Strittige Szenen am 1. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Foulspiele von Duisburgs Moritz Stoppelkamp, Dresdens Kyu-Hyun Park und Aues Marco Schikora, die nicht gegebenen Elfmeter für Osnabrück und Bayreuth, ein verwehrter Freistoß für den MSV, das 1:0 und 3:0 von 1860, der Strafstoß für Essen, der Platzverweis gegen Meppens Käuper und der Treffer für Wiesbaden. Am 1. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zehn strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Für ein rüdes Foul an Leandro Putaro (Osnabrück) kommt Moritz Stoppelkamp (Duisburg) bei Schiedsrichter Patrick Hanslbauer mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 39:55]
Babak Rafati: An der Seitenlinie auf Höhe der Bänke kommt es zu einem Zweikampf. Dabei führt Putaro den Ball am Fuß, Stoppelkamp kommt von hinten und trifft Putaro mit den Stollen in dessen Wade. Das ist ein Foulspiel, das die Gesundheit des Gegenspielers gefährdet. Der Schiedsrichter hat womöglich ein anderes Trefferbild auf dem Platz wahrgenommen. Zudem wird er die Dynamik des Tritts unterschätzt haben, da Stoppelkamp aus dem Stand foult. Wenn er aber das Fernsehbild sieht, wird er einsehen, dass es bei dieser Aktion keine zwei Meinungen gibt. Für solch ein Vergehen kann es nur die rote Karte geben. Dabei darf auch keine Rolle spielen, dass das Foulspiel im ersten Saisonspiel und zudem in der Anfangszeit (7.Spielminute) passiert. Auch ist die Intention respektive die Absicht von Stoppelkamp, womöglich den Ball spielen zu wollen oder nicht, nicht relevant. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, keine rote Karte zu zeigen.
Szene 2: Im Strafraum geht Ba-muaka Simakala (Osnabrück) im Duell mit Niklas Kölle (Duisburg) zu Fall, einen Elfmeter gibt Hanslbauer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:00:45]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf spielt Kölle klar den Ball und touchiert sicherlich auch leicht seinen Gegenspieler Simakala am Fuß. Da die Aktion aber ballorientiert ist und der Ball entscheidend getroffen wird – nach dem Motto viel Ball und wenig Fuß -, liegt kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 3: Aziz Bouhaddouz (Duisburg) läuft auf das Tor zu und geht im Duell mit Paterson Chato (Osnabrück) kurz vor dem Strafraum zu Fall. Hanslbauer lässt weiterspielen. [TV-Bilder – ab Minute 1:47:10]
Babak Rafati: Beim Laufduell zwischen Bouhaddouz und Chato kurz vor dem Strafraum von Osnabrück geht der Angreifer zu Fall. In dieser Szene kommt es zu einem Kontakt, allerdings handelt es sich dabei nicht um ein Foulspiel, weil der Kontakt nicht von Chato ausgeht. Bouhaddouz ist etwas übereilig und läuft am Ball leicht vorbei. Deshalb stoppt er leicht ab, sodass er durch das leichte Abstoppen das Bein des Verteidigers im normalen Bewegungsablauf abbekommt. Der Angreifer ist auch bereits vor dem Kontakt etwas aus der Balance und im Sturzflug. Chato zieht sogar leicht zurück, um bei einem möglichen Kontakt nicht der Verursacher zu sein. Bei diesen Zweikämpfen spricht man von einem sogenannten "Unfall", sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
Szene 4: Einen Pass von Philipp Steinhart (1860) bringt Stefan Lex ins Zentrum, wo Kevin Ehlers (Dresden) den Ball im eigenen Tor unterbringt. Dynamo reklamiert beim Zuspiel auf Lex Abseits, Schiedsrichter Timo Gerach gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Abspiels von Steinhart auf Lex steht dieser nicht in Abseitsposition, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, den Treffer für 1860 München anzuerkennen.
