Strittige Szenen am 36. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die nicht gegebenen Elfmeter für Dresden, Halle, Essen, 1860, das 1:0 für Sandhausen, die verwehrten Treffer von Aue und Ulm, der Strafstoß für Ulm, der Platzverweis gegen Karbstein, sowie Foulspiele von Kammerknecht, Ambros und Taffertshofer: Am 36. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 14 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Bei einer Hereingabe in den Strafraum geht Stefan Kutschke (Dresden) gegen Daniel Mikic (Verl) zu Fall. Einen Elfmeter gibt es nicht. Danach geht er Mikic an und sieht Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 22:20]
Babak Rafati: Nach einer Hereingabe in den Strafraum bearbeiten sich Kutschke und Mikic gegenseitig und kommen dabei zu Fall. Hierbei liegt von keinem Spieler ein Foulspiel vor, denn beide gehen ähnlich zu Werke. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Danach geht Kutschke Gegenspieler Mikic unsportlich an, sodass er die gelbe Karte sieht. Auch hier liegt eine richtige Entscheidung vor, Kutschke für sein unsportliches Verhalten, mit dem er unnötig Unruhe ins Spiel bringt, die gelbe Karte zu zeigen.
Szene 2: Im Mittelfeld wird Yari Otto (Verl) von Claudio Kammerknecht (Dresden) umgegrätscht, eine Karte sieht der Dresdner nicht. [TV-Bilder – ab Minute 27:00]
Babak Rafati: Kammerknecht geht mit offener Sohle gegen Otto in den Zweikampf und trifft ihn am Fuß. Das ist ein klares Foulspiel, das der Schiedsrichter unverständlich später abpfeift und obendrein nicht die vorgeschriebene gelbe Karte zeigt. Der Einsatz von Kammerknecht ist (dunkel-)gelbwürdig, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, keine Karte zu zeigen. Es ist davon auszugehen, dass der Schiedsrichter die gelbe Karte nicht deshalb nicht zeigt, weil erst die 9. Spielminute läuft und Dresden zudem bereits eine gelbe Karte zuvor gesehen hat (Kutschke), sondern er das Vergehen vielmehr milder wahrnimmt. Das erkennt man gut daran, dass er beim Zweikampf zunächst auf Weiterspielen – durch Richtung Ball zeigen – entscheidet uns sich kurz danach umentscheidet. Womöglich weil er sieht, dass Otto am Boden liegen bleibt.
Szene 3: Im Strafraum kommt Niklas Hauptmann (Dresden) im Duell mit Niclas Nadj (Verl) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet der Schiedsrichter. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf kommt es sicherlich zum Kontakt zwischen Nadj und Hauptmann, allerdings ist kein zweifelsfreies Foulspiel auszumachen. Hauptmann stellt das Bein zwischen Ball und Gegner und hebt schon, bevor es zum Kontakt kommt, ab und kommt anschließend zu Fall. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 4: Im Strafraum geht Timur Gayret (Halle) nach einem leichten Schubser von Benedikt Bauer (Unterhaching) zu Fall, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:32:05]
Babak Rafati: Auch wenn Bauer Gegenspieler Gayret leicht schubst, reicht das noch nicht aus für einen Elfmeter. Solche leichten Schubser, gehören zum Spiel dazu, und somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.
Szene 5: Meris Skenderovic (Halle) geht im Strafraum bei einem Zweikampf mit Benedikt Bauer (Unterhaching) zu Boden, erneut zeigt der Schiedsrichter nicht auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 2:06:05]
Babak Rafati: Der Einsatz von Bauer gegen Skenderovic ist absolut regelgerecht, denn er spielt nur den Ball, auch wenn es mit dem anderen Fuß einen Kontakt gibt. Dadurch, dass die Aktion ballorientiert ist und das Ziel, den Ball spielen zu wollen, erreicht wird, liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.
Szene 6: Auf dem Weg in Richtung Tor geht Tom Baumgart (Halle) im Duell mit Dennis Waidner (Unterhaching) im Strafraum zu Fall. Einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]
Babak Rafati: Der Zweikampf im Strafraum ist korrekt, es liegt kein Foulspiel vor, sondern vielmehr ein Zusammenprall. Zuvor wird Baumgart allerdings außerhalb des Strafraumes von einem Gegenspieler am Trikot festgehalten. Darüber beschwert er sich anschließend auch beim Schiedsrichter, wie er deutlich sichtbar anzeigt. Dadurch, dass er sich aber vom Halten lösen und weiterlaufen kann, liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen und auch diesen Vorgang nicht abzupfeifen. Somit hat der Vorteil seine Wirksamkeit durch das weiterlaufen erzielt.
Szene 7: Im Mittelfeld geht Nils Kaiser (Essen) nach einem Zweikampf mit Patrick Greil (Sandhausen) zu Fall, das Spiel läuft weiter. Aus dem Angriff fällt das 1:0 für Sandhausen. [TV-Bilder – ab Minute 1:10]
Babak Rafati: Dieser Zweikampf im Mittelfeld zwischen Greil und Kaiser ist absolut sauber und regelkonform. Greil spielt nur den Ball. Dass es dann auch zum Kontakt kommt, ist ein Teil von Zweikämpfen im Fußballsport, die einfach erlaubt sind. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen.
