Strittige Szenen am 16. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die nicht gegebenen Tore für Aue und Ingolstadt, der Elfmeter für 1860, die verwehrten Strafstöße für Saarbrücken, Halle und Mannheim, die Platzverweise gegen Schikora, Götze und Glück sowie Foulspiele von Großer, Bazzoli und Fritz. Am 16. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 14 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach einer Ecke bringt Anthony Barylla den Ball zum 1:0 für Aue im Tor unter, doch weil Barylla dabei von Guillermo Bueno (Dortmund II) gefoult wird, pfeift Schiedsrichter Wolfgang Haslberger sofort auf Foulspiel, sodass der Treffer nicht zählt. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]
Babak Rafati: Nach einer Ecke schießt Barylla den Ball per Direktabnahme ins Tor. Unmittelbar nach dem Torschuss – noch in der Torschussbewegung – hält Bueno mit offener Sohle drüber und trifft dabei den Torschützen am Fuß. Das ist zwar ein Foulspiel, allerdings hätte der Schiedsrichter in dieser Szene einen Moment abwarten müssen, um den Vorteil zu gewähren, denn ein Tor ist eine bessere Entscheidung für den Gefoulten als ein Freistoß. Eine mehr als unglückliche Szene, die in dieser Spielklasse einfach nicht passieren darf. Eine Fehlentscheidung, zurückzupfeifen und das Tor nicht anzuerkennen. Hier fehlten einfach die Ruhe und der notwendige Überblick.
Szene 2: Tim Danhof trifft zum 2:0 für Aue, doch Haslberger entscheidet auf Stürmerfoul von Marcel Bär (Aue) an Franz Pfanne (Dortmund) und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]
Babak Rafati: Nach einer Hereingabe in den Strafraum, kommt es zu einem Zweikampf, bei dem Bär seinen Gegenspieler Pfanne mit dem Arm in den Rücken stößt und dadurch zu Fall bringt. Das ist ein Foulspiel, auch wenn das Foulspiel nicht notwendig und Pfanne womöglich nicht mehr an den Ball gekommen wäre. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, auf Foulspiel zu pfeifen und den anschließenden Treffer von Danhof nicht anzuerkennen.
Szene 3: Für ein Foul an Michael Eberwein (Dortmund II) sieht Marco Schikora die gelb-rote Karte, nachdem er zuvor wegen einer vermeintlichen Spielverzögerung Gelb gesehen hatte. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]
Babak Rafati: Das Foulspiel von Schikora an Eberwein ist unstrittig, und die gelbe Karte hierfür ist vertretbar. Allerdings ist die erste gelbe Karte eine Fehlentscheidung, denn das Vergehen stellt kein Zeitspiel oder Unsportlichkeit dar. Dieses kurze Anticken des Balles hat wenig Wirkung. Gelbe Karten wegen Zeitspiel sollten klar und deutlich sein und nicht detektivischen Charakter haben. Es ist unvorstellbar, dass der DFB bei seinem Sommerlehrgang diese Szenen als Maßstab für Unsportlichkeiten mit der Folge für eine gelbe Karte gesetzt hat.
Szene 4: Nach einer Flanke in den Strafraum setzt sich Pascal Testroet (Ingolstadt) gegen Jose-Enrique Rios Alonso (Essen) durch und bringt den Ball im Tor unter. Schiedsrichter Felix Prigan entscheidet jedoch auf Stürmerfoul und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 21:50]
Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum steht Rios Alonso einfach schlecht zum Ball und merkt, dass er nicht mehr an den Ball kommt, sodass er das Handanlegen von hinten vom Gegenspieler Testroet dankend annimmt und zu Fall geht. Das ist aber kein Foulspiel, weil diese minimale Berührung regeltechnisch erlaubt ist und zudem nicht ausreicht, um zu Fall zu kommen. Die Berührung ist somit nicht ursächlich für das Zufallkommen. Hierbei muss man sich auch immer die Frage stellen, ob man bei solch einem Vergehen andersherum (Verteidiger an Stürmer) einen Elfmeter geben würde. Die Antwort dürfte klar ausfallen. Eine Fehlentscheidung, auf Stürmerfoul zu entscheiden und den anschließenden Treffer zu annullieren.
Szene 5: Für ein Einsteigen gegen Jannik Mause (Ingolstadt) sieht der bereits verwarnte Felix Götze (Essen) Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 3:10]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf kommt der bereits gelb-verwarnte Götze einen Moment zu spät und trifft Mause zwar nicht mit dem ausgestreckten Bein, wohl aber mit dem Nachziehbein, sodass er ihn mit diesem im Kniebereich trifft. Das ist ein Foulspiel, das vollkommen berechtigt eine gelbe Karte nach sich zieht und in der Konsequenz zu einer gelb-roten Karte führt, weil die Gesundheit des Gegenspielers außer Acht gelassen wird und somit fahrlässig ist.
