Erst 28 Punkte: Das sind die Baustellen von Arminia Bielefeld
Wenige Tage wähnte sich Arminia Bielefeld in Sicherheit, die Krise schien überstanden. Doch das 1:2 gegen Unterhaching ließ nun wirklich jeden wieder schnell auf den Boden der Tatsachen purzeln. Im Fokus vieler steht der seit Wochen vor allem unter Fans diskutierte Trainer Mitch Kniat, doch die Baustellen erstrecken sich nicht längst nicht nur auf eine Personalie. Eine Analyse.
Baustelle 1: Schwache Form – vor allem zuhause
Das akute Problem lässt sich schnell ausmachen: Sechs der vergangenen sieben Spiele wurden verloren, die letzten vier Heimpartien gingen allesamt zu Ungunsten der Ostwestfalen aus. Besonders verwunderlich ist dies, als dass die Bielefelder mit einem Zuschauerschnitt von mehr als 17.000 (!) nicht nur besonders lautstarke, sondern auch treue Fans hinter sich wissen. Die weiteren Besuchermagneten – Dynamo Dresden, Rot-Weiss Essen und 1860 München – schneiden mit ihren Publikum im Rücken signifikant besser ab, das erstgenannte Duo belegt sogar die Spitzenplätze in der Heimtabelle.
Nur um die Gesamtleistung in den ersten beiden Saisondritteln einzuordnen: In der Saison 2011/12 – auch damals kam Arminia aus der 2. Liga, war phasenweise Tabellenletzter und kämpfte lange gegen den Abstieg – stand der Niederlagen-Zähler am Saisonende bei zwölf Nullrunden. Genau dort befindet sich der DSC zwölf Jahre später bereits zwölf Spieltage vor Schluss. Allein deshalb sollten alle Alarmglocken läuten.
Baustelle 2: Individuelle Fehler
"Wir sind noch nicht stabil genug, den Plan trotz Rückstand ruhig durchzuziehen." Mit diesem Satz erntete Sport-Geschäftsführer Michael Mutzel am vergangenen Wochenende Stirnrunzeln. Schließlich ist die Mannschaft nun schon seit rund sieben Monaten zusammen und sollte somit eigentlich schon weiter sein. Doch Arminia wirkt in der Mehrzahl der Spiele schlicht nicht auf Drittliga-Höhe, was Woche für Woche bestraft wird. Statistisch müsste der DSC wohl im oberen Drittel der Liga mitspielen, ginge es nach der Anzahl der Chancen.
Doch die Gegner wissen dies einzukalkulieren, erwischen die Schwarz-Weiß-Blauen immer wieder an der gleichen Achillesferse: individuellen Fehlern kleinerer und größerer Natur, gerne auch aneinandergereiht, bis das Gegentor unausweichlich scheint. Torhüter, Verteidiger, Mittelfeldspieler: Alle machen mit und bedienen das gesamte Repertoire von Leichtsinn über Sekundenschlaf bis zu gescheiterter Abstimmung im Defensivverbund. In 13 der 26 Saisonspiele kassierte der DSC mindestens zwei Gegentore, also in exakt 50 Prozent. Wie viele der Partien Arminia dann noch gewann? Null.
Baustelle 3: Unausgewogen zusammengestellter Kader
Ja: Arminia Bielefeld hatte es im vergangenen Sommer verdammt schwer, binnen kurzer Zeit eine völlig neue Mannschaft zusammenzustellen. Dass aber viele für Drittliga-Verhältnisse namhafte Offensivspieler aus höheren Ligen kamen und das Mittelfeld sogar überbesetzt wurde, während Abwehr- und Torleute nominell und auch in der tatsächlichen Qualität abfallen, erstaunt. Im Winter ging Sportchef Mutzel nur einen Teil des Problems an und verstärkte das defensive Mittelfeld mit Mael Corboz – zweifellos ein Toptransfer.