Szene 8: Auf dem Weg Richtung Tor geht Moussa Doumbouya (Essen) bei einem Duell mit SVS-Keeper Daniel Klein im Strafraum zu Fall. Der Schiedsrichter lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:55:40]
Babak Rafati: Keeper Klein kommt aus seinem Tor herausgelaufen und spielt nicht den Ball. Dabei legt sich Doumbouya den Ball über den Keeper vor, hebt dann ab und kommt anschließend zu Fall. Ein Foulspiel des Keepers, auch wenn er den Ball nicht spielt, ist nicht erkennbar. Wenn es überhaupt zum Kontakt mit dem linken Fuß des Torhüters kommt, liegt kein Foulspiel vor, da der Torhüter im normalen Bewegungsablauf ist und der Angreifer selbst aktiv mit dem Bein auf den Torhüter zuläuft. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Selbst die Beteiligten auf der Essener Bank ordnen die Szene korrekt ein, was man an den zaghaften Protesten erkennt. Gut, wie ruhig der Schiedsrichter die Szene anschließend auflöst.
Szene 9: Nach einem Freistoß bringt Majetschak (Aue) den Ball im Tor unter, jedoch wird der Treffer nicht gegeben. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]
Babak Rafati: Der Ball ist für einen kurzen Moment eindeutig hinter der Torlinie. Allerdings belegt das ein Standbild. Im laufenden Spiel ist es für den Schiedsrichter aus seiner Position unmöglich, diesen Sachverhalt zu erkennen. Auch der Assistent ist auf eine mögliche Abseitsposition fokussiert und kann nicht die Torlinie zweifelsfrei einsehen, die es benötigt, um überhaupt den Vorgang zu erkennen. Auch wenn eine Fehlentscheidung vorliegt, sind solche Vorgänge nur von der Torlinientechnologie auflösbar, die aber in der 3.Liga nicht vorhanden ist.
Hinweis: Der verwehrte Treffer von Bielefeld konnte anhand der vorliegenden TV-Bildern nicht analysiert werden.
Szene 10: Im Strafraum will Joel Zwarts (1860) zum Ball, geht aber im Luftduell mit mehreren Dortmundern zu Fall und fordert Elfmeter, den es jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 1:57:45]
Babak Rafati: Zwarts springt in die Luft, um den Ball zu erreichen. Dabei kommt es zu einem Luftkampf mit mehreren Gegenspielern. Allerdings geht alles mit rechten Dingen zu, sodass kein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 11: Felix Higl (Ulm) bringt den Ball im Tor unter, allerdings wird auf Offensivfoul an Christopher Greger (Köln) entschieden, sodass der Treffer nicht zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:21:35]
Babak Rafati: Higl will zum Ball, trifft aber Greger kurz und ansatzlos hinten in die Hacke und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, auch wenn es unspektakulär aussieht. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, abzupfeifen und den anschließenden Treffer nicht zu geben. Übrigens würde es umgekehrt einen Elfmeter geben, wenn der Verteidiger dem Angreifer in dieser Art und Weise in die Füße getroffen hätte.
Szene 12: Im Strafraum kommt Dennis Chessa (Ulm) gegen Florian Dietz (Köln) zu Fall, der Schiedsrichter zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]
Babak Rafati: Chessa tickt den Ball kurz an. Als Dietz auch mit dem Fuß zum Ball will, aber ins Leere trifft, weil er einen Moment zu spät ist, nimmt der Angreifer diese Bewegung zum Anlass, um einen Kontakt beziehungsweise Treffer vorzutäuschen. In dieser Szene liegt aber keine Berührung vor, sodass es sich nicht um ein Foulspiel handelt. Auf Schwalbe zu entscheiden, wäre die richtige Entscheidung gewesen. Somit eine Fehlentscheidung, Elfmeter zu geben.
Szene 13: Malte Karbstein (Mannheim) zieht Julian Kügel (Ingolstadt) am Trikot. Der Schiedsrichter wertet die Aktion als Notbremse und zeigt Karbstein glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 3:10]
Babak Rafati: Das Foulspiel von Karbstein gegen Kügel durch Trikothalten ist unstrittig. Bei der Frage, ob eine Notbremse vorliegt oder nicht, ist diese zu bejahen. Zum Zeitpunkt des Trikotvergehens ist der Angreifer in der Vorwärtsbewegung, und der Abstand zum Ball ist weitaus geringer als für den Torhüter. Somit wäre der Torhüter nicht an den Ball gekommen. Auch, wenn der Ball auf dem Weg in Richtung des Torhüters ist. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, eine rote Karte zu zeigen.
Szene 14: Der bereits gelb-verwarnte Ambros (Freiburg II) zieht Konrad Faber (Regensburg) am Trikot und bringt ihn zu Fall. Der Schiedsrichter belässt es bei einer Ermahnung. [TV-Bilder – ab Minute 1:39:50]
Babak Rafati: Natürlich handelt es sich um ein Foulspiel, allerdings liegt zum einen keine Schwere des Vergehens vor und zum anderen liegt keine derartig gute Angriffschance vor, wie es die Regel interpretiert, weil das Foulspiel an der Seitenlinie passiert und ein weiterer Verteidiger in unmittelbarer Nähe steht und somit das Vergehen relativiert wird, weil er unmittelbar eingreifen kann. Eine richtige Entscheidung, keine weitere Karte zu zeigen.
Szene 15: Beim Versuch, an den Ball zu kommen, trifft Ulrich Taffertshofer (Lübeck) seinen Gegenspieler Joshua Bitter (Duisburg) unglücklich am Knie, der daraufhin verletzt raus muss. Taffertshofer kommt mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:01:20]
Babak Rafati: Taffertshofer holt aus, trifft aber Bitter nicht mit dem Fuß oder ähnliches, vielmehr kommt es zu einem Zusammenprall. Die anschließende Verletzung ist unglücklich. Dieser Einsatz ist aber rücksichtslos, sodass die gelbe Karte vollkommen richtig ist. Die anschließende Verletzung ist sehr ärgerlich und unglücklich, aber Taffertshofer kann man keinen Vorwurf machen, eine Verletzung in Kauf genommen zu haben.
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