Zwischenfazit & Prognose: Die obere Tabellenhälfte
Die Viertelmarke der neuen Saison wird in der 3. Liga schon am nächsten Spieltag überschritten, der Auftakt ist damit definitiv abgeschlossen. Zur zweiwöchigen Länderspielpause blicken wir auf alle 20 Teams, analysieren die Leistungsentwicklung sowie auffällige Spiele und prognostizieren, was in den verbleibenden acht Spielen bis zur langen WM-Pause die Zielsetzung sein wird. Heute: Die Klubs aus der oberen Tabellenhälfte:
Lage: Der zweitbeste Aufsteiger kommt aus Oldenburg, darauf hätte vor dieser Saison längst nicht jeder gewettet. Und erst recht nicht nach den ersten vier Spieltagen: Da hatte der VfB nur ein mickriges Pünktchen auf dem Konto. Umso größer war und ist die Energieleistung einzuschätzen, die die Niedersachsen seit dem 1:0-Sieg über Verl abliefern: Elf Punkte folgten aus fünf Spielen, Spektakel gegen Osnabrück (4:3), ein für alle Auswärtsfahrer besonders emotionaler 2:1-Sieg über Borussia Dortmund II im großen Westfalenstadion. Bislang bestätigen Schlüsseltransfers wie Manfred Starke und Kamer Krasniqi die Rolle, die vorab erhofft wurde, das Kollektiv verkörpert Leidenschaft und ist längst so weit gereift, dass man sich über das 1:1 gegen Mitaufsteiger Bayreuth kürzlich richtig ärgern musste.
Prognose: Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass das Spielprogramm in einigen Wochen nochmal richtig knackig wird, noch einige Aufstiegskandidaten auf der Liste stehen. Oldenburg wird diesen zehnten Platz in Normalform nicht halten können, hat aber klare Signale gesendet, im Kampf um den Klassenerhalt konkurrenzfähig zu sein.
Lage: Im Englischen nennt man den Status von Viktoria Köln den eines "dark horse", eines schwarzen Pferdes. Keiner weiß so ganz genau, wie stark die Domstädter wirklich sind, auch weil der Klub von Natur aus nicht so sehr im Fokus steht wie die Ex-Bundesligisten oder solche, die schlicht ein viel größeres Zielpublikum besitzen. Das wird insbesondere Trainer Olaf Janßen nicht ganz gerecht: Er holte seit Amtsantritt im Februar 2021 respektable 30 Siege aus 72 Pflichtspielen, in diesem Jahr lässt er die Viktoria wieder einen grundsoliden Fußball spielen. Kleiner Schönheitsfleck, der immer intensiver wird: Zuletzt gelang fünf Spiele lang kein Sieg mehr, dank vier Remis am Stück geht es dennoch kontinuierlich voran. Nervig war der Ausfall von Kapitän Marcel Risse mit einer Muskelverletzung, gewagt die junge Besetzung des Sturms, der schon im Vorjahr eine Schwachstelle war. Dass Rechtsverteidiger Patrick Koronkiewicz derzeit Topscorer ist (drei Tore, zwei Vorlagen), sollte kein Dauerzustand werden.
Prognose: Von neun Spielen nur zwei verloren zu haben, ist eine Bilanz, die in Höhenberg vor Saisonbeginn wohl jeder unterschrieben hätte. Tabellenplatz 9 bildet die bisherigen Leistungen gut ab, in diesem Bereich dürfte es sich einpendeln. Vieles spricht für eine ruhige Saison ohne große Abstiegsgefahr.
