Strittige Szenen am 4. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Tore für Halle, die Elfmeter für Mannheim und Aue, die nicht gegebenen Strafstöße für Mannheim, Halle, Lübeck, Duisburg, Bielefeld und Unterhaching, ein Zeitspiel von Mannheims Abifade, das Tor für Duisburg, die nicht gegebene gelb-rote Karte gegen Essens Sapina und ein Foul von Münsters Koulis. Am 4. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 14 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach einem Zweikampf mit Jonas Albenas (Mannheim) geht Lukas Halangk (Halle) zu Boden. Dabei berührt er das Spielgerät jedoch mit beiden Händen, Schiedsrichter Florian Badstübner lässt das Spiel weiterlaufen. Kurz danach gibt es Ecke, aus der das 1:0 für Halle resultiert. [TV-Bilder – ab Minute 19:25]
Babak Rafati: Beim Zweikampf zwischen Albenas und Halangk geht Halangk zu Boden und bekommt den Ball an beide Arme. Auch wenn sein Blick zum Ball gerichtet ist, kann man ihm keine Absicht unterstellen, und nur die ist entscheidend für die Beurteilung eines strafbaren Handspiels. Beim Hinfallen bekommt Halangk den Ball an den rechten Arm, und von da aus springt der Ball billardmäßig an den linken Arm, mit dem er sich am Boden abstützt. Der Abstützarm ist regeltechnisch gedeckt, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
Szene 2: Nach einem langen Ball in den Strafraum geht Bentley Baxter Bahn (Mannheim) gegen Tim-Justin Dietrich (Halle) im Strafraum zu Fall, Badstübner gibt Elfmeter für Mannheim. [TV-Bilder – ab Minute 1:55]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball auf Baxter Bahn läuft dieser Richtung Tor und wird von Dietrich, der leicht hinter ihm ist, zunächst vor dem Strafraum festgehalten. Beim Weiterlaufen in den Strafraum ist das Halten von Dietrich immer noch gegeben, sodass das Vergehen im Strafraum geahndet wird (bei zwei Vergehen eines gleichen Spielers wird das schwerere geahndet) und eine richtige Entscheidung vorliegt, auf Elfmeter zu entscheiden.
Szene 3: Im Anschluss an eine Ecke stützt sich Tom Baumgart (Halle) bei Laurent Jans (Mannheim) auf und trifft zum 3:2. Der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]
Babak Rafati: Nach einer Ecke setzt Baumgart robust, aber regelgerecht seinen Körper gegen Jans ein und erzielt ein Tor. Dabei ist kein Schieben oder ähnliches auszumachen, das ein Foulspiel rechtfertigen würde. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen.
Szene 4: Berkan Taz (Mannheim) geht im Strafraum gegen Timur Gayret (Halle) zu Fall, Badstübner lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:57:15]
Babak Rafati: Im Strafraum holt Taz zum Schuss aus, dabei stört Gayret von hinten. Allerdings nicht regelwidrig, sodass kein Foulspiel vorliegt. Das Stören ist im Bereich des Erlaubten, und somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.
Szene 5: Im Strafraum wird Patrick Hasenhüttl (Halle) von Laurent Jans (Mannheim) gehalten und geht zu Boden. Kein Elfmeter, entscheidet Badstübner. [TV-Bilder – ab Minute 4:10]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball kommt dieser auf Höhe des Fünfers auf Hasenhüttl, der in sehr guter Position ist und eine gute Chance hat, einen Treffer zu erzielen. Dabei wird er von Jans an der Hüfte festgehalten und zu Boden gerissen. Das ist kein erlaubtes Bearbeiten mehr, sodass ein Foulspiel vorliegt. Es hätte somit einen Elfmeter und die gelbe Karte gegen Jans geben müssen. Eine rote Karte kann es trotz Gegnerorientierung deshalb nicht geben, da der Angreifer regeltechnisch keine Ballkontrolle hat – was eines der Kriterien für eine Notbremsenregelung ist – und somit keine glasklare Torchance vorliegt, sondern lediglich eine gute Chance. Eine Fehlentscheidung, in dieser Szene weiterspielen zu lassen.
Wenn man Szene 2 mit dieser vergleicht, muss man sich fragen, warum es dort einen Elfmeter für Mannheim gegeben hat und in dieser Szene Halle diesen nicht auch zugesprochen bekommt, zumal die Szenen sehr ähnlich gelagert sind. Hierbei darf es auch keine Frage von fehlendem Mut sein, denn ein Bundesliga-Schiedsrichter sollte in der 3. Liga keine Probleme damit haben, auch in den Schlussminuten gegen die Heimmannschaft auf Elfmeter zu entscheiden.
