Strittige Szenen am 25. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Platzverweise gegen Löhden, Vollert, Lang und Hettwer, die Strafstöße für Lübeck und 1860, die nicht gegebenen Elfmeter für Dresden, Halle und Bielefeld, das 1:1 für Aue, das 2:0 für Bielefeld, der nicht gegebene Treffer für Sandhausen, das 1:0 für Dortmund, ein Zweikampf zwischen Baumann und Vukancic sowie ein Duell zwischen Kutschke und Taffertshofer. Am 25. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 16 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach einem Zweikampf geraten Stefan Kutschke (Dresden) und Ulrich Taffertshofer (Lübeck) aneinander. Kutschke zeigt ein Nachtreten an. Beide sehen von Schiedsrichter Wolfgang Haslberger Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 49:20]
Babak Rafati: Bei dieser Aktion geraten Kutschke und Taffertshofer nach einem Zweikampf, der soweit im Rahmen ist, aneinander. Kutschke deutet anschließend ein Nachtreten von Taffertshofer an. Allerdings ist das nicht der Fall, vielmehr kommt der Kontakt von Taffertshofer gegen Kutschke durch eine natürliche Bewegung des Lübeckers zustande, und es liegt keine aktive Bewegung vor. Anschließend beiden Spieler für ihr Verhalten und dass sie ein Rudel auslösen, die gelbe Karte zu zeigen, ist eine richtige Entscheidung.
Szene 2: Nach einem Zweikampf mit Stefan Kutschke (Dresden) sieht Jannik Löhden (Lübeck) für ein vermeintliches Nachtreten die rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]
Babak Rafati: Löhden köpft den Ball vor Kutschke weg. Danach laufen beide weiter und haben den Blick zum Ball. Kutschke tritt beim Weiterlaufen Löhden unbeabsichtigt in die Beine und kommt dadurch ins Straucheln. Daraufhin fährt Löhden den Fuß leicht raus und bringt Kutschke durch Beinstellen zu Fall. Hier kann man maximal einen Freistoß pfeifen. Aber eine rote Karte ist einfach übertrieben und somit eine Fehlentscheidung.
Szene 3: Der bereits gelb-verwarnte Kyu-Hyun Park (Dresden) trifft Marius Hauptmann (Lübeck) im Strafraum am Schienbein, Haslberger gibt Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 2:35]
Babak Rafati: Hauptmann legt sich den Ball im Strafraum vor. Park will sicherlich zum Ball und streift Hauptmann leicht am Schienbein, stellt ihm aber hauptsächlich ein Bein und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, aber keine gelbe Karte, sodass die Entscheidung, Elfmeter und keine Karte, richtig ist. Hätte Park mit dem gestreckten Fuß einen Treffer in die Beine des Gegenspielers mit dem entsprechenden Trefferbild gelandet, wäre eine Karte fällig gewesen.
Szene 4: Bei einer Flanke in den Strafraum klammert Claudio Kammerknecht (Dresden) gegen Leon Schneider (Lübeck), Haslberger zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 3:40]
Babak Rafati: Aus dieser Front-Ansicht ist nicht zweifelsfrei auszumachen, ob Kammerknecht Gegenspieler Schneider tatsächlich klammert und zudem diese Umklammerung für einen Elfmeter ausreicht. Der Schiedsrichter wird von hinten eine bessere Position zum Geschehen gehabt haben, sodass er es womöglich richtig entscheidet.
Szene 5: Im Strafraum geht Ahmet Arslan (Dresden) gegen Tommy Grupe (Lübeck) zu Fall und fordert Elfmeter, den es jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 2:20:35]
Babak Rafati: Nach einer Flanke auf das Tor legt Grupe die Hand auf die Schulter von Arslan. Dieser nimmt das zum Anlass, um zu Fall zu kommen. Dieses Vergehen von Grupe ist branchenüblich und wird im Abwehrverhalten geschult, was aber kein Foulspiel darstellt. Ein Stören der Verteidiger ist regelkonform, genauso gibt es Zweikampfverhalten der Angreifer, die geschult und regelgerecht sind. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.
Szene 6: Im Mittelfeld geht Omar Sijaric (Aue) nach einem Zweikampf mit Erich Berko (Halle) zu Fall. Schiedsrichter Nico Fuchs gibt Freistoß, aus dem das 1:1 fällt. [TV-Bilder – ab Minute 51:50]
Babak Rafati: Der Schiedsrichter pfeift nicht wegen der zweiten Aktion ein Foulspiel, sondern wegen der ersten Aktion. Das sieht man daran, dass der Schiedsrichter signalisiert, dass Sijaric gehalten wurde und zwar an einem anderen Ort, als dort, wo der Angreifer zu Fall kommt. Beide Aktionen sind aber regelgerecht, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, das erste Vergehen als Foulspiel auszulegen und auf Freistoß zu entscheiden.
