Strittige Szenen am 33. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Elfmeter für Saarbrücken und Osnabrück, die nicht gegebenen Strafstöße für Saarbrücken, Verl und Würzburg, das 3:0 und 4:1 von Magdeburg, die beiden Platzverweise gegen Freiburg II, der verwehrte Treffer von Zwickau sowie ein Foulspiel von Sildillia (Freiburg II) an Deichmann (1860). Am 33. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Julian Günther-Schmidt (Saarbrücken) erläuft einen Rückpass, dringt in den Strafraum ein und kommt gegen Timo Königsmann (Mannheim) zu Fall. Schiedsrichter Christian Dingert gibt Elfmeter für den FCS. [TV-Bilder – ab Minute 1:10]
Babak Rafati: Günther-Schmidt läuft in den Strafraum und legt sich den Ball vor. Gleichzeitig kommt Keeper Königsmann aus seinem Tor herausgeeilt, schmeißt sich vor die Füße des Angreifers und will das Spielgerät spielen. Dabei kommt er etwas zu spät und kann den Ball nicht mehr erreichen, sondern trifft den Angreifer mit dem Knie am rechten Fuß und bringt ihn dadurch zu Fall. Auch wenn der Kontakt unbeabsichtigt ist, reicht er bei diesem Tempo vollkommen aus, um den Angreifer aus der Balance und schlussendlich zu Fall zu bringen. Der Torwart nimmt einfach in Kauf, den Gegenspieler zu treffen. Auch wenn der Angreifer solch einen Kontakt dankend annimmt, bleibt es bei einem Foulspiel. Somit eine richtige Entscheidung, einen Elfmeter für Saarbrücken zu geben.
Szene 2: Einen Schuss von Robin Scheu (Saarbrücken) bekommt Alexander Rossipal (Mannheim) im Strafraum an den Arm. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:09:00]
Babak Rafati: Scheu schießt den Ball im gegnerischen Strafraum aus kurzer Entfernung an die Hand von Rossipal, der damit das Spielgerät abwehren kann. Allerdings ist der Arm von Rossipal am Körper angelegt, sodass kein strafbares Handspiel vorliegt. Der Ball geht somit an den Arm und nicht umgekehrt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 3: Nach einer Flanke in den Strafraum kommt Mael Corboz (Verl) gegen Omar Haktab Traoré (Osnabrück) zu Fall. Schiedsrichter Dr. Max Burda lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 45:45]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Osnabrück kann Traoré vor dem einschussbereiten Corboz klären und den Ball zur Ecke spielen. Das ist ein sauberes Tackling, sodass kein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 4: Im Strafraum geht erst Emaka Oduah (Osnabrück) gegen Lukas Petkov (Verl) und dann Marc Heider (Osnabrück) gegen Vinko Sapina (Verl) zu Fall. Elfmeter für Osnabrück. [TV-Bilder – ab Minute 3:10]
Babak Rafati: Bei der ersten Szene bekommt Oduah den Ball angespielt und steht etwa am Elfmeterpunkt mit dem Rücken zum Tor. Hinter ihm steht Gegenspieler Petkov, der nur den Gegner stellt. Als der Angreifer sich zum Tor drehen will, kommt er zu Fall. Dabei verhält sich Oduah regelgerecht, denn im Oberkörperbereich hat er zwar Hand angelegt, aber das ist branchenüblich und im Bereich des Erlaubten. Auch stellt Petkov das Bein nicht in den Weg, um den Angreifer am Weiterlaufen zu hindern. Der Angreifer dreht sich vielmehr in den Verteidiger, und dadurch prallen die Hüften zusammen. Es liegt lediglich ein sogenannter "Unfall" vor. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Bei der zweiten Szene, die unmittelbar im Anschluss erfolgt, wird es durchaus kniffliger. Heider holt zum Schuss aus. Dabei bewegt Gegenspieler Sapina das Bein auch Richtung Ball, spielt das Spielgerät aber nicht. Er trifft den Angreifer minimal am linken Fuß, dieser Kontakt kann aber vernachlässigt werden, da er in keinster Weise Auslöser für das Zufallkommen sein kann. Denn Heider bleibt beim Schussversuch mit dem rechten Fuß im Boden stecken und kommt schlussendlich deshalb zu Fall. Hätte er sogar durchgezogen, hätte er womöglich den Verteidiger am Fuß getroffen, und es käme zu einem Stürmerfoul. Eine Fehlentscheidung, auf Elfmeter zu entscheiden.