Szene 6: Leroy Kwadwo (1860) bringt den auf das Tor zulaufenden Patrick Hobsch (Unterhaching) zu Fall, kommt bei Schiedsrichter Timo Gansloweit aber mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 24:10]
Babak Rafati: Bei einem Laufduell foult Kwadwo seinen Gegenspieler Hobsch durch Beinstellen, der damit eine aussichtsreiche Angriffssituation unterbindet. Dadurch, dass zum Zeitpunkt des Foulspiels Verlaat in unmittelbarer Spielnähe steht und anschließend noch eingreifen könnte, liegt keine Verhinderung einer Torchance vor, sprich Notbremse, sodass die gelbe Karte eine richtige Entscheidung ist.
Szene 7: Im Strafraum kommt Morris Schröter (1860) gegen Dennis Waidner (Unterhaching) zu Fall, Gansloweit gibt Elfmeter für die Löwen. [TV-Bilder – ab Minute 3:10]
Babak Rafati: Nach einem schnell ausgeführten Einwurf kommt es auf der rechten Außenbahn zu einem Laufduell zwischen Waidner und Schröter. Dabei laufen beide in den Strafraum, und im Oberkörperbereich ist alles regelkonform. Allerdings trifft Schröter den Verteidiger in der Laufbewegung nach vorne am Fuß, kommt dadurch selbstverschuldet ins Straucheln und schließlich zu Fall. Somit geht der Kontakt vom Angreifer aus, der aber auch kein Foulspiel darstellt. Schröter steht anschließend in der richtigen Annahme des von ihm selbstverschuldeten Kontaktes und Stolperns schnell wieder auf und will weiterspielen, weil er ganz genau weiß, dass kein Foulspiel vorliegt. Hier hätte es einfach weitergehen müssen, sodass der Elfmeterpfiff eine klare Fehlentscheidung ist. An sich steht der Schiedsrichter von der Entfernung her gut zum Geschehen. Wenn er aber weiter nach rechts gerückt wäre und sich hinter den beiden Spielern in die Sichtlinie postiert hätte, wäre ihm der genaue Vorgang nicht entgangen und dadurch wäre er sicherlich zu einer besseren Entscheidungsfindung gekommen.
Szene 8: Für ein Ballwegschlagen sieht der bereits verwarnte Michael Glück (1860) die gelb-rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 4:00]
Babak Rafati: Auch wenn es den Anschein macht, dass der Spieler von Unterhaching, der kurz zuvor im Zweikampf verwickelt war, womöglich nichts hat, weil er erst aufsteht und nach wenigen Sekunden plötzlich zu Boden sackt, kann ein Schiedsrichter nicht zweifelsfrei beurteilen, ob tatsächlich eine Verletzung vorliegt oder nicht. Daher stoppt er richtigerweise das Spiel in der sogenannten Spielruhe und lässt 1860 München den Einwurf nicht ausführen. Selbst wenn es sich um Zeitspiel handeln sollte, kann diese Zeit nachgespielt werden. Aber die Gesundheit der Spieler hat nun mal Vorrang. Dass sich Glück anschließend dazu hinreißen lässt, den Ball in dieser Form auf den Boden zu knallen und seinen Ärger über diese Situation kund zu tun, ist unnötig und selbstverschuldet. In dieser Situation hat der Schiedsrichter absolut keine andere Wahl, als die gelbe Karte zu zeigen, auch wenn es in dieser Szene in der Konsequenz zu einer gelb-roten Karte führt. Das sind die Szenen, die laut Regel die Autorität der Schiedsrichter untergraben, sodass die gelbe Karte vorgeschrieben ist und keinen Spielraum für ein mögliches Fingerspitzengefühl zulässt. Eine richtige Entscheidung des Schiedsrichters, diese Ampelkarte zu zeigen, auch wenn zugleich der Ärger von Glück nachvollziehbar ist.
Szene 9: Bei einer Rettungsaktion grätscht Julian Eitschberger (Halle) gegen Amine Naïfi (Saarbrücken) und trifft auch den Gegenspieler. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Konrad Oldhafer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:29:30]
Babak Rafati: Bei dieser Rettungsaktion grätscht Eitschberger erst zum Ball und spielt auch das Spielgerät. Noch in der Ausführbewegung mit dem Fuß zum Ball, mit dem zuvor der Ball gespielt und gerettet wurde, trifft er Naifi am Fuß. In dieser Situation ist es entscheidend, dass der Ball Spielobjekt ist und dabei auch gespielt wird. Erst danach kommt es zum Fußtreffer. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen. Wäre der Ball nicht getroffen worden, wäre ein Elfmeter die richtige Entscheidung gewesen.