Szene 5: Beim Kampf um den Ball setzt sich Kyu-Hyun Park (Dresden) gegen Yannick Deichmann (1860) durch und tritt ihm dabei auf die Wade. Gerach belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 35:30]
Babak Rafati: Park verliert einen Zweikampf gegen Deichmann im Mittelfeld und setzt dann nach. Dabei spielt Deichmann den Ball und rutscht hierbei aus. Park, der zum Ball will, aber das Spielgerät nicht mehr erreicht, will über den am Boden liegenden Deichmann springen und ausweichen, tritt ihm jedoch sicherlich unbeabsichtigt auf die Wade. Das ist natürlich ein Foulspiel, was der Schiedsrichter auch erkennt. Wenn allerdings ein Spieler mit dieser Geschwindigkeit und Dynamik in einen Zweikampf geht und solch ein Trefferbild mit den Stollen entsteht, kann es nur die rote Karte geben, da die Gesundheit des Gegenspielers gefährdet wird. Auch wenn der Ausfallschritt von Park einer möglichen Ausweichung dienen sollte und womöglich keine Absicht vorliegt. Eine Fehlentscheidung, keine rote Karte zu zeigen.
Bei der Bewertung von Zweikämpfen gilt unter anderem als Kriterium, ob ein Foulspiel oder ein Unfall vorliegt. In dieser Szene handelt es sich um eine aktive Aktion von Park, sodass sie von ihm verursacht wird. Somit liegt ein Foulspiel vor. In Szene 3 etwa liegt dagegen keine aktive Aktion von Chato im Zweikampf gegen Bouhaddouz vor – er zieht im entscheidenden Moment sogar zurück -, sodass die Intention des Kontaktes durch den Angreifer erfolgt. Dann liegt ein Unfall vor, und der Zweikampf stellt kein Foulspiel dar.
Szene 6: Michael Akoto (Dresden) wird im Mittelkreis von Marcel Bär (1860) am Trikot gehalten und am Weiterlaufen gehindert. Das Spiel läuft weiter. Kurz danach bekommt Fynn Lakenmacher (1860) den Ball an die Hand, erneut pfeift Gerach nicht. Aus dem Angriff fällt das 3:0 für 1860. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]
Babak Rafati: Die erste Aktion ist keine Regelwidrigkeit von Bär an Akoto, denn dieses kurze "Bearbeiten" am Trikot stellt kein Foulspiel dar. Somit richtig, weiterspielen zu lassen. Bei der zweiten Aktion spreizt Lakenmacher den Arm sehr weit aus, sodass der Arm eine unnatürliche Bewegung macht und zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt wird. Damit wird in Kauf genommen, den Ball mit der Hand zu spielen. Es liegt somit ein strafbares Handspiel vor. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den daraus resultierten Treffer anschließend anzuerkennen.
Szene 7: Nicolas Kristof (Elversberg) nimmt den Ball gegen Ron Berlinski (Essen) auf, wird dann aber vom Essener angegangen, verliert den Ball und bringt Berlinski zu Fall. Schiedsrichter Konrad Oldhafer gibt Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]
Babak Rafati: Keeper Kristof hat den Ball in den Händen, als Berlinski ihn attackiert und den Ball spielt. Wenn ein Torhüter auch nur eine Hand am Ball hat, gilt diese Spielweise regeltechnisch als Ballkontrolle, sodass der Ball vom Gegner nicht mehr gespielt werden darf. Somit hätte bereits diese Aktion unterbunden werden müssen. Bei dem anschließenden Zweikampf spielt Kristof zuerst mit dem linken Fuß klar den Ball und trifft Berlinski erst anschließend im Bewegungsablauf in die Beine. Somit liegt ein ballorientiertes Spielen vor und daher kein Foulspiel. Eine doppelte Fehlentscheidung, sowohl die Ballabnahme durch den Angreifer weiterlaufen zu lassen statt einen Freistoß für Elversberg zu verhängen als auch den folgenden Zweikampf als Foulspiel auszulegen und auf Strafstoß für Essen zu entscheiden.
