen kann, im Gegenteil. Wichtig war, dass die große und eigentliche Entscheidung passte, nämlich keinen Elfmeter zu geben. Übrigens wieder einmal ein Beleg dafür, wie wichtig auch Spielerverhalten sind und diese in die Entscheidung mit einzubeziehen. In diesem Fall das Verhalten von Atik und Puttkammer, das Bände spricht.

Szene 8: Nach einer Ecke will Jason Ceka (Magdeburg) zum Ball, geht aber im Duell mit Lukas Krüger (Meppen) zu Fall. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:08:15]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf spielt Ceka den Ball, und anschließend kommt es im normalen Bewegungsablauf zu einem Kontakt. Im Anschluss geht er theatralisch zu Fall. Das ist natürlich kein Foulspiel, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen

 

Szene 9: Robin Scheu (Saarbrücken) wird in der rechten Strafraumecke von Louis Samson (Halle) gefoult, Schiedsrichter Patrick Hanslbauer pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 29:15]

Babak Rafati: Scheu ist im gegnerischen Strafraum schneller am Ball und spielt das Spielgerät, sodass Samson etwas zu spät kommt und statt den Ball zu treffen, tritt er dem Angreifer auf die Füße. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter für Saarbrücken geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 10: Bei einer Hereingabe von Marvin Ajani (Duisburg) in den Strafraum bekommt Julian Hettwer (Duisburg) die Hand von Steffen Nkansah (Zwickau) ins Gesicht. Schiedsrichter Dr. Robert Kampka pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:20]

Babak Rafati: Bei einem Angriff der Duisburger Mannschaft über die rechte Seite führt Ajani den Ball am Fuß. Als er den Ball in die Mitte zu Mitspieler Hettwer passen will, kommt es beim Laufduell zwischen Hettwer und Nkansah zu einem Zweikampf. Dabei wollen beide zum Ball. Nkansah fokussiert sich dabei mehr auf den Gegenspieler als auf den Ball, nimmt atypisch die Hand zur Hilfe und trifft Hettwer ins Gesicht. Diese Bewegung im Laufduell passiert nicht im normalen Bewegungsablauf, sodass kein sogenannter "Unfall" vorliegt. Vielmehr wird in Kauf genommen den Gegner zu treffen, sodass es sich um ein Foulspiel handelt, das auch noch rücksichtslos ist. Es hätte somit einen Elfmeter für Duisburg und die gelbe Karte gegen Nkansah geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Das Nichtahnden liegt daran, dass der Schiedsrichter zum Zeitpunkt des Vergehens von Nkansah zum Flankengeber Ajani herausschaut und dieser Vorgang ihm somit verborgen bleibt. Mit etwas Cleverness hätte der Schiedsrichter sich mehr auf den entscheidenden Zweikampf in der Mitte konzentriert, weil der Flankengeber keinen unmittelbaren Gegenspieler hatte und somit kein Zweikampf stattfinden konnte, der ggf. hätte überwacht werden müssen.

 

Szene 11: Bei einem Luftzweikampf mit Patrick Kapp (Berlin) setzt Felix Higl (Osnabrück) den Ellenbogen ein und trifft ihn im Gesicht, kommt bei Schiedsrichter Nicolas Winter aber ohne Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 31:30]

Babak Rafati: Bei diesem Luftzweikampf ist Kapp schneller am Ball und spielt das Spielgerät mit dem Kopf. Sein Gegenspieler Higl kommt etwas zu spät, guckt nur zum Gegenspieler und nicht zum Ball. Er setzt den Ellenbogen ein und trifft Kapp kurz und ansatzlos am Kopf. Das ist zwar kein Ellenbogenschlag, der eine rote Karte zur Folge hätte, aber trotzdem ein Foulspiel, das rücksichtslos ist und somit neben der Freistoßentscheidung mit einer gelben Karte gegen Higl sanktioniert werden muss. Eine Fehlentscheidung, diese Karte nicht zu zeigen.

Szene 12: Nach einer Ecke köpft Sven Köhler (Osnabrück) den Ball auf das Tor, Viktoria-Keeper Julian Krahl schlägt den Ball zurück in das Feld. Winter entscheidet auf Tor. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]

Babak Rafati: Wenn man sich auf die Position der Torlinie und die Position des linken Armes von Keeper Krahl konzentriert, dann wird deutlich, dass der Ball die Torlinie mit vollem Umfang überschritten hat und somit die Torentscheidung richtig ist.

 

Szene 13: Bei einer Grätsche im eigenen Strafraum bekommt Michael Schultz (Braunschweig) den Ball nach einem Schuss von Bradley Fink (Dortmund II) an die Hand. Schiedsrichter Arne Aarnink lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]

Babak Rafati: Nach einem Torschuss von Fink grätscht Schultz zum Ball, um das Spielgerät zu blocken und bekommt hierbei den Ball an den Arm, sodass der Ball zur Ecke abgewehrt werden kann. Die Armhaltung des Verteidigers ist in natürlicher Haltung, und der Arm wird nicht zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Wer Fußball gespielt hat, kann diese natürliche Haltung nur bestätigen.

Weiterlesen: Wer bisher am häufigsten benachteiligt wurde

   

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