Man könnte nunmehr auch argumentieren, dass der Verteidiger in Kauf nimmt, auch den Stürmer zu treffen. Allerdings ist auch erwähnenswert, dass der Fuß des Verteidigers klar Richtung Ball geht und der Angreifer selbst den Fuß in eine Position bringt, in der der Verteidiger seinen Fuß wiederum in einem normalen Bewegungsablauf hinführt. Deshalb sprechen in dieser Szene mehr Kriterien für ein Weiterspielen als für einen Elfmeter. In dieser Szene hat der Schiedsrichter sicherlich nicht nach den genannten Kriterien entschieden, sondern womöglich aus dem Bauch heraus, weil die Szene auch wirklich nicht einfach zu erkennen ist auf dem Platz.
Szene 10: Auf dem Weg zum Tor wird Jonas Nietfeld (Halle) von Luca Kerber (Saarbrücken) abgegrätscht und kommt im Strafraum zu Fall. Auf den Punkt zeigt Oldhafer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:10:15]
Babak Rafati: In dieser Szene zeigt sich, wie wichtig eine richtige Position und ein guter Blickwinkel des Schiedsrichters zum Geschehen sind. Knapp innerhalb des Strafraumes grätscht Kerber absolut regelgerecht zum Ball und spielt auch klar das Spielgerät. Dabei fällt Nietfeld anschließend nach der Rettungstat nur über den am Boden liegenden Verteidiger, sodass kein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 11: Auf dem Weg zum Tor wird Cyrill Akono (Lübeck) von Maximilian Großer (Bielefeld) gehalten, Schiedsrichter Martin Speckner belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 21:10]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball kommt es zu einem Zweikampf zwischen Akono und Großer. Dabei sind beide ca. 30 Meter vom Tor entfernt und Akono ist in einer sehr aussichtsreichen Position, in den nächsten Sekunden eine große Torchance zu haben. Dabei hält ihn aber Großer am Trikot fest und hindert ihn am Weiterlaufen. Das ist ein Foulspiel, was der Schiedsrichter auch richtigerweise ahndet. Die entscheidende Frage ist nunmehr, ob der Mitspieler von Großer noch eingreifen kann oder nicht und dadurch die Kartenfarbe für Großer Gelb oder Rot sein müsste. Der Schiedsrichter entscheidet sich für die mildere Strafe, die gelbe Karte. Wenn man das Bild zum Zeitpunkt des Foulspiels anhält, dann liefert das Standbild Klarheit. Ein Bild, was der Schiedsrichter nicht einfangen kann, weil er von hinten auf die Szene schaut und die räumliche Entfernung der Spieler zueinander aus seiner Position nicht einschätzen kann. Das kann der Assistent aber sehr gut, da er einen seitlichen Blick zum Vorgang hat und genau das und den Moment des Foulspiels gedanklich einfrieren und dem Schiedsrichter folglich helfen kann. Akono ist in zentraler Position auf dem Weg zum Tor und es ist davon auszugehen, dass der Mitspieler durch die Entfernung zu Akono nicht mehr eingreifen kann, so dass es in dieser Szene richtig wäre, die rote Karte wegen einer Notbremse zu zeigen. Eine Fehlentscheidung, es nur bei der gelben Karte zu belassen.
Szene 12: Der bereits gelb-verwarnte Luca Bazzoli (Münster) foult Moritz Fritz (Köln), geahndet wird die Szene von Schiedsrichter Tobias Wittmann nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]
Babak Rafati: Bazzoli will sicherlich zum Ball, geht aber mit offener Sohle gegen Fritz zu Werke und trifft ihn oberhalb des Knöchels. Dieser Einsatz ist gesundheitsgefährdend und muss mindestens die gelbe Karte nach sich ziehen, wenn nicht sogar glatt die rote Karte. Eine Fehlentscheidung, keine Karte für dieses harte Einsteigen zu zeigen, was in jedem Fall zu einem Platzverweis (gelb-rote oder rote Karte) geführt hätte.
Szene 13: Für ein taktisches Foulspiel an Sebastian Mrowca (Münster) kommt der verwarnte Moritz Fritz (Köln) mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 2:02:00]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf liegt kein taktisches Foulspiel vor, sondern vielmehr ein normaler Zweikampf, bei dem Mrowca zwar gefoult wird, aber Fritz bemüht ist, einen Zweikampf einzugehen und nicht nur auf den Gegenspieler abzielt, um diesen zu stoppen. Eine richtige Entscheidung, keine Karte für dieses Foulspiel auszusprechen und lediglich einen Freistoß zu verhängen.
Szene 14: Im Strafraum kommt Kennedy Okpala (Mannheim) bei einem Kopfball im Duell mit Torge Paetow (Verl) zu Fall, Schiedsrichter Tom Bauer lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:59:50]
Babak Rafati: Nach einem lange Ball in den Strafraum springt Okpala zum Kopfball, aber der Ball ist einfach etwas zu lang, so dass er diesen nicht mehr erreichen kann. Dass Paetow den Angreifer ein wenig von hinten "bearbeitet" ist handelsüblich und fällt nicht in die Kategorie Foulspiel, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
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