Analyse: Warum die Zuversicht beim VfL gewachsen ist
In knapp zwei Wochen startet die 3. Liga bereits ins Jahr 2023. Ein Klub, der mit Optimismus einerseits und einem tabellarischen Arbeitsauftrag andererseits in die längere zweite Saisonhälfte geht, ist der VfL Osnabrück. liga3-online.de analysiert das Gewesene, die Stimmungslage im Hintergrund und die Ausgangsposition für die kommenden 22 Spieltage an der Bremer Brücke.
Die Hinrunde
17 Spiele, 22 Punkte. 29 erzielte und 27 kassierte Tore. Wer es neutral hält, der wird sich über diese Statistiken freuen, denn nirgendwo war gemessen an den Treffern pro Spiel los als bei Partien der Niedersachsen. Doch immer wieder geriet das Spektakel außer Kontrolle, seltener in die positive Richtung (5:0 über Mannheim) denn in die andere: Ein 2:3 in Dresden nach 2:0-Führung, 3:4-Niederlagen in Oldenburg und Zwickau, dazu die 1:4-Schlappe bei Spitzenreiter Elversberg, wo der spielerische Ansatz krachend scheiterte.
Geprägt war der Verlauf der Hinserie dabei auch von einem frühen Trainerwechsel: Daniel Scherning zog es schon nach dem vierten Spieltag zu Zweitligist Arminia Bielefeld, pikanterweise nach der 0:1-Niederlage in Bayreuth, der vielleicht schwächsten Saisonleistung. Nachfolger Tobias Schweinsteiger erlebte Höhen und Tiefen, erst neun Punkte aus den Spieltagen 14 bis 17 sowie der 3:0-Derbysieg beim SV Meppen haben dem bayrischen Coach sportlich ein ruhiges Überwintern verschafft.
Der Kader
Getan hat schon während der laufenden Saison auf allen Positionen etwas. Angefangen im Tor, in dem Schweinsteiger Publikumsliebling Philipp Kühn nach dem Dresden-Spiel durch den 20-jährigen Daniel Adamczyk ersetzte – der eine oder andere Fan knurrte, doch Adamczyks Ansätze waren auch in den gegentorreichen Spielen gute. Die andere Baustelle war die Abwehr, die schlicht viel zu viele Tore zuließ. Was verwundert, weil mit Florian Kleinhansl (nicht ganz so auffällig wie in der Vorsaison), Timo Beermann (solide, aber immer mal wieder von Verletzungen gebeutelt), Maxwell Gyamfi (Regionalliga-Newcomer mit großem Potenzial) und Omar Traore (schnell und offensivfreudig) von links nach rechts eine nominell starke Viererkette steht – erst in zweiter Reihe lässt die Qualität nach.
Auch im Mittelfeld gab es Verschiebungen: Routinier Robert Tesche wird seinem Ruf als Transfercoup gerecht, spielte mit 35 Jahren bislang fast jede Partie über volle Distanz. Sven Köhler ist auf der Sechs dank starker Leistungen erste Wahl, was es für Vorjahres-Schlüsselspieler Lukas Kunze schwieriger macht. Seit Mitte Oktober mischt dann auch noch Jannes Wulff im Rennen um die Plätze im Zentrum mit, erzielte starke Tore. In vorderster Reihe ist die Qualität schließlich unbestritten: Ba-Muaka Simakala (acht Tore, vier Vorlagen) hat sein technisch außergewöhnliches Profil nun auch noch mit Effizienz geupgradet – so ist er ein Kandidat für die 2. Liga. Neuzugang Erik Engelhardt spielte einen schwachen Auftakt, aber eine starke Endphase der bisherigen Saison. Und Kapitän Marc Heider? Der wird im Mai zwar 37 Jahre alt, aber ist immer noch ein Unterschiedsfaktor – auch dann, wenn er als Joker von der Bank kommt.
Transfers deuten sich bislang nicht an. Er habe "keine Bauchschmerzen", sollte sich der Kader nicht verändern, sagte Sportdirektor Amir Shapourzadeh in der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Ausgeliehen werden kann Talent Jannik Zahmel, weit hintendran sind auch Davide Itter sowie die Langzeitverletzten Sören Bertram sowie der seit seiner Verpflichtung im Sommer 2021 fast durchgehend gebeutelte Oliver Wähling.
Umfeld und Erwartungen
In diesem Jahrtausend steckt der VfL Osnabrück im Fahrstuhl zwischen zweiter und dritter Liga, in den vergangenen zehn Jahren mit deutlicher Tendenz, eher in der tieferen Spielklasse seine dauerhafte Heimat zu finden. Dort allerdings wie über weite Strecken der vergangenen Monate im Abstiegskampf festzuhängen, kann mit dem Selbstverständnis der Anhängerschaft nicht übereinanderliegen. Lila-Weiß in der Viertklassigkeit? Im Gegensatz zu vielen anderen Klubs dieser Liga ist dem VfL ein solcher Absturz nie unterlaufen, selbst in der Horror-Saison 2017/18 nicht.
Die Erwartungen liegen in der 3. Liga dennoch immer im Umfeld des oberen Drittels, die Rolle des Topfavoriten kann Osnabrück meist (zurecht) an noch besser zahlende, noch schillerndere Konkurrenten weiterreichen. Die Kriterien eines leidenschaftlichen, zur Atmosphäre an der Bremer Brücke passenden Teams sind auch in der aktuellen Saison erfüllt – und seit zuletzt die Ergebnisse passten, blickt man auch auf den Tribünen positiver ins Restjahr. Auffällig: Der Zuschauerschnitt sank auch in den schwierigsten Phasen nicht, der VfL boomt in seiner Region unabhängig vom sportlichen Erfolg. Die spürbare Symbiose des einen sympathischen Eindruck erweckenden Tobias Schweinsteiger und des VfL mag ihren kleinen, aber nicht unwesentlichen Teil dazu beitragen.
Die Prognose
Selbst ohne Winterverstärkungen – und wer weiß, was im Januar noch passiert – sollte diese Mannschaft ihren zehnten Platz als Grundlage betrachten, im neuen Jahr zu attackieren. Für die untere Hälfte oder gar den Abstiegskampf ist der VfL unter Abruf seiner Normalform zu weit entwickelt und zu gut besetzt. Unrealistisch dürfen die ausgerufenen Ziele gleichwohl nicht sein: Acht Punkte Rückstand auf den dritten Rang sind eine Menge, die Konkurrenz von Ingolstadt über Wiesbaden bis 1860 München gewaltig. Kurzum: Unangemessen, nun noch vom Aufstieg zu sprechen. Es wird ein Jahr der Arbeit. Eines, um Grundlagen zu legen für den nächsten Angriff auf die vorderen Ränge in 2023/24. Die Rückrunde ist dafür wesentlich, ebenso die Personalpolitik im Sommer. Die Grundzutaten für eine gute Zukunft sind da. Nun muss am Rezept gefeilt werden.