Strittige Szenen am 6. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Das Foul an Saarbrückens Schmidt, die nicht gegebenen Elfmeter für Unterhaching, Essen, Halle, 1860 und Bielefeld, die Platzverweise gegen Riedel und Jans, der nicht gegebene Treffer für Duisburg, das 3:1 von Aue, der Strafstoß für Köln, Foulspiele von Regensburgs Schönfelder, Dortmunds Besong und Bielefeld Gohlke. Am 6. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 16 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Im Mittelfeld kommt es zu einem Duell zwischen Benedikt Bauer (Unterhaching) und Patrick Schmidt (Saarbrücken), der von seinem Gegenspieler so unglücklich am Schienbein getroffen wird, dass er sich schwer verletzt. Eine Karte sieht Bauer von Schiedsrichter Felix Bickel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 45:50]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf spielt Bauer zwar klar den Ball, allerdings kommt es in diesem Bewegungsablauf auch zu einem sehr unglücklichen Zusammenprall mit Schmidt, der sich in der Folge aufgrund des Treffers schwer verletzt. Allein der Anblick, wie das Bein von Schmidt nach dem Zweikampf aussieht und das Schienbein zur Seite wegknickt, ist für alle schmerzlich. Auch wenn Bauer letztendlich zuerst den Ball spielt, muss festgehalten werden, dass er ein hohes Risiko eingeht, den Gegenspieler zu treffen. Das passiert dann auch, sodass unmittelbar nach dem Ballspielen ein brutaler Treffer in die Beine des Gegenspielers zustandekommt. Unglücklich, aber eben auch mit einem hohen Risiko. Aufgrund des Trefferbildes gibt es regeltechnisch nur die Möglichkeit der roten Karte. Dabei spielt die Nichtabsicht oder unglücklich überhaupt keine Rolle, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, diese rote Karte nicht zu zeigen. Das sind die Szenen, bei denen die Regel besagt, eine "Verletzung des Gegenspielers in Kauf zu nehmen". Bei solch einer Verletzung gibt es dann überhaupt keine andere Wahl als die rote Karte.

Szene 2: Im Strafraum bekommt Lukas Boeder (Saarbrücken) das Spielgerät nach einem Kopfball an den Arm, einen Elfmeter gibt Bickel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:04:40]

Babak Rafati: Nach einem Kopfball auf das Tor nimmt Boeder den Arm heraus, sodass dieser abgespreizt ist und die Körperfläche vergrößert wird, um den Ball aufzuhalten beziehungsweise zu blocken, was ihm auch gelingt. Von einer natürlichen Haltung kann da nicht mehr die Rede sein. Das ist ein absichtliches Handspiel, und somit hätte es einen Elfmeter und die gelbe Karte gegen Boeder geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter nicht zu geben. Sollte zuvor im Zweikampf zwischen Hachings Westermeier und Saarbrückens Brünker ein leichtes Ziehen des Hachingers vorgelegen haben, würde das für einen Elfmeter einfach nicht ausreichen.

 

Szene 3: Auf dem Weg zum Tor wird Ron Berlinski (Essen) von Florian Ballas (Regensburg) am Schuss gehindert und kommt ins Straucheln. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Martin Speckner. [TV-Bilder – ab Minute 30:35]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell zwischen Ballas und Berlinski ist alles im grünen Bereich, da der Verteidiger zwar Kontakt mit dem Angreifer hat, aber nichts Regelwidriges begeht. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.

Szene 4: Der bereits gelb-verwarnte Oscar Schönfelder (Regensburg) stellt gegen Marvin Obuz (Essen) den Körper rein und bringt ihn damit zu Fall, kommt aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 53:05]

Babak Rafati: Obuz legt den Ball an Schönfelder vorbei und kann einen guten Angriff einleiten. Allerdings stoppt Schönfelder ihn mit einem taktischen Foulspiel daran und bringt ihn zu Fall. Auch wenn der Schiedsrichter der Meinung ist, dass das Vergehen weit weg vom gegnerischen Tor ist, darf in diesem konkreten Fall nicht außer Acht gelassen werden, wie viele Spieler da noch hätten eingreifen können. Somit ist das ein gelbwürdiges Vergehen, was in der Konsequenz zur gelb-roten Karte gegen Schönfelder hätte führen müssen. Eine Fehlentscheidung, die Ampelkarte nicht auszusprechen.

