"Oh, wie ist das schön!": Meppen verabschiedet sich emotional

Es war ein in jeglicher Hinsicht bemerkenswerter Montagabend für den SV Meppen. Zwei Tage nach dem feststehenden Abstieg pilgerte gefühlt die ganze Stadt zu ihrem Klub – und feierte eine besondere Leistung ausgelassen. Schon jetzt ist klar: Dieser Abschied wird den SVM durch den Sommer tragen und in einigen Monaten eine Jetzt-erst-Recht-Stimmung auslösen.

Ein letztes Mal 3. Liga – und fast 10.000 sind dabei

Bruno Soares war in den Sekunden nach Abpfiff kaum zu stoppen. Wie eine Furie hüpfte der Torschütze zum 1:1 über das Feld und tat das, was er schon in der zweiten Halbzeit immer wieder getan hatte: Der Brasilianer riss seine Arme nach oben, motivierte das Publikum auf der Sitzplatztribüne, wo längst nicht mehr gesessen wurde, sondern jeder stand. Staunendes Kopfschütteln vom jahrzehntelangen Stadiongänger bis zum Kind, vom treuen Dauerkartenfan bis zu den vielen niederländischen Groundhoppern, die am Montagabend über die Grenze geströmt waren. Das letzte Montagsspiel im deutschen Profifußball war ein Kracher, das 4:1 über Dynamo Dresden eine finale Willenseruption, die sich in den Vorwochen schon angedeutet hatte. "Oh, wie ist das schön", donnerte es nach Abpfiff durch die Hänsch-Arena. War das wirklich die Momentaufnahme eines Absteigers?

Vier Tore hatte der SV Meppen in Überzahl erzielt und die Dresdener damit ins Tal der Tränen gestürzt. Ein anfangs solider, aber ungestümer Auftritt nahm erst durch den Platzverweis gegen SGD-Akteur Park und die Hereinnahme von Altstar Marcos Alvarez so richtig Fahrt auf: Ab der 69. Minute, als Soares eine Alvarez-Freistoßflanke eingeköpft hatte, ging der vermeintlich sichere Aufsteiger aus Ostdeutschland unter. Meppen ließ dem Spitzenteam die Bälle um die Ohren fliegen, dass ihm Hören und Sehen verging, und schoss mal traumhaft (Sascha Risch, 78.), mal glücklich (Lukas Fedl, 82.) und am Ende eiskalt (Marek Janssen, 90.) einen Kantersieg heraus, den selbst kühne Optimisten diesen Meppenern am Tag nach dem besiegelten Abstieg nicht mehr zugetraut hatten.

Sieger des Abends in jeder Hinsicht

Die wundersame Geschichte dieses Abends begann schon in dem Moment, in dem das Flutlicht aufgedreht worden war. Sie erleuchteten fast 9.800 Zuschauer, rund 8.500 in den Heimbereichen – eine stattliche Zahl für einen Klub, der nur noch ein besseres Freundschaftsspiel zu bestreiten hatte. Die Folgen einer über weite Strecken verkorksten Saison waren allerdings schwarz auf weiß zu lesen: "Versager! Konsequenzen jetzt! Ronny raus!" prangte auf großen Transparenten vor dem Standort der aktiven Fanszene, die wie bereits in den Vorwochen ihren Dienst quittierte. Der Zorn auf Geschäftsführer Ronny Maul ist längst nicht vergangenen, strukturell soll sich nach Wunsch vieler Fans einiges ändern. So toll der Endspurt war, so viele Fragezeichen bleiben schließlich – etwa warum der Klub unfassbar lange damit wartete, in einer schier unendlichen Negativserie Ex-Coach Stefan Krämer freizustellen.

Doch sie waren im Spielverlauf die einzigen, die sich mühten, ruhig zu bleiben, während die Dynamik des Spiels alle Fans um die Ultras herum immer weiter mitriss. Lange hatten die Dynamo-Fans ein Heimspiel, dann kämpfte das Stadion gemeinsam mit dem Team dagegen an und brachten die Sachsen, die den Aufstieg binnen 13 Minuten vielleicht schon verspielt haben, zum Schweigen. "Nie mehr 3. Liga" hatte der Gästeblock phasenweise bereits angestimmt – und reagierte dann verstimmt, als ihnen eine halbe Stunde später aus Tausenden Kehlen "Nie mehr 2. Liga" entgegenschallte. Der SV Meppen war der Sieger dieses Abends, und das in jeglicher Hinsicht: Wo sich die Einen würdevoll aus der 3. Liga verabschiedeten, da feuerten die anderen im Frust Pyrotechnik in Blöcke voller Familien, versuchten Zäune zu stürmen, Trainer Markus Anfang jammerte, fabulierte von einem "beleidigenden Publikum", schlüpfte in die Opferrolle. Die verzweifelten, bockigen "Absteiger"-Rufe der Schwarz-Gelben taten dem SVM nicht mehr weh.

Middendorp bleibt im Klub: "Werde die Seitenlinie nicht verlassen"

Schließlich liegt der Fokus jetzt auf dem Neuanfang. Einer, auf dem Meppen nicht nur von der Dresdner Konkurrenz wie Osnabrück, Saarbrücken und Wiesbaden eine schnellstmögliche Rückkehr in die 3. Liga gewünscht wird. Allein dieser Montagabend, das abschließende Farewell nach sieben Jahren, stellte nochmals klar: Dieser charmante Standort im Emsland, dieses Stadion, diese Fans gehören in den Profifußball. Doch wer setzt das um? Sicherlich wird Ernst Middendorp, bei dessen Verpflichtung Fußballdeutschland über Meppen lachte, daran beteiligt sein. Er führte den SVM zu 13 Punkten aus fünf Spielen, als es nicht mehr viel zu verlieren gab – wäre der Aufwärtstrend, der maßgeblich durch Middendorps trockene, motivierende Art beeinflusst wurde, doch nur zwei Wochen früher eingetreten! "Ich werde die Seitenlinie nicht verlassen", kündigte der 64-Jährige schon kurz nach Abpfiff am Mikrofon von "MagentaSport" an. Weiterhin als Trainer oder als Sportdirektor? "Nennen Sie es, wie Sie es wollen", grummelte Middendorp.

Eine fußballromantische Spekulation ist, dass dieses Erlebnis auch einige Spieler zum Bleiben bewegt. Im Moment des Erfolgs war jedenfalls schwer vorstellbar, dass ein Bruno Soares seine Zelte nun abbricht. Auch andere Erfahrene wie Steffen Puttkammer und Erik Domaschke können sich einen Verbleib gut vorstellen, Torschütze Janssen hat bereits einen gültigen Vertrag für die Regionalliga Nord. Ein Coup wäre es, auch Torjäger Marvin Pourie vom Gang in die 4. Liga überzeugen zu können. Klar ist: Meppen wird im kommenden Jahr Topfavorit der Regionalliga Nord sein, wohl noch vor seinem Rivalen VfB Oldenburg. Allerdings wartet das Nadelöhr Relegation auf den Meister, im Sportjahr 2023/24 gegen den Sieger der Bayern-Staffel. Der Weg zurück auf die große Bühne wird also steinig. Doch mit der versöhnlichen Aufbruchsstimmung, die der SVM dem Seuchenjahr zum Trotz am Montagabend entfachte, scheint eine Menge möglich.

   

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