Strittige Szenen am 11. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die nicht gegebenen gelb-roten Karten gegen die Ingolstädter Kopacz und Doumbouya, das 2:1 für Aue sowie die nicht gegebenen Elfmeter für Bayreuth, Zwickau und Köln. Am 11. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de sieben strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: An der Seitenlinie tritt David Kopacz (Ingolstadt) seinen Gegenspieler Fabian Greilinger (1860) in die Wade. Schiedsrichter Benjamin Brand belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 26:05]
Babak Rafati: An der Seitenlinie kommt es zu einem Zweikampf zwischen Kopacz und Greilinger. Dabei blockt Greilinger den Ball, um diesen ins Seitenaus rollen zu lassen. Hinter ihm kommt Kopacz angelaufen und will den Ball vor der Überquerung der Seitenlinie spielen, trifft dabei aber Greilinger in die Wade. Das ist ein Foulspiel. Der Einsatz ist rücksichtslos, aber nicht gesundheitsgefährdend oder brutal, sodass die gelbe Karte die richtige Entscheidung ist. Wäre der Tritt mit gestrecktem Bein und offener Sohle voraus erfolgt, wären das Trefferbild und die Intensität des Tritts schwerwiegender, und somit wäre schlussendlich eine rote Karte unumgänglich.
Szene 2: Der bereits gelb-verwarnte David Kopacz (Ingolstadt) steigt hart in einen Zweikampf mit Fabian Greilinger (1860) ein und trifft ihn am Knöchel, kommt aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]
Babak Rafati: Kopacz verschätzt sich ein wenig und springt dann mit dem langen Bein zum Ball, trifft aber nur Greilinger in die Beine und bringt ihn zu Fall. Das ist ein rücksichtsloser Einsatz, der zudem unkontrolliert ist, sodass eine gelbe Karte vorgeschrieben ist. Somit hätte es die gelb-rote Karte gegen den gelb-verwarnten Kopacz geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diese nicht zu zeigen.
Szene 3: Nach einem langen Ball geht der bereits gelb-verwarnte Moussa Doumbouya (Ingolstadt) mit gestrecktem Bein in Marco Hiller (1860) rein und trifft ihn, erhält aber ebenfalls nur eine Ermahnung. [TV-Bilder – ab Minute 2:20]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum gehen Keeper Hiller und der bereits gelb-verwarnte Doumbouya mit vollem Risiko in den Zweikampf. Dabei ist der Keeper zuerst am Ball und kann das Spielgerät wegfausten. Der Angreifer hingegen kommt etwas zu spät, geht mit gestrecktem Bein rücksichtslos in den Zweikampf und trifft den Keeper, auch wenn nicht voll. Das ist erneut eine gelbe Karte, sodass es in der Folge eine weitere gelb-rote Karte hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, auch in dieser Szene den fehlbaren Spieler nicht des Feldes zu verweisen. Es spricht auch Bände, wenn in beiden Fällen diese Spieler anschließend vom Trainer ausgewechselt werden.
Meist ist es ein sehr schmaler Grat, in solchen Szenen einen Ermessensspielraum in dieser Form in Anspruch zu nehmen, da es einfach nicht angemessen ist, weil die Vergehen hierbei klar und deutlich sind. Diesen sogenannten Ermessensspielraum kann man bei 50:50-Entscheidungen oder wenn Zweifel in den jeweiligen Szenen vorliegen anwenden. Hätte der Schiedsrichter zumindest jeweils auf jeder Seite eine Ampelkarte "durchgewunken", wäre das sicherlich insgesamt eher von den Beteiligten akzeptiert worden. Bei aber zweimal gegen dieselbe Mannschaft Gnade vor Recht ergehen zu lassen, muss sich ein Schiedsrichter die Kritik gefallen lassen, denn sie ist dann absolut berechtigt.