Szene 6: Nach einem Foul wird Samuel Abifade (Mannheim) außerhalb des Spielfelds behandelt, steht aber auf und setzt sich auf den Platz, um Zeit von der Uhr zu nehmen. Eine Karte sieht er dafür nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:00:45]
Babak Rafati: Zunächst sitzt Abifade nach einem Foulspiel ein paar Zentimeter von der Seitenlinie noch auf dem Platz. Dabei kommen ein paar Spieler von Halle und tragen ihn vom Feld, weil sie ein mögliches Zeitspiel des Mannheimers monieren.
Das wiederum lässt sich der Mannheimer nicht gefallen, steht er, geht wieder auf das Feld zurück und setzt sich hin. Das ist offensichtlich ein Zeitspiel und somit eine Unsportlichkeit. Dafür muss man die gelbe Karte zeigen, insbesondere nach den neuen Anweisungen im Schiedsrichter-Trainingslager, bei denen gegen Unsportlichkeiten konsequenter vorgegangen werden soll. Eine Fehlentscheidung, die vorgeschriebene gelbe Karte gegen Abifade nicht zu zeigen.
Szene 7: Cyrill Akono (Lübeck) will im Strafraum einen Ball erlaufen, bekommt aber von Tim Danhof (Aue) den Ellenbogen in den Rücken und geht zu Fall. Schiedsrichter Daniel Bartnitzki pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]
Babak Rafati: Akono wird im Strafraum am Fünfer in sehr aussichtsreicher Position angespielt, bekommt eine gute Chance, den Ball im Tor unterzubringen und hat nur noch den Torwart vor sich. Bei der Schussbewegung bekommt er allerdings von hinten den Arm von Danhof in den Rücken gestoßen, sodass er ursächlich deshalb zu Fall kommt. Das ist ein Foulspiel, für das es einen Elfmeter hätte geben müssen. Ob Akono allerdings auch ohne den Stoß an den Ball gekommen wäre, ist zweifelhaft, für die Bewertung des Foulspiels aber nicht maßgeblich, wohl aber für die Kartenfarbe. Es liegt keine Notbremse vor, sodass – auch wenn die Aktion des Verteidigers nur gegnerorientiert ist und er keine Chance zum Ball hat -, diese nur mit der gelben Karte zu ahnden ist. Eine Fehlentscheidung, die Aktion überhaupt nicht zu ahnden und den fälligen Elfmeter nicht zu geben.
Szene 8: Nach einem weiten Zuspiel kommt Marcel Bär (Aue) im Strafraum gegen Jannik Löhden (Lübeck) zu Fall, es gibt Elfmeter für Aue. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]
Babak Rafati: Bär dringt in den Strafraum ein, Löhden verfolgt ihn und will zum Ball grätschen, verfehlt diesen aber. Dabei kommt es von hinten zu einem leichten Kontakt durch das Grätschen von Löhden, bei dem er Bär leicht an der Wade trifft. Dieser Kontakt ist allerdings nicht ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers. Vielmehr wird der leichte Kontakt dankend angenommen, um zu Fall zu kommen. Das ist ein Soft-Penalty, wie er intern betitelt wird. Für solch einen Zweikampf darf es keine Elfmeter geben, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt. Wenn man beide Szenen (7 & 8) vergleicht liegt keine Einheitlichkeit der Zweikampfbewertung vor.
Szene 9: Im Strafraum rutscht Marvin Bakalorz (Duisburg) aus, spielt den Ball aber dennoch weiter. Sebastian Maier (Ulm) bekommt das Spielgerät dabei an den Arm, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Tobias Wittmann nicht. [TV-Bilder – ab Minute 32:50]
Babak Rafati: Maier bekommt den Ball aus kurzer Entfernung im eigenen Strafraum an den Arm, dabei springt er erst an den Bauch und dann gegen den Arm. Der Arm ist dabei in natürlicher Haltung und sogar auf dem Weg, sich nach unten abzusenken, sodass in dieser Szene kein absichtliches Handspiel vorliegt. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 10: Thomas Geyer (Ulm) wird bei einer Klärungsaktion von Alexander Esswein (Duisburg) gefoult, dennoch gibt es Ecke, aus der das 1:0 für Duisburg fällt. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]
Babak Rafati: Beim Klärungsversuch durch Geyer, der den Ball zur Ecke abwehrt, kommt Esswein kurz danach angegrätscht, verfehlt das Spielgerät und trifft stattdessen Geyer. Das ist ein Foulspiel, sodass es Stürmerfoul anstatt der anschließenden Ecke hätte geben müssen. Der folgende Treffer hätte damit nicht zustande kommen dürfen. Eine Fehlentscheidung, trotzdem auf Eckball zu entscheiden. Essweins Reaktion ist eigentlich für einen Schiedsrichter vielsagend, denn wenn die Arme hochgerissen werden und ein Stürmer sich zudem vom Tor zurückorientiert, anstatt in den Strafraum zu gehen, um sich für die nachfolgende Ecke in Position zu bringen, dann weiß er ganz genau, was er begangen hat.