Selbst wenn man nach Argumenten für einen Elfmeter sucht – zum Beispiel durch Kontakt des Verteidigers am Schussbein des Angreifers und dadurch im kausalen Zusammenhang mit dem Zufallkommen, weil der Stürmer aus dem Gleichgewicht kommt und dadurch in den Boden tritt – muss einfach festhalten werden, dass Elfmeter klar sein müssen. Der DFB hat vor der Saison die Anweisung an die Schiedsrichter herausgegeben, keine "cheap-penalties" zu pfeifen. Vielleicht ist es auch eine Verkettung von zwei aufeinanderfolgenden Szenen, die dann den Schiedsrichter dazu verleiten, aus zwei möglichen Aktionen final zu solch einem Urteil zu kommen. Das wäre nur eine mögliche Erklärung, muss aber nicht tatsächlich zutreffen, da ich dem Schiedsrichter nichts unterstellen möchte.
Szene 5: Serhat Koruk (Verl) will im Strafraum eine Flanke annehmen, geht aber im Duell mit Maurice Trapp (Osnabrück) zu Boden. Burda pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:06:25]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum hat Trapp zwar ein wenig die Hände an Gegenspieler Koruk dran, woraufhin sich der Angreifer fallen lässt, allerdings ist das ein "Bearbeiten", das branchenüblich und im Bereich des Erlaubten ist. In solchen Szenen will keiner wirklich einen Pfiff, auch wenn kurz reklamiert wird. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 6: Auf dem Weg zum Tor wird Kai Klefisch (Köln) von Leon Bell Bell (Magdeburg) gefoult, Schiedsrichterin Dr. Riem Hussein lässt weiterlaufen. Aus dem Angriff fällt das 3:0 für Magdeburg. [TV-Bilder – ab Minute 52:00]
Babak Rafati: Bei diesem Laufduell führt Klefisch den Ball und ist außerhalb des Strafraumes in guter Position, einen guten Angriff einzuleiten. Bell Bell folgt ihm, läuft hinterher, bemerkt, dass er nicht mehr an den Ball kommt und stoppt somit demonstrativ ab, um kein Foulspiel zu riskieren. Trotzdem kommt es zu einem Kontakt, und der Angreifer geht zu Fall. Das Zufallkommen vom Angreifer resultiert aber nicht aus einem Foulspiel, sondern vielmehr daraus, dass der Angreifer selbst im Bewegungsablauf den Kontakt initiiert. Solch ein Kontakt fällt unter die Rubrik "Unfall", weil schlicht und einfach keinem Spieler ein schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden kann. Der Sachverhalt würde sich anders darstellen, wenn Bell Bell weiterlaufen und eine mögliche Berührung riskieren würde. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 7: Im Mittelfeld setzt sich Sirlord Conteh (Magdeburg) robust gegen Patrick Sontheimer (Köln) durch und leitet damit den Angriff ein, der zum 4:1 führt. Das Tor zählt. [TV-Bilder – ab Minute 2:25]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Mittelfeld ist Conteh einfach entschlossener als sein Gegenspieler Sontheimer, geht zwar mit der Schulter zu Werke und trifft seinen Gegenspieler auch, allerdings ist das ein erlaubter Körpereinsatz – wenn auch robust – und somit keinesfalls ein Foulspiel. Dass sich Spieler, die das Nachsehen im Zweikampf haben und bei Rettungsaktionen nicht gut aussehen, fallen lassen, ist selbsterklärend und branchenüblich. Ein weiterer Grund ist aber sicherlich auch, dass Sontheimer nur auf den Ball fokussiert ist, daher keine Körperspannung hat und somit gegen Conteh körperlich nicht gegenhalten kann. Eine absolut richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und das anschließende Tor für Magdeburg anzuerkennen.
