Kommentar zum Türkgücü-Aus: Debakel für die 3. Liga und den DFB
Jetzt ist es also passiert: Erstmals in der Geschichte der 3. Liga zieht sich mit Türkgücü München ein Klub vorzeitig aus dem Spielbetrieb zurück. Es ist das Worst-Case-Szenario – und ein Debakel für die 3. Liga im Allgemeinen und den DFB im Besonderen. Ein Kommentar.
Die Liga an der Nase herumgeführt
Damals, im September 2020, als Türkgücü München unter durchaus ungewöhnlichen Umständen gerade in die 3. Liga aufgestiegen war, hätte man es schon ahnen können: Diesem Klub, besser gesagt diesem auf Pump finanzierten Konstrukt, sind im wahrsten Sinne des Wortes alle Mittel recht. Denn just hatte Türkgücü vor dem Landgericht München Klage gegen die Pokal-Teilnahme des 1. FC Schweinfurt eingereicht, um selbst dabei sein zu können – und zunächst Recht bekommen. Als das höchste Schiedsgericht in Bayern die Klage dann allerdings zurückwies und Türkgücü, entgegen der eigenen Auffassung, doch nicht am DFB-Pokal teilnehmen durfte, sprach Geschäftsführer Max Kothny anschließend von einem "Micky-Maus-Gericht" und davon, dass das Urteil "dahingerotzt" sei.
So hat sich kein Verantwortlicher eines professionellen Vereins in der Öffentlichkeit zu äußern. Kothny konnte das aber tun, denn von einem professionellen Verein war Türkgücü genauso weit entfernt wie vom ambitionierten Ziel, die Nummer 2 in München zu werden. Von Anfang an haben die Münchner die gesamte 3. Liga, und auch den DFB, an der Nase herumgeführt. Das fing bei der Pokal-Geschichte an, ging dann kurz vor Weihnachten 2020 mit dem angekündigten Ausstieg von Investor Hasan Kivran weiter, ehe er sich nur vier Wochen später entschied, doch zu bleiben, und mündete nun über einen geplatzten Börsengang, der Insolvenz in das endgültige Aus. Krachender kann man einen Klub wohl nicht vor die Wand fahren!
Konzept? Fehlanzeige
Ein "eigenes" Stadion? Fehlanzeige. Profitaugliches Trainingsgelände? Ebenfalls Fehlanzeige. Sportliches Konzept und ein langfristiger Plan? Erst Recht nicht vorhanden. Bezeichnend dafür: Sportchef Roman Plesche hatte sich im vergangenen November verwundert darüber gezeigt, dass liga3-online.de die Kaderplanung von Türkgücü als "planlos" bezeichnet hatte. Doch gerade die zahlreichen Trainer- und Spieler-Verpflichtungen in den knapp zwei Jahren 3. Liga lassen keinen anderen Schluss zu. Und dass Kivran die Spieler vor allem mit Geld nach München gelockt hat, ist ebenfalls kein Geheimnis.
Auch Kothny hatte eine völlig falsche Wahrnehmung von Türkgücüs Außensicht, indem er sich gerade in den Anfangszeiten erfreut darüber gezeigt hatte, dass über "seinen" Klub so häufig berichtet werde. Dabei waren es überwiegend negative Schlagzeilen, die Türkgücü in seiner fast zweijährigen Drittliga-Zugehörigkeit produzierte. Die Münchner lebten in einer Traumwelt, wo sie vor mehreren tausend Fans um den Aufstieg in die 2. Liga spielen, diesen spätestens 2023 auch schaffen und überall mit offenen Armen empfangen werden. Das Geld stimmt ja schließlich. Und mehr braucht es im Fußball doch wohl nicht, oder?
DFB hätte genauer hinschauen müssen
Wenn der DFB also sagt, den Verband würde keine Mitschuld am Aus der Münchner mitten in der Saison treffen, weil das Zulassungsverfahren "an seine Grenze" komme, ist das sicherlich nicht völlig falsch. Doch wie kann es unbemerkt geblieben sein, dass der Klub seine Personalkosten binnen weniger Monate von drei auf fünf Millionen Euro – und damit um 67 Prozent – steigern konnte, wo doch alle Verträge beim DFB eingereicht werden müssen? So wird das Lizenzierungsverfahren ad absurdum geführt.
Spätestens da, besser aber schon viel eher – und zwar im vergangenen Sommer – hätte der DFB genauer hinschauen müssen – und den Erhalt der Zulassung an eine höhere Sicherheit knüpfen müssen, um sicher sein zu können, dass Türkgücü die Saison in jedem Fall zu Ende spielen wird. Gerade nach dem Fall KFC Uerdingen vor einem Jahr. Hätten die Münchner die Sicherheit nicht vorlegen können, hätte es eben keine Lizenz geben dürfen! Dass ein Klub nun aus dem laufenden Spielbetrieb ausscheidet und die Tabelle vor dem Saisonendspurt kräftig durcheinanderwirbelt, ist einer Profiliga nicht würdig – und könnte dem Ansehen der 3. Liga in den kommenden Jahren schaden. Entsprechend ist das Türkgücü-Aus ein Debakel für den DFB – aber auch für die 3. Liga allgemein.
Eine unglaubliche Farce
Sieben Spieltage vor Saisonende verlieren nun bis auf Dortmund II sämtliche Vereine Punkte. Das hat mit einem sportlichen fairen Wettbewerb nichts mehr zu tun – unabhängig davon, ob Klubs wie der 1. FC Saarbrücken gleich sechs Zähler verlieren und damit von der einen auf die andere Minute plötzlich schlechtere Chancen im Aufstiegskampf haben, oder Vereine wie 1860 München, die vom Aus sogar profitieren. Ohnehin sind es nicht nur die Punkte: Auch bei Sperren, Verletzungen und Karten ergibt sich nun ein verzerrtes Bild zwischen den Vereinen. Denn auch wenn die Türkgücü-Spiele aus der Tabelle rausgerechnet wurden: sie fanden trotzdem statt – mit allen Begleiterscheinungen. Was für eine unglaubliche Farce! Hinzukommt, dass Vereine wie der 1. FC Kaiserslautern nun ein Heimspiel weniger haben – und somit finanzielle Einbußen hinnehmen müssen.
Der DFB ist nun gefordert, Lösungen zu finden, wie sich ein solcher Fall nicht mehr wiederholt. Das im Oktober beschlossene Maßnahmenpaket ist ein erster Schritt in diese Richtung, reicht aber noch nicht aus. Wenn Klubs wie der KFC und Türkgücü mit großen Ambitionen und Zielen, aber ohne Fundament in Form von Stadion, Trainingsplätzen und einer soliden Finanzplanung in die 3. Liga kommen, sollte der Verband künftig hellhörig werden. Spätestens, wenn Vereine mehr durch große Töne, als durch die für die 3. Liga notwendige Demut auffallen, müssen die Ampeln auf Rot springen. Und Türkgücü möchte man hinterherrufen: Kommt erst wieder, wenn ihr ein Profiverein seid!