Szene 11: Andreas Geipl (Regensburg) bekommt den Ball auf Höhe der Strafraumlinie bei einem Zweikampf mit Nassim Boujellab (Bielefeld) an den Arm, Schiedsrichter Lars Erbst lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]
Babak Rafati: Bei einem Zweikampf knapp innerhalb des Strafraums nimmt Geipl bewusst den Arm in unnatürlicher Haltung nach oben und spielt den Ball mit diesem, sodass ein absichtliches Handspiel vorliegt und es einen Elfmeter für Bielefeld hätte geben müssen. Es ist gut zu sehen, dass der Ball mit der Rückseite des Ellenbogens gespielt wird. Durch die Bewegung des Armes zum Ball ist auch eine größere Fläche des Armes im Einsatz, als wenn der Arm zum Beispiel nach einem Schuss an einem Punkt des Armes getroffen wird und dabei in einer ruhigen Haltung ist. Die Flugbahn des Balles ist final ein Indiz für das Spielen mit dem Arm. Eine Fehlentscheidung, diesen zu verweigern, zumal der Schiedsrichter in einer sehr guten Position zum Geschehen steht und trotzdem deutlich signalisiert, weiterspielen zu lassen.
Szene 12: Der bereits gelb-verwarnte Vinko Sapina (Essen) foult einen Preußen-Spieler im Mittelfeld, Benen entscheidet auf Vorteil und zeigt Sapina auch danach keine gelbe Karte. [TV-Bilder – ab Minute 1:26:30]
Babak Rafati: Wenn ein Schiedsrichter bei einem gelb-würdigen Foulspiel aufgrund der Intensität auf Vorteil entscheidet, muss er regeltechnisch in der nächsten Spielunterbrechung nachträglich die gelbe Karte zeigen. In dieser Szene wendet der Schiedsrichter die Vorteilsbestimmung an und hätte somit die Möglichkeit gehabt, das Vergehen von Sapina anschließend mit der gelb-roten Karte zu ahnden. Das Vergehen an sich würde rein abstrakt betrachtet, eine gelbe Karte nach sich ziehen. Wiederum kommt ein sehr guter Angriff zustande, sodass der Schiedsrichter womöglich deshalb ein Auge zudrückt. Womöglich wollte der Schiedsrichter auch bei diesem Derby nicht durch einen Platzverweis das Spiel beeinflussen und frühzeitig dafür sorgen, dass 11 gegen 10 spielen. Das sind zwei Mutmaßungen, die nicht zutreffen müssen, aber eine mögliche Erklärung für die Entscheidung gegen eine zweite gelbe Karte gegen Sapina sein könnten. Es gibt Argumente für einen Platzverweis, aber auch gegen einen Platzverweis, so dass beide Entscheidungen vertretbar wären. Bei einem Platzverweis gegen Sapina hätte der Schiedsrichter allerdings weniger Angriffsfläche für Kritik gegen seine Entscheidung geboten. Somit wäre ein Platzverweis eine bessere Entscheidung.
Wenn ein Schiedsrichter einen Vorteil in den zwei nachfolgenden Fällen gibt, kommt eine sog. "Rabattierung" ins Spiel. 1) Bei Notbremsen nach vorangegangenem Foulspiel, gibt es lediglich die gelbe statt die rote Karte, unabhängig davon, ob der Vorteil zum Tor führt oder nicht. 2) Bei taktischem Foulspiel gibt es keine Karte. Die Begründung ist, dass kein Nachteil entstanden ist und der Angriff trotzdem zustande kam. Bei Foulspielen wegen Intensität hingegen gibt es weiterhin vergehensabhängig die entsprechende Karte in der nächsten Spielfortsetzung.
Szene 13: Nach einem Freistoß bekommt Jakob Golz (Essen) den Ellenbogen von Niko Koulis (Münster) ins Gesicht. Schiedsrichter Lukas Benen ahndet die Szene nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:09:35]
Babak Rafati: Nach einem Freistoß springt Koulis zum Kopfball hoch und setzt dabei aber seinen Ellenbogen in einer Art und Weise ein, dass er die Gesundheit des Gegenspielers gefährdet. Er trifft Keeper Golz voll im Gesicht. Hierbei liegt ein Schlag mit dem Ellenbogen vor, der neben dem Freistoßpfiff die rote Karte gegen den Angreifer zur Folge haben muss. Eine Fehlentscheidung, diese nicht zu zeigen.
Szene 14: Maurice Krattenmacher (Unterhaching) dringt in den Strafraum ein und geht gegen Moritz Fritz (Köln) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Patrick Kessel. [TV-Bilder – ab Minute 1:58:50]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf kann aufgrund der Kameraperspektive nicht zweifelsfrei beurteilt werden, ob Fritz tatsächlich foult oder aber Krattenmacher selbstverschuldet gegen den Körper von Fritz läuft. Somit ist die Entscheidung des Schiedsrichters zu akzeptieren, zumal auch das Spielerverhalten tendenziell auf kein Foulspiel hindeutet.
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