Szene 7: Nach einem Freistoß bekommt Tim Danhof (Aue) den Ball im Strafraum an den Arm, einen Elfmeter gibt Fuchs nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:209:30]
Babak Rafati: Danhof bekommt den Ball vom eigenen Mitspieler aus kurzer Distanz an den Arm geköpft und versucht sogar noch den Arm wegzuziehen, was ihm aber aufgrund der kurzen Reaktionszeit nicht mehr gelingt. Das ist kein strafbares Handspiel, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
Szene 8: Auf dem Weg zum Tor geht Dominic Baumann (Halle) gegen Niko Vukancic (Aue) zu Fall, der Schiedsrichter entscheidet auf Stürmerfoul. [TV-Bilder – ab Minute 1:34:10]
Babak Rafati: Bei diesem Laufduell kurz vor dem Strafraum kreuzen sich die Laufwege von Baumann und Vukancic. Der Verteidiger fällt anschließend auf die Schulter, verletzt sich und muss deshalb ausgewechselt werden. Bei den vorliegenden Bildern ist nicht klar erkennbar, von wem der Kontakt ausgeht und wer folglich Initiator des Zufallkommens ist. Es kann sein, dass Baumann mit dem Schienbein Vukancic gegen die Wade läuft und deshalb beide anschließend zu Fall kommen. Genauso kann es aber sein, dass Vukancic der Initiator ist. Hätte der Schiedsrichter nicht nur auf den ballführenden Spieler geschaut, sondern immer wieder auch in die Mitte, wäre ihm die besagte Szene nicht entgangen. Aus seiner Position wäre es zumindest viel besser zu beurteilen, als für die TV-Zuschauer mit den vorliegenden Bildern. Somit kann die Szene nicht zweifelsfrei bewertet werden.
Der Schiedsrichter gibt dann Abstoß, da der Flankenball zuvor ins Toraus rollt. Der Assistent auf der Seite, auf die gespielt wird, kann das Vergehen auch nicht sehen und bewerten, da er sich auf eine mögliche Abseitsposition konzentrieren muss. Bei einem möglichen Freistoß für Halle hätte es aber lediglich die gelbe Karte gegen den Verteidiger gegeben, da durch die nicht vorhandene Ballkontrolle keine klare Torchance vorliegt.
Szene 9: Jannes Vollert (Halle) zieht Marcel Bär (Aue) im Strafraum zu Boden und sieht die rote Karte. Zudem zeigt Fuchs auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 1:45:05]
Babak Rafati: Bär wird im Strafraum angespielt und hat eine große Torchance, wird aber von Gegenspieler Vollert am Arm zu Boden gerissen. Das ist unumstritten ein Foulspiel. Zudem wird eine klare Torchance vereitelt und dass durch ein gegnerorientiertes Vergehen, nämlich Arm herunterreißen. Hierbei kann man nicht mehr über "im Kampf um den Ball" sprechen, sodass die rote Karte eine richtige Entscheidung ist. Wenn man zum Zeitpunkt des Vergehens das Bild anhält, erkennt man, dass der andere Verteidiger linksseitig von Bär nicht mehr hätte eingreifen können.
Szene 10: Nach einem Freistoß geht Fabian Klos (Bielefeld) im Strafraum zu Fall, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Jarno Wienefeld nicht. [TV-Bilder – ab Minute 26:25]
Babak Rafati: Im normalen Ablauf sieht man, wie Klos und sein Gegenspieler nach dem Freistoß in den Strafraum laufen, beide sich gegenseitig bearbeiten, schieben und Klos anschließend zu Fall kommt. Ein Vergehen ist nicht erkennbar. Eine richtige Entscheidung, bei undurchsichtigen Situationen einfach weiterspielen zu lassen.
Szene 11: Auf Vorlage von Thaddäus Momuluh trifft Merveille Biankadi zum 2:0 für Bielefeld. Freiburg reklamiert, dass der Ball zuvor im Aus gewesen sein soll. Der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]
Babak Rafati: Dass der Ball vor der Torerzielung nicht im Seitenaus war, ist daran zu erkennen, dass er die Linie berührt und somit nicht mit vollem Umfang die Seitenlinie überschritten hat." Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer zu geben
Szene 12: Für ein Foul an Merveille Biankadi (Bielefeld) sieht Niklas Lang (Freiburg II) die rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]
Babak Rafati: Biankadi legt sich den Ball vor und wird circa fünf Meter in der gegnerischen Hälfte von Lang gefoult. Dadurch, dass das Vergehen zwar nicht in Tornähe ist, aber der nächste Verteidiger circa zehn Meter von Biankadi entfernt ist und diesen nicht mehr auf dem Weg zum Tor eingeholt hätte, liegt eine Vereitelung einer Torchance vor, sodass die rote Karte wegen einer Notbremse gezückt wird. Eine völlig richtige Entscheidung.
