Strittige Szenen am 2. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Ein Laufduell zwischen Saarbrückens Jacob und Elversbergs Conrad, die Elfmeter für Saarbrücken und Mannheim, ein Foulspiel von Bayreuths Steiniger an Freiburgs Treu, die verwehrten Elfmeter für Bayreuth, Meppen und Köln, das Tor von 1860 sowie ein nicht gegebener Freistoß für Mannheim. Am 2. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de neun strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Nach einem langen Ball kommt Sebastian Jacob (Saarbrücken) in einem Laufduell mit Kevin Conrad (Elversberg) zu Fall und fordert einen Freistoß/Elfmeter. Schiedsrichter Christian Dingert pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball aus der eigenen Hälfte kommt es zu einem Laufduell zwischen Jacob und Conrad vor dem Strafraum von Elversberg. Dabei hält Conrad seinen Gegenspieler fest, dieser kann sich aber lösen und läuft zunächst 3-4 Schritte weiter, sodass ein Vorteil entsteht und der Schiedsrichter nicht eingreifen braucht. Anschließend kommt Conrad ins Straucheln und schließlich zu Fall. Dabei touchiert er Jacob mit dem Kopf, sodass er ihn kurz vor dem Strafraum daran hindert, richtig abzuschließen. Dieser Kontakt ist allerdings kein Foulspiel, vielmehr ein sogenannter "Unfall", sodass kein Vergehen vorliegt. Es besteht zumindest regeltechnisch nicht mehr die Möglichkeit, das Halten nachträglich zu pfeifen. Wenn bei einer Vorteilsauslegung die erzielte Wirkung eintritt – wie in diesem Fall – ist die Situation für eine mögliche Spielfortsetzung abgeschlossen. In der Praxis wird oftmals trotzdem nachgepfiffen, sodass sich die Schiedsrichter nicht immer an die Theorie halten, was für den Spielfluss aber gut ist und zudem die Spieler dankend annehmen. In dieser Situation liegt aber regeltechnisch eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.

Übrigens hat der Schiedsrichter sowohl das Halten wie auch den Kontakt in seinem ganzen Ablauf nicht sehen können, weil er in dieser Situation naturgemäß zu weit weg vom Geschehen ist, da der lange Ball aus der anderen Hälfte kommt. Manchmal hilft auch Instinkt.

Szene 2: Im Strafraum geht Sebastian Jacob (Saarbrücken) im Zweikampf mit Marcel Correia (Elversberg) zu Fall, Dingert gibt Elfmeter für den FCS. [TV-Bilder – ab Minute 1:55]

Babak Rafati: Nach einem Zuspiel auf Jacob will dieser zum Ball, dabei kommt es zu einem Zweikampf mit Correia. Der Angreifer steht cira 10 Meter mit dem Rücken vom Tor entfernt und dreht sich seitlich, um den Ball anzunehmen. Dabei rutscht Correia zum Ball, trifft das Spielgerät aber nicht. Er touchiert womöglich sehr minimal seinen Gegenspieler am Fuß, und der Angreifer kommt zu Fall. Ein Kontakt, der womöglich vorliegen könnte, ist noch kein Foulspiel. Die entscheidende Frage ist nunmehr, ob dieser mögliche Kontakt auch ursächlich für das Zufallkommen von Jacob ist. Das ist natürlich nicht der Fall, denn allein das Fallmuster (spektakuläre Drehung nach einem womöglich minimalen Kontakt) zeigt, dass ein möglicher Kontakt nur dankend angenommen wurde, um einen Elfmeter zu schinden. Hier einen Elfmeter zu pfeifen, ist ein sogenannter "cheap penalty". Genau das will man nicht, sondern nur klare Entscheidungen. Daher liegt eine Fehlentscheidung vor, auf Elfmeter zu entscheiden.

 

Szene 3: Daniel Steininger (Bayreuth) trifft seinen Gegenspieler Philipp Treu (Freiburg II) bei einem Luftzweikampf mit dem Ellenbogen im Gesicht, kommt bei Schiedsrichter Lars Erbst aber mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 17:40]

Babak Rafati: Bei diesem Luftzweikampf setzt Steininger den Ellenbogen gegen Treu ein und trifft ihn im Gesicht. Dabei liegt allerdings kein Schlag vor, zudem wird der Ellenbogen nicht als Waffe eingesetzt. Somit liegt keine Tätlichkeit mit der Folge einer roten Karte vor. Dieser Ellenbogeneinsatz wird lediglich als Werkzeug bezeichnet. Damit eine richtige Entscheidung, es bei der gelben Karte zu belassen.

Szene 4: Bei einer Kopfballverlängerung wird Benedikt Kirsch (Bayreuth) von Philip Fahrner (Freiburg II) am Kopf getroffen, geht zu Boden und fordert einen Elfmeter. Diesen gib Erbst aber nicht. [TV-Bilder – ab Minute 47:45]

Babak Rafati: Bei diesem Luftduell springen Kirsch und Fahrner zum Kopfball hoch. Dabei ist der Angreifer früher am Ball und spielt ihn klar weiter. Der Verteidiger will auch zum Ball, kommt dabei aber einen Moment zu spät, trifft Kirsch mit dem Kopf an dessen Hinterkopf und bringt ihn zu Fall. Auch wenn sich beide bei dieser Aktion wehtun beziehungsweise verletzen, spielt Kirsch zuerst den Ball. Fahrner verfehlt den Ball und trifft Kirsch nur am Kopf, sodass ein Foulspiel vorliegt und es hierfür einen Elfmeter für Bayreuth hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Strafstoß nicht zu geben.

