Aachen vor Drittliga-Rückkehr: Ein schlafender Dino erwacht
Zieh dich warm an, liebe 3. Liga! So mancher Traditionsverein hat zurück zu dir gefunden und dich geprägt – etwa Magdeburg im Jahr 2015, Rot-Weiss Essen in 2022. Jetzt drängt auch Alemannia Aachen zurück in den Profifußball. Es würde aber auch Zeit! liga3-online.de blickt einmal rüber, was sich in der Kaiserstadt regt.
Mehr als 25.000 Fans!
Acht Punkte Vorsprung und das beste Torverhältnis nach 26 Spieltagen: Die ersten Getränke kaltzustellen, kann keinem der vielen Fans von Alemannia Aachen verübelt werden. Viel zu glatt läuft diese Spielzeit, in der zuletzt jeder Verfolger wahlweise selbst distanziert wurde oder über die eigenen Füße stolperte. Während der Ex-Bundesligist, -Pokalfinalist (zuletzt 2004) und UEFA-Cup-Teilnehmer (2004/05) seine Spiele entweder souverän gewinnt oder in letzter Sekunde zuschlägt, haben sich Wuppertal, Oberhausen, Köln und nun wohl auch Überraschungs-Herbstmeister Bocholt langfristig aus dem Aufstiegsrennen verabschiedet. Die beiden Letztgenannten sind noch die ärgsten Verfolger, doch beide können die aktuell seit zwölf Partien ungeschlagenen "Öcher" auf dem heimischen Tivoli noch endgültig aus dem Rennen schubsen. Und der Tivoli ist, 15 Jahre nach seiner Eröffnung, endlich die Festung geworden, die er eigentlich schon immer sein sollte.
Über welche Dimensionen hier gesprochen wird, macht der Blick auf die Besucherzahlen klar. Im Saisonschnitt pilgern knapp 17.000 Fans auf den Tivoli – die finalen vier Heimspiele dürften den Schnitt aber nochmals deutlich nach oben treiben. Seit der beeindruckenden Erfolgsserie ist nicht nur die etwa 250.000 Einwohner fassende Stadt erwacht, sondern eine ganze fußballverrückte Region am Dreiländereck mit Belgien und den Niederlanden. 25.400 Fans strömten zur Partie gegen Fortuna Düsseldorf II – seines Zeichens alles, aber kein Kassenschlager – in die Arena. So hart Liebe und Leidenschaft in den vergangenen Jahren auf die Probe gestellt worden waren, so viel zahlen die Menschen ihrer Alemannia jetzt zurück. Weil diese endlich in der Lage scheint, dem stets enormen Erfolgsdruck zu bestehen, schaukelt sich die Euphorie immer höher. Kein Riese, sondern ein Dinosaurier befindet sich auf bestem Wege, aufzuwachen. 30.000 Zuschauer in fast jedem Drittliga-Spiel? Auszuschließen ist angesichts des Potenzials, das Aachen aktuell weckt, nichts.
Zuletzt 2012/13 in der 3. Liga
Und wer soll den TSV noch stoppen? Reihenweise hat die Regionalliga West ja in den Vorjahren ihre Topvereine "verloren": erst die so spielstarke BVB-Reserve (2021), dann den ersten schlafenden Riesen aus Essen (2022) und zuletzt schließlich Preußen Münster (2023). Durchaus clever von den Alemannen, im vergangenen Sommer den Etat nach oben zu korrigieren. Und damit ein gewisses Risiko in genau dieser Saison 2023/24 einzugehen, ehe angesichts von derzeit bereits sieben (!) NRW-Vereinen in der 3. Liga früher oder später starke Absteiger das Niveau der Viertklassigkeit im Westen Deutschlands wieder deutlich anheben werden. Warum sich mit anderen abgestürzten Traditionsklubs wie womöglich dem MSV Duisburg messen, wenn es im Hier und Jetzt doch auch einfacher geht?
Alemannia Aachen, 2012/13 auf unwürdige Art und Weise inklusive Insolvenz direkt von der 2. Bundesliga in die Regionalliga geschliddert, holte lieber gezielt Unterschiedsspieler. Allen voran Anton Heinz, ein Spieler, der ab kommendem Sommer mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit höherklassig für Aufsehen werden wird: Sein linker Fuß ist ein Meisterwerk, seine ruhenden Bälle Kunststücke. Drei direkt verwandelte Freistöße brachten Aachen vor einigen Monaten einen 4:3-Sieg in Wuppertal, den wohl spektakulärsten von so vielen speziellen Momenten dieses verrückten Jahres. "Gott will es so", schmunzeln die TSV-Fans unter den wöchentlichen Spielzusammenfassungen von "Sporttotal", die bei TSV-Beteiligung gerne mal 40.000 bis 60.000 Aufrufe erhalten – und damit mehr als so manches Bundesliga-Einzelspiel in der "Sky"-Samstagsauswahl.
Saison nicht ganz ohne Drama
Ja, er will es wohl wirklich so! Seit 2016 belegte Alemannia Aachen nie einen besseren Platz als den sechsten. Der Aufstieg käme also nicht als logische Folge einer langfristigen Entwicklung. Sondern schlicht als Konsequenz eines Überflieger-Jahres, das dieser chronisch klamme und unter seiner mächtigen Infrastruktur ächzende Verein so dringend gebraucht hat. Es gelänge nicht ohne Drama, schließlich wurde Ex-Trainer Helge Hohl nach einem verpatzten Saisonstart früh entlassen – die Alemannia hatte Angst vor dem nächsten Frust-Jahr. Doch Nachfolger Backhaus (42) – in der 3. Liga nur durch ein kurzes Drei-Spiele-Intermezzo bei Sonnenhof Großaspach Anfang 2020 bekannt – ist bis dato ein sportlicher Glücksgriff. "Für mich ist es als Trainer die schönste Zeit in meinem Leben", sagte eben dieser Heiner Backhaus laut "Reviersport" nach besagtem Sieg in Wuppertal. Nicht nur er würde sich mit der Rückkehr in den Profifußball nach elf Jahren ein kleines Denkmal schaffen.