Szene 8: Binnen weniger Sekunden sieht Ole Käuper (Meppen) von Schiedsrichter Tobias Schultes zweimal Gelb und muss damit vom Platz, nachdem er sich über einen nicht gegeben Freistoß aufgeregt hatte. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]
Babak Rafati: Käuper lässt sich im Mittelfeld fallen und will einen Freistoß schinden. Der Schiedsrichter lässt aber richtigerweise weiterlaufen. Daraufhin nimmt Käuper den Ball in die Hand und meckert. In der Summe ist die erste gelbe Karte absolut berechtigt. Nachdem der Schiedsrichter die gelbe Karte gezeigt hat, sagt Käuper etwas in Richtung des Schiedsrichters und läuft weg. Man hört zwar nicht, was er zum Unparteiischen sagt, jedoch kann man am Gesichtsausdruck des Schiedsrichters erahnen, dass er darüber entsetzt ist. Ein Indiz, dass keine netten Worte gefallen sind. In dieser Szene wird die Entscheidung des Schiedsrichters richtig gewesen sein. Wenn ein Spieler für solch eine Aktion die gelbe Karte und sich dann noch erlaubt weiter zu meckern/lamentieren, ist die Schuld nicht beim Schiedsrichter zu suchen.
Szene 9: Marco Schikora (Aue) hält gegen Patrick Lienhard (Freiburg II) drüber, sieht von Schiedsrichter Florian Exner aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 21:15]
Babak Rafati: Schikora geht mit gestrecktem Bein und offener Sohle in den Zweikampf und trifft Lienhard klar oberhalb vom Boden am Fuß respektive im Bänderbereich/Sprunggelenk. Dieser Einsatz gefährdet die Gesundheit des Gegenspielers und muss eine rote Karte nach sich ziehen. Womöglich hat der Schiedsrichter das Trefferbild, wie es tatsächlich passiert, nicht wahrgenommen. Vielleicht wollte er aber auch nicht bereits in der vierten Minute einen zweiten Platzverweis aussprechen. Man kann es nicht genau sagen. Lediglich eine gelbe Karte zu zeigen, ist aber eine Fehlentscheidung.
Szene 10: Einen Schuss von Alexander Nollenberger (Bayreuth) blockt Hans Nunoo Sarpei (Ingolstadt) mit dem Arm, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Patrick Kessel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:29:45]
Babak Rafati: Nach dem Schuss von Nollenberger nimmt Sarpei aktiv (!) beide Arme vor den Körper und blockt somit den Ball. Da es regeltechnisch keine Schutzhand gibt, ist dieses Spielweise – das Führen der Arme vor den Körper mit dem Risiko, den Ball an die Arme zu bekommen – ein absichtliches Handspiel, sodass es einen Elfmeter für Bayreuth hätte geben müssen. Dabei spielt es keine Rolle, dass der Schuss aus kurzer Distanz kommt. Das würde nur dann eine Rolle spielen, wenn eben keine Absicht vorliegen würde. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 11: In der Annahme, Schiedsrichter Mitja Stegemann hat Freistoß gepfiffen, legt sich BVB-Keeper Luca Unbehaun den Ball im Strafraum hin. Gustaf Nilsson (Wiesbaden) schnappt sich die Kugel und trifft zum 1:0. Der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]
Babak Rafati: Bei dieser Aktion wirft Keeper Unbehaun den Ball in der Annahme, dass der Schiedsrichter vorher beim Zweikampf für seinen Verteidiger ein Foulspiel gepfiffen hat, nach vorne. Nilsson schaltet schnell, bemerkt die Irritation des Keepers, schnappt sich den Ball und schießt ihn ins Tor. Hierbei hat sich der Schiedsrichter in keinster Weise irritierend für den Keeper oder falsch verhalten, im Gegenteil: Sein Verhalten und die Körpersprache unter Einbeziehung seiner Gestik sind absolut nachvollziehbar, sodass er keine Irritation ausgelöst hat. Eine regelkonforme Szene, sodass die Entscheidung des Schiedsrichters, das Spiel weiterlaufen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen, absolut richtig ist.