 

Szene 5: Auf dem Weg Richtung Tor geht Dominik Martinovic (Mannheim) gegen Luca Stellwagen (Verl), der als letzter Mann fungiert, kurz vor dem Strafraum zu Boden. Schiedsrichter Steven Greif pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 28:40]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell zwischen Martinovic und Stellwagen vor dem Strafraum nimmt Martinovic einen leichten Kontakt im normalen Bewegungsablauf dankend an und kommt zu Fall. Dabei liegt kein Foulspiel von Stellwagen vor. Es erfolgt keine aktive Bewegung zum Gegenspieler. Auch wird kein Fuß rausgestellt, um den Gegner regelwidrig zu stoppen. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.

Szene 6: Dominik Martinovic (Mannheim) geht im Laufduell mit Verl-Keeper Niclas Thiede zu Fall, Greif gibt Elfmeter für Mannheim. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]

Babak Rafati: Thiede verschätzt sich bei diesem Zweikampf, kommt erst aus seinem Tor heraus gelaufen, muss dann wieder zurück und seinem Gegenspieler Martinovic hinterher eilen. Dadurch, dass er den Angreifer vor sich hat, ist er in der schlechteren Position. Dabei läuft er hinter dem Angreifer her und springt mit der Faust zum Ball am Boden. Durch das Springen zum Ball wirft er sich Martinovic in die Hacken und bringt ihn entscheidend zu Fall. Selbst wenn er mit der Faust den Ball weggespitzelt haben sollte, wäre es ein Zweikampf mit viel Foulspiel und wenig Ballspielen, sodass es im Ergebnis ein Foulspiel ist. Eine richtige Entscheidung, auf Elfmeter zu entscheiden.

 

Szene 7: Eine Kopfballverlängerung von Yannick Deichmann bringt Jesper Verlaat zum 1:0 für 1860 im Tor unter. Oldenburg reklamiert Handspiel, Schiedsrichter Christian Ballweg gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 3:00]

Babak Rafati: Nach einer Hereingabe wird der Ball auf Verlaat gespielt. Dieser hechtet mit dem Körper zum Ball und befördert das Spielgerät mit der Brust ins Tor. Somit liegt kein Handspiel vor, was von den Gegenspielern sehr zaghaft reklamiert wird. Sicherlich ist es für den Schiedsrichter im Spiel in der normalen Geschwindigkeit schwierig, den Überblick zu behalten. Allerdings hilft hier die Hinzunahme von Spielerverhalten. Hätte ein Handspiel vorgelegen, wären die Gegenspieler, die in der unmittelbaren Umgebung des Schiedsrichter standen, auf diesen zugelaufen und hätten heftig protestiert. Da das in der Form aber nicht geschieht, kann der Schiedsrichter dieses Spielerverhalten als Indiz heranziehen und in die Entscheidungsfindung einbauen, falls er den Vorgang nicht genau gesehen hat. Eine richtige Entscheidung, den Treffer anzuerkennen.

 

Szene 8: Einen Schuss von Marcus Piossek (Meppen) bekommt Davy Frick (Zwickau)  im Strafraum an den Arm/den Rücken, Meppen fordert Elfmeter. Fortsetzen lässt Schiedsrichter Patrick Schwengers die Partie mit einer Ecke für den SVM. [TV-Bilder – ab Minute 1:40:05]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Piossek blockt Frick den Ball aus kurzer Distanz. Dabei bekommt er das Spielgerät an den Rücken und wehrt den Ball zur Ecke ab. Selbst, wenn man nicht genau erkennen kann, ob vielleicht doch der Arm am Ball gewesen ist, ist der Aufprall des Balles ein verlässliches Indiz dafür, dass er nicht am Arm gewesen sein kann. Dann wäre das Spielgerät nämlich heruntergefallen und wäre nicht so weit abgesprungen. Aber selbst wenn der Ball in dieser Szene an den Arm gegangen wäre, würde kein strafbares Handspiel vorliegen. Zum einen, weil das Spielgerät aus kurzer Distanz kommt und zum anderen, weil der Arm in natürlicher Haltung ist. Dadurch, dass Frick das rechte Bein ausstreckt, schwingt naturgemäß der linke Arm in dieser Form nach hinten, so dass keine Absicht vorliegen würde. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 9: John Iredale (Wiesbaden) wird im Strafraum von Moritz Fritz (Köln) gehalten. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Richard Hempel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum wird Iredale von seinem Gegenspieler Fritz umklammert und zudem heruntergezogen, sodass er zu Fall kommt. Das ist in der Summe ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter für Wiesbaden geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter zu verwehren.

 

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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