Strittige Szenen am 12. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Das 1:0 für Saarbrücken, die nicht gegebenen Elfmeter für Zwickau, Dresden, Osnabrück, Duisburg und Wiesbaden, der Platzverweis gegen Essens Wiegel und ein Foul von Duisburgs Mai an Dortmunds Kamara. Am 12. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de acht strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Bjarne Thoelke (Saarbrücken) will mit einem weiten Pass einen Angriff einleiten, spielt den Ball aber ins Aus. Ein Zwickauer war wohl nicht mehr dran. Schiedsrichter Eric Weisbach gibt jedoch Einwurf für den FCS. Aus dem Angriff fällt das 1:0 für Saarbrücken. [TV-Bilder – ab Minute 18:25]

Babak Rafati: Nachdem Thoelke den Ball spielt, berührt kein Gegenspieler mehr den Ball, sodass es Einwurf für Zwickau hätte geben müssen. Natürlich reagiert der einwerfende Saarbrücker clever und schafft es sogar, den Assistenten, der auf dieser Seite steht, zu verunsichern, in dem er sich den Ball schnell schnappt und einfach einwirft. Der Assistent ist dadurch irritiert und lässt sich dadurch unbewusst umstimmen – das sieht man an der Fahnenhaltung. Selbst Thoelke macht am Bildrand eine Geste, nachdem er den Ball abgespielt hat, die so viel bedeutet, dass er weiß, dass sein Pass nicht ideal war und er statt einen guten Pass einzuleiten einen Einwurf für den Gegner verursacht hat. Auch sind die Abwehrspieler der Zwickauer sehr unruhig und deuten unmissverständlich an, dass es den Einwurf eigentlich für sie geben muss. Wenn ein Schiedsrichter sich in solch einer Situation ein wenig Zeit lässt, kann er Spielerreaktionen wie diese einfangen und in seine Entscheidungsfindung einbringen, da es viele Indizien für eine Entscheidung in die andere Richtung gibt. So wirft aber die falsche Mannschaft ein, und es kommt anschließend zu einem Torerfolg, der aber die Folge dieser Fehlentscheidung ist.

Szene 2: Einen Schuss von Can Coskun (Zwickau) bekommt Tobias Jänicke (Saarbrücken) im Strafraum an den ausgefahrenen Arm. Einen Elfmeter gibt Weisbach nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]

Babak Rafati: Coskun steht knapp außerhalb des gegnerischen Strafraumes und flankt den Ball in den Sechzehner. Jänicke fährt den Arm heraus, blockt den Ball auf Schulterhöhe und verhindert die Hereingabe des Spielgerätes. Auch wenn die Distanz kurz ist, hat der Arm dort nichts zu suchen und wird nur zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt, sodass ein strafbares Handspiel vorliegt. Es hätte einen Elfmeter für Zwickau geben müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 3: Andreas Wiegel (Essen) wird von Jonathan Meier (Dresden) am Trikot gehalten und will sich losreißen. Dabei tritt er leicht gegen das Knie von Meier nach und sieht von Schiedsrichter Tom Bauer glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:20]

Babak Rafati: Die gelbe Karte gegen Meier für das Trikotvergehen ist absolut richtig. Anschließend reißt sich Wiegel los und tritt leicht gegen die Beine von Meier. Das Losreißen ist nicht regelwidrig, sodass dieses noch nicht zu ahnden ist. Das Vergehen durch den Tritt ist aber interessant. Regeltechnisch ist ein versuchter Tritt nämlich auch mit der roten Karte zu bestrafen. Wiegel versucht zu treten, wenngleich ihm das nur teilweise gelingt und er seinen Gegenspieler nicht voll trifft. Trotzdem fällt dieses Vergehen unter die Rubrik "Versuchtes Treten", sodass dem Schiedsrichter keine andere Wahl bleibt, als Wiegel die rote Karte zu zeigen. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, auch wenn diese Tätlichkeit eine leichte in dieser Kategorie darstellt. Wiegels Verhalten ist menschlich nachvollziehbar, zumal er auch recht lange am Trikot gehalten wird. Allerdings ist diese "Selbstjustiz" in Form des versuchten Tretens einfach nicht angebracht und wird regeltechnisch mit der roten Karte bestraft, unabhängig vom Verursacherprinzip.