Lage: Wo die Autos vom Fließband kommen, tun es die Siege noch lange nicht: Mit spektakulären Transfers ließ der FC Ingolstadt im Sommer aufhorchen, zuletzt folgte mit dem Verkauf von Merlin Röhl (für 2,9 Millionen Euro nach Freiburg) ein nicht minder außergewöhnlicher Abgang. Übrig ist ein immer noch besonderer Kader, aus dem der 20-jährige Däne Tobias Bech mit fünf Toren aus sieben Spielen herausragt. Andere wie Pascal Testroet, David Kopacz oder insbesondere der bislang verletzte Maximilian Dittgen konnten dem FCI nur bedingt helfen, während die Defensive mit sieben zugelassenen Gegentoren überzeugt. Insgesamt fehlt noch das offensive Selbstverständnis eines Topfavoriten – auch, wenn solche Töne nicht vom Verein kamen, der sich deutlich demütiger gab als in der Vergangenheit. Zwar wähnten sich die Schanzer nach drei Auftaktsiegen schon überraschend schnell auf einem guten Weg, doch seither sind unbequeme, zähe Spiele vorprogrammiert. So ganz weiß im Lager der Oberbayern niemand, wohin die Reise geht.
Prognose: Der FCI und Rüdiger Rehm müssen ins obere Drittel vorstoßen, was machbar scheint: Bis Jahresende warten abseits von 1860 München nur noch Konkurrenten aus Mittelfeld und Abstiegszone – untermauert Ingolstadt Ambitionen, geht es noch mindestens drei Plätze nach oben. Alles andere wäre eine Enttäuschung.
Lage: Wer war noch gleich Gustav Nilsson? Selten wirkte ein Klub auf dem Papier derart aufgeschmissen wie der SV Wehen Wiesbaden ohne seinen wuchtigen und treffsicheren Schweden, dessen Abgang Berichten zufolge mit einer Millionen-Ablösesumme verbunden war. Und dann zeigte der Kader, was in ihm steckt: Benedict Hollerbach ist ein absoluter Gewinner aus der zweiten Reihe, auch Kianz Froese, der seit kurzem verletzte Thijmen Goppel und Nilsson-Nachfolger Ivan Prtajin aus Kroatien haben sich regelmäßig in der Scorerliste eingetragen. Die 19 erzielten Tore toppen nur Elversberg und 1860 München, zuletzt stotterte der Motor beim 0:1 in Mannheim, und sofort ging es in der Tabelle einige Plätze bergab. Es sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser SVWW, auch ausgestattet mit solider Defensive, sich in den erweiterten Favoritenkreis gespielt hat. Wenn da nur nicht das verflixte Verletzungspech wäre: Goppel, Florian Carstens, Emanuel Taffertshofer und Bjarke Jacobsen können unter anderem derzeit nicht mitwirken.
Prognose: Die Wiesbadener bringen einiges mit, um lange oben mitzuspielen – unter anderem die Qualität, nach Rückständen noch zu punkten. Kommen sie einmal in Fahrt, könnte eine kleine Überraschung möglich sein.
Lage: Was eint Wiesbaden und den Waldhof? Beide haben sieben Punkte holen können, wenn sie im Hintertreffen lagen – geteilter Ligabestwert. Und davon hätten wir noch einen im Angebot: Der SVW und der TSV 1860 haben ihre fünf Heimspiele allesamt gewonnen, logischerweise kann das niemand toppen. In der Fremde gelang dagegen fast gar nichts, ein Punkt beim SC Verl am zweiten Spieltag ist die ganze Herrlichkeit. Und mit Schrecken erinnert sich mancher an das überdeutliche 2:6 in Meppen, das völlig aus der Reihe fällt, weil die Abwehr ja in den restlichen acht Partien nur sieben Bälle aus dem Netz holte und mit Marcel Seegert, Julian Riedel und Torwart Morten Behrens auch exzellent besetzt ist. Christian Neidhart wirkt längst angekommen, muss sich allerdings noch vorwerfen lassen, dass seine Mannschaft zu selten wie ein Aufsteiger spielt. Nicht immer wird man sich auf das Spielglück eines späten Treffers verlassen können…
Prognose: Als einer der vielen im Kreise der Aufstiegsanwärter genannt, kann der Waldhof bislang meist mit guter Defensivarbeit punkten, aber ganz bestimmt auch noch besseren Fußball spielen. Ein Platz unter den Top 3 ist realistisch – wenn die Auswärtsschwäche abgestellt wird.
