Erste Analyse nach dem Auftakt: Die obere Tabellenhälfte
Zu Beginn der ersten Länderspielphase der Saison 2023/24 sind in der 3. Liga fünf Spieltage absolviert – genug, um den Saisonstart aller Klubs unter die Lupe zu nehmen. An der Tabellenspitze tummeln sich längst nicht nur erwartete Favoriten, unter anderem mischen auch zwei Aufsteiger fröhlich mit. Das und mehr thematisieren wir im zweiten Teil der liga3-online.de-Analyse zum Auftakt.
Topfavorit mit einem zu 80 Prozent erneuerten Kader? Sandhausen legte sich die Latte mit dem selbst ausgesprochenen Aufstiegsziel in luftige Höhen – und scheitert derzeit noch an der Realität, wie das 1:4 in Halle zuletzt deutlich zeigte. Sicherlich ist längst nicht alles schlecht, der Heimsieg über Dresden (1:0) und mehr noch der über 1860 München (3:0) deckten schließlich auch sehr gute Ansätze auf. Noch greifen allerdings nicht alle Räder ineinander, was nach dem XXL-Umbruch aber auch nicht auf Anhieb zu erwarten war.
Nach drei Spielen ein Fehlstarter, nach fünf ein Verfolger: Waldhof Mannheim und Rüdiger Rehm haben es vorgemacht – und sich als Effizienzmeister bewiesen. Sowohl beim 3:2 über den HFC, als der SVW alle seine Tore binnen sieben Minuten in der Auftaktviertelstunde markierte, als auch beim 3:1 in Münster setzte er die Nadelstiche präzise gegen einen Gegner, der sich zu diesen Zeitpunkten in Sicherheit wähnte. Das starke Mittelfeld um Bahn und den auffälligen Neuzugang Lockl könnte zum Garanten für eine solidere Spielzeit werden.
Mit sechs Punkten aus den vergangenen zwei Partien ist RWE ein Team der Stunde. Besonders der 1:0-Erfolg über Preußen Münster tat unheimlich gut, war ein Brustlöser nach saisonübergreifend monatelangem Warten auf den ersehnten Dreier. Wie reif ist Essen wirklich? Das folgende 2:0 in Freiburg gab wichtige Hinweise, doch im traditionell schnelllebigen Umfeld an der Hafenstraße müssen weitere Bestätigungen folgen, damit sich handfeste und widerstandskräftige Zuversicht entwickelt.
Ginge es nach den reinen Leistungen, müsste Viktoria Köln wohl einen Top-3-Platz belegen. Spielerisch zeigt sich Olaf Janßens Team als besonders ausgereift, die Abläufe stimmen, die Dominanz ist in den meisten Partien nicht von der Hand zu weisen. Doch daheim gegen Essen (0:0) und Bielefeld (1:1) passte der Ertrag nicht, statt deutlicher Siege musste sich die Viktoria ärgern. Doch der Ansatz ist ein vielversprechender – und der Status als Geheimfavorit allemal berechtigt.
Ein bisschen viel Spektakel war es nach dem Gusto des 1. FC Saarbrücken schon, erst beim jüngsten 2:0 über den BVB II stand die aus dem Vorjahr noch bestens bekannte Defensive wieder grundsolide. Doch sprechen wir hier schon von Luxusproblemen? Das Mittelfeld um Spieler wie Kerber, Sontheimer, Civeja und Neudecker ist außergewöhnlich besetzt, der Sturm mit Schmidt und Brünker ebenso – Letzterer traf in fünf von sechs Pflichtspielen. Darunter auch im Pokalspiel gegen Karlsruhe, das der FCS um Trainer Rüdiger Ziehl ebenso gewann. Ein starker Start, goutiert mit dem bequemen Platz im Verfolgerfeld.
Auf das 1:1 gegen Saarbrücken und die Niederlage in Unterhaching war das Gefühl bei den Ulmer Spatzen noch ein unsicheres – spätestens mit dem 1:0-Erfolg über Absteiger Bielefeld aber ist das Selbstvertrauen kräftig gewachsen, und die Donauschwaben haben richtig Lust, die Liga aufzuwühlen. Dreimal war der SSV zuletzt die bessere Mannschaft, holte erst einen Punkt in Duisburg und dann ein absolut verdientes 3:0 über Mitaufsteiger Lübeck. Mit dieser Intensität und Lust an spielerischen Lösungen sind die Ulmer alles, aber kein klarer Abstiegskandidat.
Noch überraschender ist das Abschneiden der SpVgg Unterhaching. Denn dass ausgerechnet die Münchner Vorstädter, die sich nur einen Sommertransfer leisten konnten, so schwer zu besiegen sind (sie sind die dritte ungeschlagene Truppe der 3. Liga), das ist erstaunlich. Der Mix aus viel Erfahrung in der Spitze und etlichen Talenten in der Kaderbreite (Maurice Krattenmacher, Ben Westermeier, Aaron Keller) erweist sich bis dato als goldrichtig, und auch die satte DFB-Strafe für Nicht-Fußballlehrer Marc Unterberger an der Seitenlinie ist gut investiert. Das Weiterkommen im Pokal rundete den tollen Spätsommer ab. Mit dem Landespokal-Aus bei Viertligist FV Illertissen musste der Aufsteiger am Dienstagabend aber den ersten Rückschlag hinnehmen.
Oft straft die Realität alle Experten Lügen – so bislang auch bei der Einschätzung, wie konkurrenzfähig die Zweitliga-Absteiger sein würden. Viele setzten auf Sandhausen, einige auf Bielefeld. Aber wer hätte Jahn Regensburg als stärksten Starter erwartet? Joe Enochs steht dabei wie gewohnt nicht für Spektakel, sondern für eine konzentrierte Defensive und giftige Umschaltmomente. Mit der Qualität, die im Jahn-Kader zweifellos vorhanden ist, geht sich das bis dato gut aus. Fünf Spiele ohne Niederlage, so kann es weitergehen.
Erzgebirge Aue scheint alte Fußball-Gesetzesmäßigkeiten wieder herstellen zu wollen. Denn eine Regel der vergangenen Jahrzehnte besagte schließlich: Die Veilchen gehören zweitklassig. Nun dürfte Trainer Pavel Dotchev die Trauben noch nicht derart in die Höhe hängen wollen, aber Fakt ist: Aue ist ungeschlagen, Aue hat eine hungrige Truppe mit ganz viel Moral und dem Quäntchen Spielglück, das bei allen drei Siegen dabei war. So könnte die Saison eine richtig gute werden.
So geziemt sich das für einen Spitzenklub! Dynamo Dresden hat – mit einer kleinen Ausnahme am zweiten Spieltag – den Ruf als Topfavorit bislang bestätigt. Die perfekte Heimspiel-Bilanz aus drei Siegen gegen Bielefeld, Mannheim und Ingolstadt ist eine Ansage, über das 0:1 in Sandhausen an einem gebrauchten Abend kann schnell hinweg gesehen werden. Die SGD hat nach dem knapp verpassten Aufstieg Euphorie entfacht und könnte mit derzeit 28.000 Fans pro Spiel im Rücken schon bald ausnutzen, dass die anderen Aufstiegsfavoriten bislang eher noch schwächeln.
Weiterlesen: Die untere Tabellenhälfte