Szene 4: Eine Flanke von Dennis Borkowski (Dresden) bekommt Daniel Heber (Essen) im Strafraum an den Arm. Einen Elfmeter gibt Bauer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:59:45]

Babak Rafati: Nach einem Schuss im gegnerischen Strafraum von Borkowski reißt Heber den Arm hoch, bekommt den Ball an diesen Arm und blockt somit das Spielgerät. Auch wenn die Distanz sehr kurz ist, hat der Arm dort oben nichts zu suchen und wird nur zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt, sodass dieses Vergehen strafbar ist. Somit hätte es einen Elfmeter für Dresden geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 5: Im Strafraum geht Felix Higl (Osnabrück) gegen Leandro Morgalla (1860) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Richard Hempel. [TV-Bilder – ab Minute 1:30]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Osnabrück springt Morgalla von hinten in die Richtung der Beine von Higl. Dabei trifft er den Stürmer mit dem Nachziehbein in die Beine und bringt ihn zu Fall. Sicherlich ist das ein grenzwertiger Zweikampf. Da aber auch der Ball klar gespielt wird und der "Treffer" im natürlichen Bewegungsablauf passiert, ist es vertretbar, weiterspielen zu lassen. Wenn der Ball nicht klar gespielt wäre, würde der Treffer als Foulspiel gewertet werden und einen Elfmeter rechtfertigen.

 

Szene 6: Eine Ecke bekommt Franz Pfanne (Dortmund II) im Strafraum an den Ellenbogen. Auf den Punkt zeigt Schiedsrichter Felix Bickel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 47:25]

Babak Rafati: Nach einer Ecke verschätzt sich Pfanne und hat dadurch ein ungünstiges Stellungsspiel zum Ball, sodass er sich nur dadurch helfen kann, indem er den Ball mit dem Ellenbogen spielt. Das ist ein absichtliches und somit strafbares Handspiel, sodass es für dieses Vergehen einen Elfmeter für Duisburg hätte geben müssen. Der Schiedsrichter sieht die Deutlichkeit des Handspiels womöglich deshalb nicht, weil er nicht den optimalen Blickwinkel zum Vergehen hat. Wenn er etwas mehr nach vorne in den Strafraum eingerückt wäre, hätte er das Handspiel sehen und entsprechend ahnden können. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 7: Während einer Spiel-Unterbrechung tritt Sebastian Mai (Duisburg) leicht gegen Abdoulaye Kamara (Dortmund II) nach, trifft ihn am Knöchel und sieht dafür Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:23:50]

Babak Rafati: Nachdem das Spiel unterbrochen ist, will Kamara womöglich auf Zeit spielen, führt den Ball am Fuß und läuft ein paar Meter in Richtung Mittelfeld. Das veranlasst Mai auszuholen und gegen Kamara nachzutreten, wenn auch leicht. Regeltechnisch ist auch ein versuchter Tritt eine Tätlichkeit und mit der roten Karte zu sanktionieren – auch, wenn er ihn nicht voll trifft. Das ist sodann eine leichte Tätlichkeit, die sich im Strafmaß milder auswirkt, sprich eine kürzere Sperre vom Sportgericht nach sich ziehen wird.

Da das Vergehen im Rücken des Schiedsrichters passiert – was natürlich auch nicht passieren darf – hätte zumindest der Assistent auf der entsprechenden Seite auf der Szene "draufbleiben" und das Spielgeschehen auch in der Spielruhe beobachten müssen. Es hätte in diesem Fall die gelbe Karte gegen Kamara wegen Unsportlichkeit und die rote Karte gegen Mai für diesen leichten (versuchten) Tritt geben müssen. Eine Fehlentscheidung, das nicht zu tun.

 

Szene 8: Im Strafraum kommt Ivan Prtajin (Wiesbaden) gegen Marten-Heiko Schmidt (Oldenburg) zu Fall und fordert Elfmeter, den Schiedsrichter Robert Kampka jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 47:25]

Babak Rafati: Prtajin legt sich den Ball im gegnerischen Strafraum Richtung Torlinie vor. Dabei kommt Gegenspieler Schmidt im Zweikampf hinzu und ist hinter ihm postiert. Er bemerkt seine schlechtere Position zum Ball, stoppt deshalb ab und zieht somit zurück, um Prtajin nicht durch ein Foulspiel zu stoppen. Er kann aber durch die natürlichen Bewegungsabläufe nicht verhindern, dass es trotzdem zu einem Kontakt und Prtajin zu Fall kommt. Prtajin nimmt diesen Kontakt dankend an. Allerdings ist das ein typischer Fallmuster für "Schinden", und der Kontakt ist nicht ursächlich für das Zufallkommen. In diesem Bereich – Richtung Torlinie – wird diese Spielweise gerne "favorisiert." Aber es liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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