Doch schon jetzt wird klar: Der DSC hätte auch die Verteidigung mit erfahrenen, vielleicht auch Abstiegskampf-erprobten Akteuren aufrüsten sollen. Die aktuelle Konstellation ist nicht stabil, wirkt aufgrund vieler Personalwechsel auch nicht eingespielt und zuweilen sogar verunsichert – so wie Gerrit Gohlke, der gegen Unterhaching nach zuvor ansteigender Formkurve einen schlimmen Tag erwischte und frühzeitig vom Platz musste. Mutzel hätte dies verhindern können und muss sich für seine Transferpolitik nun Kritik gefallen lassen.
Baustelle 4: Einer hält (immer noch) für alles her
Fabian Klos ein Problem zu nennen, würde rund um die Alm für viele irritierte bis verärgerte Gesichter sorgen. Und sicherlich ist es nicht das sportliche Auftreten des 36-Jährigen, der nach 13 Arminia-Jahren nur noch bis zum Sommer professionell kickt – Klos wird sich nach der offenkundig ausgeträumten Chance vom direkten Wiederaufstieg nicht sehnlicher wünschen, als zumindest noch ein ruhiges Saisonfinale zu erleben. Und er gibt ja auch alles dafür. Doch wer soll einmal in seine Fußstapfen treten?
Auch in diesem Jahr trägt Klos wieder eine ganze Region auf seinen Schultern. Nicht nur seine Mitspieler scheitern in dieser Saison am Versuch, zu Identifikationsfiguren zu reifen. Auch Trainer, Geschäftsführer und alle weiteren Funktionäre sind in seinem Schatten kaum zu sehen. Dabei wäre es längst gesünder für den gesamten Verein, wenn andere in die Bresche sprängen, ihn kurz vor dem Karriereende von seiner Rolle entlasten. Allein: Es geschieht auch in dieser Saison kaum, weil sich sportliche Leistungsträger kaum herausgebildet haben. Selbst bei den überzeugenderen, charakterlich oft gelobten Akteuren fehlt schlicht das Gefühl, Arminia Bielefeld schon voll und ganz verinnerlicht zu haben, für die Vereinsfarben fünf Prozent über das Maximum zu gehen. Fünf Prozent, die in der 3. Liga Unglaubliches bewirken könnten.
Baustelle 5: Die aufgeheizte Stimmung
Arminia Bielefeld ist mysteriös – und ein bisschen masochistisch veranlagt. Für den oben genannten Zuschauerschnitt gibt es schließlich keine sportlichen Gründe, was einmal mehr für die Treue der Fans spricht. Doch wie schon in der Saison zuvor ist die Mannschaft auf dem Rasen Spießrutenläufen ausgesetzt, wenn das Stadionwetter alle zwei Wochen binnen weniger Minuten von Anfeuerung in gnadenlose Pfiffe umschlägt. Auch dem am Limit geforderten Coach Kniat mag es kaum helfen, wenn Fans sich bewusst Niederlagen herbeisehnen, damit möglichst schnell der nächste Trainervertrag zerrissen wird. Umso respektabler ist, mit welcher Bierruhe die Verantwortlichen die Situation angehen. Womöglich, weil sie auch keinen besseren Ausweg sehen, als den gewaltigen Gegenwind mit ihrem Wunschtrainer zu überstehen.
Noch spielt die Zeit und die Schwäche der Keller-Konkurrenz für die Ostwestfalen, das absolute Minimalst-Ziel Ligaverbleib zu schaffen. Von langfristiger Ruhe ist Arminia Bielefeld in dieser Gemengelage, in der ein (nach zwei Abstiegen folgerichtig) hypernervöses Fan-Umfeld eine mächtige Rolle spielt, allerdings mindestens so weit entfernt wie von den Aufstiegsplätzen. Und solange diese nicht einkehrt, kann dieser krisengeschüttelte Verein keinen dauerhaften Erfolg haben.