Kommentar: In dieser Struktur ist 1860 nicht aufstiegsfähig
Eine Mannschaft, die am Boden liegt. Fans, die Aktionen des Gegners beklatschen. Eine Sportchef, der handlungsunfähig ist. Gesellschafter, die den Verein blockieren. Beim TSV 1860 München kracht es derzeit an allen Fronten. Und einmal mehr zeigt sich in diesen Tagen: In dieser Struktur ist 1860 nicht aufstiegsfähig. Ein Kommentar.
Burgfrieden im Sommer war nicht viel wert
Im Sommer mochte man seinen Augen nicht trauen: Beide Gesellschafter – e.V. und die Investoren – sind auf einer Linie und ziehen an einem Strang, um mit namhaften Transfers einen aufstiegsreifen Kader zusammenzustellen. Eine solche Einigkeit hatte man den Löwen nach zahlreichen Graben- und Machtkämpfen in den letzten Jahren schon lange nicht mehr erlebt, es schien fast so, als wäre endlich Frieden eingekehrt. Und siehe da: Die ungewohnte Ruhe auf Giesings Höhen sorgte für einen Startrekord mit fünf Siegen aus fünf Spielen. Es war der erfolgreichste Saisonauftakt des TSV seit 51 Jahren. Alles schien für die Löwen zu laufen, nicht wenige gingen von einem glatten Durchmarsch bis zum Ende der Saison aus. Denn wer sollte dem TSV nach diesem Raketenstart noch in die Quere kommen? Die Antwort darauf lautete wenig später: 1860 selbst. Schon im Herbst, als die Löwen gerade drei Spiele verloren hatten, zeigte sich, was der Burgfrieden im Sommer wert war: nicht viel.
Innerhalb kürzester Zeit bekamen die Burgwände Risse, und die alten Grabenkämpfe hinter den Kulissen brachen wieder auf. Zielscheibe war Trainer Michael Köllner. So war aus dem Inneren des Klubs ganz bewusst an die Öffentlichkeit durchgesteckt worden, dass die anstehende Partie gegen Rot-Weiss Essen zum Endspiel für den Oberpfälzer werden würde. Sportchef Günther Gorenzel kassierte das "Ultimatum" einen Tag später zwar wieder ein, doch Köllner war fortan angezählt. "Wenn Insiderinformationen an die Presse durchgesteckt werden, ist es kein Ruhmesblatt für einen erfolgreichen Verein. Wenn man Dinge streut, die nicht der Wahrheit entsprechen, wird versucht, nicht erfolgreich zu sein", übte auch der Coach Kritik. Dass die Information aus dem inneren Kreis nicht zutreffend war, zeigte sich kurz danach, denn trotz eines spät verpassten Sieges hielt 1860 an Köllner fest und ging mit dem 52-Jährigen in die Winterpause.
Machtkampf ist eskaliert
Weil die Löwen aber auch im neuen Jahr nicht in die Spur fanden, war für Köllner nach zwei Niederlagen aus drei Spielen Schluss. Die Entscheidung, den Oberpfälzer freizustellen, ging dem Vernehmen nach vor allem von der Geschäftsführung aus und war offenbar nicht mit der Investorenseite um Hasan Ismaik abgesprochen, der Köllner zuvor das Vertrauen ausgesprochen hatte. Das ließ den Machtkampf endgültig wieder ausbrechen und ihn in den letzten Tagen eskalieren. Offenbar als Retourkutsche, weil Ismaik nicht in den Entscheidungsprozess eingebunden war, nimmt die Investorenseite seit nun knapp drei Wochen eine Blockadehaltung ein, sodass Gorenzel derzeit handlungsunfähig ist.
Denn um einen neuen Trainer verpflichten zu können, muss das Sportbudget erhöht werden, wozu es letztlich die Zustimmung des Aufsichtsrates benötigt – und damit auch der Investorenseite. Doch um die Gelder für die geplante Verpflichtung von Achim Beierlorzer freizugeben, fordern Ismaik und Co. dem Vernehmen nach die Freistellung von Gorenzel. Eine Forderung, die der e.V. im Beirat, der über eine Gorenzel-Trennung entscheiden würde, kaum zustimmen kann, würde er sich damit doch erpressbar machen und zudem den DFB auf den Plan rufen. Stichwort 50+1. Eine Situation, die an die von 2017 erinnert. Um nach dem Zweitliga-Abstieg die benötigten Millionen für die Drittliga-Zulassung bereitzustellen, stellte Ismaik eine ganze Reihe von Forderungen. Diesen konnte und wollte der e.V. jedoch nicht zustimmen, sodass Ismaik nicht zahlte und es in die Regionalliga ging.
"Wir sind selbst unser größter Gegner"
Wie es nun weitergeht, ist völlig offen. Klar ist nur: Ohne frisches Geld kein neuer Trainer. Längst hat 1860 wertvolle Zeit verloren, spätestens nach dem bitteren 2:2-Remis gegen den VfB Oldenburg hätte ein neuer Coach eingestellt werden müssen, um der völlig verunsicherten Mannschaft einen neuen Impuls zu geben. Dass Gorenzel mit seiner sachlichen Art nicht der richtige Mann dafür ist, haben die letzten drei Spiele deutlich gezeigt. Es herrscht Chaos auf allen Ebenen oder wie es Gorenzel zuletzt passend formulierte: "Wir sind selbst unser größter Gegner."
Was die letzten Wochen ebenfalls deutlich gezeigt haben: In dieser Struktur, in der e.V. und Investorenseite immer wieder gegeneinander statt miteinander arbeiten, sind die Löwen nicht aufstiegsreif. Denn dass sich die Unruhe im Umfeld auf die Mannschaft auswirkt, hat vor allem die desolate Leistung gegen den SC Verl nochmal deutlich gezeigt. Und Uneinigkeit in vielen Themen scheint auch für die kommenden Jahre vorprogrammiert zu sein, etwa in der Stadionfrage. Bei keinem anderen Verein in der 3. Liga klaffen die Interessen der beiden Gesellschafterseiten so weit auseinander wie bei 1860. Zwar ist das Umfeld bei den Sechzgern schon seit Jahrzehnten traditionell schwierig und unruhig, doch es ist sicherlich kein Zufall, dass mit der SV Elversberg und dem SV Wehen Wiesbaden (Freiburg II nicht mitgezählt) derzeit zwei Vereine ganz oben in der Tabelle stehen, die völlig in Ruhe arbeiten können – und bei denen alle an einem Strang ziehen.
Macht vor Erfolg
Genau das ist derzeit mal wieder das große Problem beim TSV und wird auch in den kommenden Jahren immer wieder zu einem werden – mal mehr, mal weniger. "Dem Verein ging es am besten, als Ruhe geherrscht hat", sagte Kapitän Stefan Lex am Sonntag. Doch von Ruhe sind die Löwen derzeit mindestens so weit entfernt wie von der seit Jahren ersehnten Rückkehr in die Bundesliga. Nicht mal der erste Schritt dahin, der Aufstieg in die 2. Liga, ist in der aktuellen Struktur realistisch. Denn solange persönliche Interessen (Macht) über die des Vereins (Erfolg) gestellt werden, wie es aktuell mal wieder der Fall ist, sind die Löwen nicht aufstiegsreif. Weder in dieser Saison, noch in den kommenden Spielzeiten.