Szene 13: David Kopacz (Ingolstadt) dringt in den Strafraum ein und geht gegen Albion Vrenezi (1860) zu Fall. Schiedsrichter Robin Braun zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]
Babak Rafati: Kopacz läuft in den Strafraum, und dabei verfolgt ihn Gegenspieler Vrenezi. Der Verteidiger hat lange die Hand auf der Schulter von Kopacz und drückt den Angreifer etwas nach unten. Das allein reicht noch nicht für einen Elfmeter aus, jedoch kommt es zudem zu einem Kontakt im Beinbereich. Der Verteidiger nimmt einen Kontakt billigend in Kauf, indem er weiter hinter dem Angreifer herläuft. Dabei trifft er ihn leicht mit dem Knie in die Beine, was ausreicht, um in der Summe den Gegenspieler zu Fall zu bringen.
Bei diesem Zweikampf will der Schiedsrichter zunächst einmal weiterspielen lassen, wird aber von seinem Assistenten überstimmt. Das sieht man daran, dass sich der Schiedsrichter beim Foulspiel leicht nach rechts abwendet und weiterspielen lassen will, aber der Assistent um die Eckfahne läuft. Die Schiedsrichter haben eine geheime Absprache, bei der durch Körpersprache eine Entscheidung vermittelt wird. Wenn der Assistent um die Eckfahne läuft, bedeutet das, dass es Elfmeter gibt. Es wird sicherlich zusätzlich eine Kommunikation per Funk stattgefunden haben. Daraufhin entscheidet der Schiedsrichter auf Elfmeter. Eine richtige Entscheidung und eine sehr gute Teamarbeit im Schiedsrichterteam!
Szene 14: Einen Torschuss von Yassin Ben Balla (Sandhausen) bekommt Mitspieler David Otto beim Wegdrehen an den Ellenbogen, Schiedsrichter Michael Bacher gibt den anschließenden Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]
Babak Rafati: Otto bekommt einen Schuss von Mitspieler Ben Balla an den Ellenbogen, und von da aus geht der Ball direkt ins Tor. Auch wenn das Handspiel unbeabsichtigt ist, ist der Treffer irregulär, da unmittelbar mit dem Arm ein Tor erzielt wird, was dazu führt, dass das Handspiel strafbar wird. Eine richtige Entscheidung, diesen Treffer nicht anzuerkennen. Die Unmittelbarkeit liegt immer dann vor, wenn ein und derselbe Spieler den Ball mit dem Arm spielt und anschließend im gegnerischen Tor unterbringt. Das kann direkt, wie in diesem Fall passieren, das kann aber auch durch eine Ballabnahme/Berührung mit dem Arm und anschließender Torerzielung passieren.
Szene 15: Auf Vorlage von Franz Roggow trifft Ayman Azhil zum 1:0 für Dortmund II. Köln reklamiert Abseits, Schiedsrichter Lars Erbst gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]
Babak Rafati: Wenn man eine parallele Linie zum Sechzehner zieht, dann ist zum Zeitpunkt des Zuspiels von Roggow Mitspieler Azhil mit dem Kopf auf der gleichen Höhe wie das Hinterteil des Verteidigers. Somit liegt keine Abseitsposition des Angreifers vor, der anschließend ins Tor trifft. Der Arm von Azhil, der in Abseitsposition ist, spielt dabei keine Rolle, weil dieser irrelevant ist. Körperteile, mit denen man kein Tor erzielen darf – und das ist nun mal der Arm – werden nicht für eine potenzielle Abseitsposition einbezogen. Eine richtige Entscheidung, den Treffer anzuerkennen.
Szene 16: Ein Zweikampf von Julian Hettwer (Dortmund) an Simon Handle (Köln) wertet Erbst als Notbremse und zeigt ihm glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]
Babak Rafati: Bei diesem Laufduell sind die Spieler in vollem Tempo. Dabei legt sich Handle den Ball vor und will auf das Tor zulaufen. Rechts und links verfolgen ihn zwei Dortmunder. Dabei versucht Hettwer den Ball zu spielen und fährt das Bein raus, trifft das Spielgerät, wenn auch nur minimal. Vielmehr trifft er mit dem Oberschenkel Handle gegen die Hüfte und bringt ihn dadurch entscheidend zu Fall. Das ist ein Foulspiel. Allerdings liegt keine Notbremse vor, denn ein weiterer Dortmunder läuft neben Handle her und kann somit eingreifen. In dieser Szene hätte es einen Freistoß und die gelbe Karte gegen Hettwer geben müssen. Eine Fehlentscheidung, eine rote Karte zu zeigen.
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