Preußen im Hoch: An der Hammer Straße entwickelt sich etwas

Es war das kleine Haar in der Suppe eines so tollen Vorjahres: ein verlorenes Derby, ein verlorener Westschlager in Bielefeld respektive Essen. Preußen Münster nahm sich eine Revanche nicht nur vor, sondern lieferte diese in zwei eng umkämpften Spielen auch ab. Dass der SCP alle sechs Punkte einstrich, mag mancher als glücklich einschätzen. Doch wie die Preußen dieses Glück auf ihre Seite zogen, war umso bemerkenswerter.

Wie selbstverständlich kommt die zweite Luft

Sascha Hildmanns Freudentänze sind mittlerweile berühmt wie berüchtigt. Auch wenn er sich selbst das Feiern in der Kurve – seltene Anlässe wie Aufstiegspartys einmal ausgenommen – untersagt hat und dort lieber der Mannschaft den Vortritt lässt, so wissen die Fans der Adlerträger ganz genau: Dieser 51-jährige gebürtige Kaiserslauterer, der im Herzen längst ein Westfale geworden ist, er würde am liebsten mit "seiner" Kurve mitsingen und hüpfen. Binnen zwei Wochen hat der SC Preußen Münster seine rund 10.500 Heimfans – mehr dürfen ja aktuell nicht in das Stadion an der Hammer Straße – zum Toben gebracht. Zweimal einen etwas größeren, etwas erfahreneren, etwas finanzstärkeren Rivalen zum Stürzen gebracht. Erst stolperte Arminia Bielefeld, dann Rot-Weiss Essen, beide nach dem ganz ähnlichen Muster.

"Ich war am Schluss tot", sagte Hildmann im Klub-TV nach dem 2:1-Sieg über RWE. "Es hat an meinen Nerven gezehrt. Aber es hat die Mannschaft gewonnen, die leidensfähiger ist." Dass dies seine Schwarz-Weiß-Grünen waren, darüber ließ sich in beiden Duellen kaum debattieren. Sowohl die Arminen als auch die Rot-Weissen zogen ein sehenswert ausgereiftes Kombinationsspiel aus, ließen die Preußen damit auch mal über längere Spielphasen hinterherlaufen. Nur: Dieses Team wirkt zu nahezu jeder Spielphase völlig bereit dafür. Ein zu dem Zeitpunkt verdienter Rückstand, wie gegen Bielefeld? Kein Problem! Ein zu dem Zeitpunkt verdientes Ausgleichstor, wie gegen Essen? Macht uns doch nichts! Hier stellt sich ein Team dagegen, das wie selbstverständlich eine zweite Luft erhält. Das aneinanderheftet wie frisch getrockneter Sekundenkleber.

Preußen Münster kompensiert Ausfälle

Die Masse an Mentalität, die einem Gegner – insbesondere im Preußenstadion – derzeit förmlich entgegensprudelt, ist beeindruckend. Die Stehauf-Männer aus der Domstadt kamen gegen Essen wie entfesselt aus der Pause, glänzten zunächst mit gewohnter Fahrlässigkeit und versiebten wie in so vielen Partien dieser Saison erst noch zwei, drei Hochkaräter. Doch jener Mann der Stunde, der noch gegen Bielefeld das Siegtor ins Netz gehämmert hatte – Joel Grodowski – fehlte ja erkrankt. Auch das kompensierte der SCP, holte einen Gerrit Wegkamp aus der eisernen Reserve. Dass dieser wohl auch ein bisschen Frust über wenige Einsatzzeiten, über latente Kritik von den Rängen an vermeintlich hüftsteifen Auftritten in das Siegtor zum 2:1-Endstand umwandelte: Es passt zu einem Verein, der jeglichen Widerständen derzeit mit herausfordernder Lust entgegenblickt.

Die obere Tabellenhälfte ist der durchaus verdiente Lohn von Wochen, in denen Urgesteine wie Maximilian Schulze Niehues und Simon Scherder ihren Status als Leitfiguren zementieren, selbst wenn sie mal Fehler machen. In denen sich Neuzugänge wie Benjamin Böckle, Luca Bazzoli und Daniel Kyerewaa Stück für Stück weiterentwickeln – und dabei immer noch wunderbar unperfekt wirken. Keiner sticht dauerhaft heraus und ebenso klagt keiner laut, wenn es mal nicht läuft. Die aktuelle Mini-Flaute von Torjäger Malik Batmaz fällt etwa kaum ins Gewicht, weil andere einspringen. Die Verletzung von Kapitän Thomas Kok, Folge eines Verkehrsunfalls, ist ebenso kompensiert worden wie die eines weiteren heimlichen Top-Transfers, der aktuell am Innenband verletzte Defensiv-Allrounder Sebastian Mrowca. Über allem stehen Hildmann und Sportchef Peter Niemeyer, der nun in höchst entspannter Atmosphäre am Kader der Zukunft basteln darf. Er kann schon jetzt mit ziemlich guter Profifußball-Perspektive für 2024/25 an Neuzugänge herantreten – im Januar ist das alles, aber kein strategischer Nachteil.

Bester Zuschauerschnitt seit mehr als 30 Jahren möglich

Längst geht der Blick der Preußen ja für einige Jahre voraus. Noch in diesem Jahr soll der ersehnte Stadionumbau richtig Form annehmen, 2027 dann abgeschlossen werden. Diese Zeit zu überbrücken, die Fans bei der Stange zu halten – zweifellos eine Herausforderung, für die der SCP aber derzeit die bestmögliche Grundlage schafft. Nie war die Stimmung im Stadion so gut wie derzeit, nie präsentierte sich der Klub vom obersten Gremium bis zum jüngsten Fan so geeint. Ziemlich genau 10.000 Zuschauer begrüßt der Sportclub aktuell pro Spiel, ein Schnitt, der seit mehr als 30 Jahren nicht erreicht worden ist. Und warum sollte sich daran gegen die kommenden Gäste Sandhausen, Duisburg und Halle etwas ändern? Die Leute kommen nicht, wie oftmals früher, wegen der Gegner. Sie kommen wegen "ihrer" Preußen und einer Mannschaft, die Lust auf mehr macht.

Eine Gelassenheit und eine Grundsouveränität sind in den Verein eingekehrt, die schon bei heimlichen Vorreitern wie Holstein Kiel oder Darmstadt 98 ein substanzieller Baustein für ungeplanten Erfolg war. Das Einzige, was bei Preußen Münster kurzfristig fehlt und zeitnah "nachgeholt" werden sollte, ist die Vertragsverlängerung mit Trainer Sascha Hildmann. Und dann darf spannend darauf geschaut werden, was der Sportclub aus dieser aufsehenerregenden, seit dem damaligen Drittliga-Abstieg im Jahr 2020 geduldig aufgebauten Grundlage noch zaubern wird.

   

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