Szene 8: Marcel Bär (1860) läuft nach einem langen Ball auf das Tor zu und geht im Duell mit Sandrino Braun-Schumacher zu Fall. Schiedsrichter Nicolas Winter entscheidet auf Notbremse und zeigt glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 0:30]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball kommt es zu einem Laufduell vor dem Strafraum von Freiburg. Dabei ist Bär vor Braun-Schumacher und somit in einer besseren Position auf dem Weg zum Tor. Der Verteidiger läuft dem Angreifer in die Hacken und bringt ihn dadurch zu Fall, als sich die Laufwege kreuzen. Auch wenn keine Absicht vorliegen sollte, nimmt der Verteidiger billigend in Kauf, den Gegenspieler zu treffen. Das ist ein Foulspiel und zudem eine Notbremse, da eine klare Torchance außerhalb des Strafraumes vereitelt wird, sodass die rote Karte neben dem Freistoß verhängt werden muss. Somit trifft der Schiedsrichter die richtige Entscheidung.
Szene 9: Für ein Ballwegschießen und ein Foulspiel sieht Sascha Risch (Freiburg II) jeweils Gelb, sodass er vom Platz muss. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]
Babak Rafati: Bei der ersten Aktion ist das Ballwegschießen von Risch eine Unsportlichkeit, bei der der Schiedsrichter gar keine andere Wahl hat, als ihm die gelbe Karte zu zeigen. Somit eine richtige Entscheidung. Bei der zweiten Aktion kommt Risch etwas zu spät und trifft statt des Balls seinen Gegenspieler am Fuß. Ein Spieler, der kurz zuvor verwarnt wurde – und das auch noch wegen einer solchen Aktion -, muss einfach damit rechnen, dass der Schiedsrichter so etwas nicht vergisst. Folglich ist bei einer Szene, bei der eine weitere Entscheidung zu treffen ist, nachvollziehbar, dass der Schiedsrichter sich für die härtere Sanktion entscheiden wird, wenn diese im Grenzbereich ist. Das ist menschlich. Aber unabhängig davon ist es im straftechnischen Bereich eine absolut vertretbare Entscheidung, für dieses Vergehen eine gelbe Karte zu zeigen. Hier muss sich ein Spieler selbst hinterfragen und den Schiedsrichter außen vor lassen.
Szene 10: Der bereits gelb-verwarnte Kiliann Sildillia (Freiburg II) blockt gegen Yannick Deichmann (1860) und trifft ihn am Knie, kommt aber ohne Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:59:20]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf geht Sildillia gegen Deichmann nicht überhart oder rücksichtslos vor, sondern foult lediglich durch Stellen des Körpers, sodass ein Pfiff ohne Karte eine richtige Entscheidung ist. Wenn sich Deichmann dabei wehgetan hat, liegt das nicht an der Gangart von Sildillia, sondern eher an einem unglücklichen Bewegungsablauf beider Spieler. Daher kann man Sildillia keinen Vorwurf machen.
Szene 11: David Kopacz (Würzburg) will im Strafraum einen Pass erlaufen, wird dabei aber von Alexander Winkler (Kaiserslautern) behindert und geht zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Mitja Stegemann. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum kommt es zu einem Duell zwischen Kopacz und Winkler. Der Angreifer ist in der schlechteren Position zum Ball als der Verteidiger, nämlich hinter ihm und dreht sich daher mit dem Hinterteil ein wenig in den Gegenspieler, um den Kontakt zu suchen, den er auch bekommt. Allerdings ist dieser Kontakt kein Foulspiel, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
Szene 12: Nach einer Flanke von Can Coskun trifft Lars Lokotsch zum 2:0 für Zwickau, wird von Schiedsrichter Frank Willenborg allerdings aufgrund einer Abseitsposition zurückgepfiffen. [TV-Bilder – ab Minute 3:50]
Babak Rafati: Ob tatsächlich eine Abseitsposition von Lokotsch vorliegt oder nicht, kann mit den vorliegenden TV-Bildern nicht zweifelsfrei bewertet werden. Da sind mittlerweile Schuhgröße, Schulterbreite und vieles mehr ausschlaggebend für die Bewertung, sodass hier das menschliche Auge überfordert ist und nur die kalibrierten Linien, wie wir sie vom Videobeweis aus der Bundesliga kennen, helfen könnten.
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