Lage: Rund 20.000 Zuschauer erweisen Dynamo Dresden auch in der 3. Liga die Treue, nirgendwo anders sind es mehr. Attraktiv werden die Spiele der SGD unfreiwilligerweise auch, weil niemand weiß, was einen beim Stadionbesuch erwartet – das Leistungsgefälle der Schwarz-Gelben war bislang groß, und trotz einer soliden Platzierung überwogen doch die Enttäuschungen. Selbst beim Derbysieg in Aue (1:0), aber auch kurz darauf in Duisburg (1:0) mussten sich die selbstkritischen Verantwortlichen eingestehen: Es war nicht die bessere Mannschaft, die die Punkte holte. Aber macht das nicht ein Aufsteiger genau so? Das Problem ist die Inkonstanz in allen Mannschaftsteilen, speziell der Offensive: Zu selten rufen die Contehs, Schäfflers, Kutschkes und Borkowskis ihr Potenzial ab. Nicht zu bestreiten ist zudem das Verletzungspech mit zuletzt zehn (!) Ausfällen.
Prognose: Diese Mannschaft muss angesichts ihrer individuellen Möglichkeiten in die Top 3. Erst recht mit dem prominentesten Trainer dieser Liga an der Seitenlinie – Markus Anfang. Noch decken sich die Leistungen nicht mit der Erwartung. Gemessen an dem, was die SGD bislang gezeigt hat, steht sie noch zurecht hinter den fetten Plätzen. Bis zur Winterpause wird der Weg aber mindestens auf Platz 3 führen.
Lage: Am Montagabend war es passiert, auch der letzte Drittligist musste die erste Niederlage hinnehmen. Der FCS kassierte ein 0:1 in Essen. "Verdient", sagte Trainer Uwe Koschinat dazu. "Wir waren schon mal stressresistenter." Zuvor passte nicht alles, aber vieles: Fünf Gegentore bedeuten die beste Abwehrreihe der 3. Liga, stabil ist Saarbrücken allemal. Was den Blau-Schwarzen fehlt, ist Zuverlässigkeit im Spiel nach vorne. Das 6:0-Spektakel in Bayreuth einmal ausgenommen, gelangen in acht Spielen nur acht Tore – zu wenig für eine Spitzenmannschaft. Adriano Grimaldi muss fast wöchentlich mit kleinen Blessuren pausieren, so lastet derzeit auf Sebastian Jacob und Julian Günther-Schmidt die volle Verantwortung. Nicht leichter macht es das Umfeld: So forderte zuletzt Sportdirektor Jürgen Luginger sechs Punkte aus zwei Auswärtsspielen – eine ungewohnte Maßnahme, zumal so früh in der Saison. Auch wird spannend zu beobachten sein, wie sich Rüdiger Ziehl als Manager der Profiabteilung einfügt. Trainer Uwe Koschinat steht bei einigen Fans aufgrund seiner Spielweise bereits in der Kritik.
Prognose: Es ist ähnlich wie bei Dresden, Ingolstadt, Mannheim und Wiesbaden: Auch Saarbrücken steht nicht ohne Grund im Komplex mit all diesen Klubs, weil vieles für einen Aufstiegskandidaten vorhanden ist, aber nicht regelmäßig genug abgerufen wird. Also auch hier: Platz 3 ist zwar realistisch, aber die Sterne vom Himmel spielt mit einigem Abstand nur das Topduo.
Lage: Unspektakulär, aber erfolgreich: Auf dieses Erfolgsrezept setzte die Freiburger Reserve schon im vergangenen Jahr, nun knüpft sie ziemlich nahtlos daran an. Kleiner Unterschied: Die Punkteausbeute ist noch viel besser als in der Debütsaison, eine Rückkehr in die Regionalliga Südwest ist derzeit überhaupt kein Thema. Baumeister Thomas Stamm schafft es einmal mehr, eine U23-Auswahl zu für das junge Alter erstaunlich konstanten Leistungen zu bewegen – und das, obgleich die erste Mannschaft regelmäßig auf Kräfte zurückgreift. Dass im Gegenzug auch regelmäßig Bundesliga-Kicker wie Daniel Kofi-Kyereh und Lucas Höler zu Spielpraxis-Zwecken nach unten versetzt werden, wirkte sich bislang noch nicht gewinnbringend für die U23 aus. Beim Spiel gegen Ingolstadt führte das sogar dazu, dass Toptorjäger Vincent Vermeij zunächst auf der Platz Bank nehmen musste, da die zweiten Mannschaften maximal drei Ü23-Spieler gleichzeitig aufbieten dürfen.