Szene 5: Eine Flanke von Andreas Wiegel (Essen) bekommt Benedikt Saller (Regensburg) im Strafraum an den Arm, einen Elfmeter gibt Speckner nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:10]

Babak Rafati: Nachdem der Ball in den Strafraum geflankt wird, springt er kurz vom Boden ab, und Saller bekommt das Spielgerät an den Bauch. Von da aus springt der Ball an den Arm, der allerdings in normaler Haltung ist, weil Saller im normalen Bewegungsablauf ist. Als er den Ball an den Arm bekommt, zieht der diesen sogar schnell zurück. Bei diesem gesamten Bewegungsablauf kann nicht von einem absichtlichen Handspiel gesprochen werden, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

Szene 6: Im Duell mit Torhüter Felix Gebhart (Regensburg) kommt Torben Müsel (Essen) im Strafraum zu Fall. Zunächst entscheidet Speckner auf Elfmeter, nimmt die Entscheidung nach Absprache mit seinem Assistenten aber zurück. [TV-Bilder – ab Minute 2:25]

Babak Rafati: Im Strafraum will sich Müsel den Ball an Keeper Gebhart vorbeilegen. Dieser kommt aus seinem Tor herausgeeilt und wirft sich zum Ball. Dabei spielt er diesen entscheidend mit dem Arm zur Seite. Auch wenn es danach zu einem Kontakt mit dem Angreifer kommt, ist dieser im normalen Bewegungsablauf. Dadurch, dass die Aktion vom Keeper ballorientiert ist und final der Ball gespielt wird, liegt ein sauberes Tackling und somit kein Foulspiel vor. Das muss ein Schiedsrichter allein schon wegen der Ballrichtungsänderung auf dem Platz erkennen, was aber nicht geschieht. Aber prima, dass der Assistent ihn auf den Fehler hinweist und am Ende eine richtige Entscheidung getroffen wird.

Der Assistent hatte schon im normalen Ablauf für Weiterspielen plädiert. Das sieht man sehr gut daran, dass bei er bei der Aktion des Torhüters noch in seiner Position stehen bleibt und nicht wie es nach der Anweisung vorgeschrieben ist, gleich Richtung Sechzehner in Position läuft. Er läuft erst nach dem Pfiff in diese Position. Am Ende kann man dem Assistenten ein Kompliment aussprechen, dass er den Schiedsrichter "rettet."

 

Szene 7: Für ein Foul an Scienza (Ulm) sieht Julian Riedel (Mannheim) von Schiedsrichter Timo Gansloweit glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 0:50]

Babak Rafati: Scienza legt sich den Ball etwa zehn Meter in der gegnerischen Hälfte auf der linken Außenbahn vor und will hinterherlaufen, um einen sehr aussichtsreichen Angriff einzuleiten. Dabei kommt Riedel vollkommen übermotiviert in den Zweikampf und will nur seinen Gegenspieler abräumen, sodass der Ball gar nicht Spielobjekt ist. Dadurch, dass er den Ball verfehlt, zieht er das andere Bein mit viel Dynamik nach und trifft Scienza in die Beine und bringt ihn rüde zu Fall. Das ist ein brutales Spiel, das aufgrund der Intensität die Gesundheit des Gegenspielers gefährdet, sodass die rote Karte absolut berechtigt ist.

Szene 8: Nach einem Foul an Nicolas Jann (Ulm) schießt Laurent Jans (Mannheim) den Ball weg und sieht Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:01:15]

Babak Rafati: Nach einem Foulspiel von Jans an der Seitenlinie an Jann unterbricht der Schiedsrichter richtigerweise das Spiel und will einen Freistoß verhängen. Darüber verärgert, schießt Jans den Ball nach dem Pfiff weit weg. Das Wegschießen ist auch nicht vor dem Pfiff, sondern klar danach. Dieses Wegschießen ist ein Protest gegen den Schiedsrichter. Eine Spielweise, die seit dieser Saison verschärft wurde und konsequent mit der gelben Karte geahndet wird, sodass die Ampelkarte in der Folge eine richtige Entscheidung ist.

 

Szene 9: Nach einer weiten Flanke von Tim Köther kommt der Ball zu Sebastian Mai, der im Strafraum abzieht. Torge Paetow wirft sich vor dem einschussbereiten, aber im Abseits stehenden Benjamin Girth in den Schuss und bringt den Ball im eigenen Tor unter. Schiedsrichter Luca Jürgensen entscheidet jedoch auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:13:45]

Babak Rafati: Nach dem Schuss von Mai auf das Tor steht zunächst einmal nur ein Verteidiger (der Torwart) näher zur eigenen Torlinie als Girth. Bekanntlich müssen immer zwei Verteidiger näher zur eigenen Torlinie stehen, damit keine Abseitsposition vorliegt. Nach dem Schuss befördert Paetow den Ball ins eigene Tor, sodass ein Eigentor vorliegt. Doch dadurch, dass Girth Gegenspieler Paetow irritiert, indem er in einen Zweikampf geht und somit ins Spiel eingreift, nimmt er aktiv am Spielgeschehen teil, sodass die Abseitsposition auch ohne Ballberührung eintritt. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, diesen Treffer wegen einer Abseitsposition nicht anzuerkennen.