Szene 4: Im Anschluss an eine Ecke bekommt Ulrich Taffertshofer (Aue) den Ball im Strafraum an den Arm, Schiedsrichter Timo Gansloweit pfeift nicht. Kurz danach fällt das 2:1 für Aue. [TV-Bilder – ab Minute 1:50]
Babak Rafati: Nach einer Ecke bekommt Taffertshofer den Ball aus kurzer Entfernung an den Arm, wobei der Arm am Körper angelegt ist. Somit liegt keine Absicht vor, denn diese Spielweise ist nicht strafbar. Hätte Taffertshofer wiederum selbst unmittelbar den Ball ins Tor geschossen, wäre das ein strafbares Handspiel, auch wenn es unabsichtlich ist, und somit der Treffer irregulär. In diesem Fall prallt der Ball aber erst zu einem Mitspieler, der dann das Tor erzielt. Somit eine richtige Entscheidung, diesen Treffer zu geben. Wäre der Ball übrigens nicht ins Tor gegangen, hätte es einen Elfmeter für Aue geben müssen, da kurz vor Torerzielung Oldenburgs Manfred Starke den Ball absichtlich mit der Hand spielt.
Szene 5: David Blacha (Meppen) bekommt im Strafraum einen Schuss von Markus Ziereis (Bayreuth) an den Arm. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Nicolas Winter. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]
Babak Rafati: Ziereis schießt auf das leere Tor, und dabei wehrt Blacha den Ball mit dem Arm ab und verhindert dadurch einen Gegentreffer. Der Arm ist nicht in natürlicher Haltung, vielmehr wird er leicht herausgenommen (per Reflex mit dem Ellenbogen), um den Ball zu blocken. Somit liegt ein absichtliches Handspiel vor. Und da ein Treffer verhindert wird, muss zudem eine rote Karte gegen Blacha ausgesprochen werden. Übrigens ist ein Reflex kein Argument, nicht auf Handspiel zu entschieden. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen und somit das Handspiel ungeahndet zu lassen, zumal der Schiedsrichter freie Sicht auf die Abwehraktion hat.
Szene 6: Bei einem Luftzweikampf geht Gino Fechner (Wiesbaden) mit dem Ellenbogen gegen Can Coskun (Zwickau) zu Werke, Schiedsrichter Tobias Schultes lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:49:20]
Babak Rafati: Bei diesem Luftzweikampf kommt es zu einem Kontakt zwischen Fechner und Coskun, bei dem sich Coskun wehtut. Der Arm-/Ellenbogeneinsatz von Fechner ist nicht als Foulspiel zu werten, da er nicht zum Schlag ausholt (das wäre Foulspiel+Rot) oder als Werkzeug einsetzt (das wäre Foulspiel+Gelb). Vielmehr wird der Arm regelkonform eingesetzt. Der Arm kommt eher auf die Schulter des Angreifers, und durch die Bewegungen zum Ball kommt es zwangsläufig zum unglücklichen Kontakt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 7: Nach einer Hereingabe bringt Moritz Fritz (Köln) den Ball auf das Tor und trifft den Pfosten. Dabei wird er leicht von Nico Ochojski (Verl) am Trikot gezogen, geht zu Fall und fordert Elfmeter. Diesen gibt Schiedsrichter Konrad Oldhafer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum kommt Fritz an den Ball und schießt das Spielgerät gegen den Pfosten. Dabei wird er von Ochojski, der hinter ihm ist und keine Chance mehr zum Ball hat, leicht am Trikot gezogen. Das ist ein Trikotzupfer, aber dieser reicht nicht aus, um auf Foulspiel und in der Konsequenz auf Elfmeter zu entscheiden. Solch ein Vergehen gibt es hüben wie drüben durch Verteidiger und Angreifer. Wenn so etwas geahndet werden würde, hätten wir in jedem Spiel zig Elfmeter. Das würde dem Kontakt-/Zweikampfsport Fußball nicht gerecht werden. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
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