Prognose: Es wäre verwunderlich, sollten die Freiburger dieses Niveau über ein ganzes Jahr halten können. Im letzten Jahr war es Platz 11, am Ende des Jahres 2022 wird der SCF II deutlich darüber liegen – und diese bessere Position in der oberen Tabellenhälfte auch in der Endabrechnung im kommenden Frühsommer noch bestätigen.
Lage: An einem Tag, diesem vermaledeiten 1:4 in Elversberg, da kam alles Negative zusammen. Aus Sicht der Sechzger ließe sich bilanzieren: Lieber einmal hoch als oft niedrig verloren. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass die Giesinger sieben von neun Spielen gewonnen haben. Keiner kündigte so offensiv an, aufsteigen zu wollen, keiner lieferte derart eindrucksvoll im ersten Saisonviertel ab. Nicht nur die starken Spiele deuten an, dass der Weg in die 2. Bundesliga nur über die Löwen führt, sondern auch der Umgang mit schwierigen Spielphasen – so zuletzt beim 3:1 über munter mitspielende Auer. Sechzig hat die Qualität, aus wenig viel zu machen, und fast beängstigend dabei ist, dass der Torschützenkönig der Saison 2021/22 noch gar nicht mitmischt: Marcel Bär verletzte sich im Juli, braucht noch Zeit. Doch er hat ja genügend Vertreter, hinten ist am Trio Marco Hiller, Jesper Verlaat und dem erst 18-jährigen Leandro Morgalla kaum ein Vorbeikommen. Und vorne machte zuletzt Fynn Lakenmacher mit einem Dreierpack auf sich aufmerksam. Diese Mannschaft ist ein rundes Gebilde und hat mit Michael Köllner den richtigen Trainer. Sieht gut aus.
Prognose: Wir machen es kurz: 1860 München steigt auf – daran gibt es nach den starken Leistungen der bisherigen Saison überhaupt keine Zweifel, zumal selbst Rückschläge weggesteckt wurden.
Lage: Wie auch immer es die SV Elversberg in ähnlicher Konstellation und mit dem gleichen Erfolgstrainer jahrelang stets knapp verpasst hatte, überhaupt in die 3. Liga aufzusteigen, ist ein Rätsel. Was seit Juli an der Kaiserlinde vor sich geht, ist es ebenfalls – doch dieses muss nicht gelöst werden, es genügt aus Elversberger Sicht völlig, die Wochen und Monate einfach zu genießen. Unter Horst Steffen wird ein wunderbarer, erfrischender und mutiger Fußball gespielt, die Balance stimmt, obgleich fast die ganze Mannschaft nur nach vorne denkt. Und was kann eine riesige Portion Selbstvertrauen ausmachen! Da werden plötzlich langjährige Regionalligakicker wie Jannik Rochelt und Manuel Feil zu kreativen Antreibern. Da wird ein Luca Schnellbacher, der in seinen ersten 220 Drittliga-Spielen alles war, nur kein Torjäger, plötzlich genau das. Machen wir nicht zu viel Pathos draus, Spieler wie Marcel Correia, Carlo Sickinger und Nick Woltemade muss man erstmal überzeugen können, aufs saarländische Dorf zu gehen. Doch was das Preis-Leistungs-Verhältnis angeht, kann Elversberg keiner toppen. In der "normalen" Tabelle übrigens auch nicht.
Prognose: 5:1 in Essen, 5:0 über Zwickau, 4:1 über 1860 München, dazu noch Leverkusen aus dem Pokal gekegelt. Die wollen doch wohl nicht durchmarschieren? Im Vorjahr haben wir uns in Viktoria Berlin ordentlich getäuscht, ein solcher Absturz ist in Elversberg nicht zu erwarten. Aber die Saison ist lang. Und die SVE würde sich über das obere Drittel wohl auch freuen, oder? Das zumindest ist bis dato völlig realistisch.
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