 

Szene 10: Im Strafraum geht Patrick Hasenhüttl (Halle) gegen Marvin Stefaniak (Aue) zu Boden, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Christian Ballweg nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:06:10]

Babak Rafati: Stefaniak geht im Strafraum mit Hasenhüttl in einen Zweikampf, bei dem der Stürmer spektakulär zu Fall kommt. Allerdings liegt kein Foulspiel des Verteidigers vor, vielmehr ein Stören, wie es im Fußball handelsüblich passiert. Einen möglichen Elfmeter will der Angreifer nur dankend annehmen, das reicht aber niemals für einen Elfmeter aus. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 11: Nach Vorlage von Maximilian Thiel (Aue) trifft Marcel Bär zum 3:1. Halle reklamiert Abseits, der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 0:05]

Babak Rafati: Nach den vorliegenden TV-Bildern macht es den Anschein, dass beim Zuspiel von Thiel Mitspieler Bär noch hinter dem Ball ist und somit keine Abseitsposition vorliegt. Die Position des Assistenten erscheint allerdings sehr fragwürdig, was aber auch an der verzehrten Kameraposition liegen könnte. Tendenziell eine richtige Entscheidung, diesen Treffer anzuerkennen.

 

Szene 12: Im Fallen bekommt Ryan Malone (Ingolstadt) eine Flanke von Albion Vrenezi (1860) an den Arm, auf den Punkt zeigt Schiedsrichter Florian Exner nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:50]

Babak Rafati: Nach einer Hereingabe von Vrenezi grätscht Malone zum Ball und bekommt aus kurzer Distanz das Spielgerät an den Stützarm. Somit liegt eine natürliche Haltung vor, sodass Weiterspielen die richtige Entscheidung ist.

 

Szene 13: Bei einem Freistoß steigt Gerrit Gohlke (Bielefeld) zum Kopfball hoch und trifft Freiburg-Keeper Jaaso Jantunen mit dem Ellenbogen im Gesicht, kommt bei Schiedsrichter Assad Nouhoum aber ohne Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:40:30]

Babak Rafati: Nach einer langen Hereingabe steigt zum Kopfball hoch, setzt dabei den Ellenbogen als sogenanntes Werkzeug ein und trifft hierbei Keeper Jantunen im Gesicht. Dort hat der Ellenbogen nichts zu suchen. Ein Schlag lag aber nicht vor. Es hätte somit einen Freistoß für Freiburg sowie die gelbe Karte gegen Gohlke geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen Vorgang noch nicht einmal zu ahnden. Gerade im Kopfbereich sind die Schiedsrichter wegen einer großen Verletzungsgefahr dazu angehalten, sehr sensibel zu agieren und Vergehen sehr konsequent zu ahnden.

Szene 14: Einen Schuss von Leandro Putaro (Bielefeld) bekommt Joel Bichsel (Freiburg II) im Strafraum an die Hand, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:59:40]

Babak Rafati: Einen Schuss von Putaro bekommt Bichsel aus kurzer Entfernung an die Hand geschossen, allerdings ist der Arm angelegt und in natürlicher Haltung. Somit liegt keine Absicht vor. Deshalb eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 15: Im Strafraum geht Luca Marseiler (Köln) gegen Patrick Göbel (Dortmund II) zu Boden, Schiedsrichter Felix Prigan gibt Elfmeter für Köln. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf kommt es zwar zu einem Kontakt von Göbel gegen Marseiler, bei dem sich der Angreifer dankend fallen lässt, allerdings ist alles handelsüblich und kein Foulspiel auszumachen. Der Schiedsrichter hat auch freie Sicht und eine gute Position, trotzdem trifft er eine Fehlentscheidung. Das sind die sogenannten "soft penaltys", die auf den Schiedsrichterlehrgängen angesprochen wurden, eben diese nicht zu pfeifen, weil einfach zu wenig Vergehen vorliegt.

Szene 16: Auf dem Weg Richtung Tor will Paul-Philipp Besong (Dortmund II) einen Ball erlaufen, geht aber mit gestrecktem Bein und offener Sohle in einen Zweikampf mit Keeper Ben Voll (Köln). Dennoch sieht er nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:00]

Babak Rafati: Nachdem sich Besong den Ball auf dem Weg zum Tor zu weit vorlegt, kommt Keeper Voll aus seinem Tor heraus gelaufen. Dabei streckt Besong zunächst den Fuß heraus und geht mit offener Sohle und gestreckten Bein zum Ball, zieht aber im letzten Moment zurück, sodass der Torwart nur minimal berührt wird und das auch nicht mit dem zuvor gestrecktem Bein. Das Zurückziehen im letzten ermöglicht es dem Schiedsrichter, es bei einer gelben Karte zu belassen. Eine richtige Entscheidung, keine rote Karte zu zeigen, weil die Gesundheit des Gegenspielers im letzten Moment nicht gefährdet wird.

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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