RWE in Unsicherheit: Kader ist (noch) zu dünn besetzt 

Rot-Weiss Essen hat bis dato keinen einfachen Sommer hinter sich. Die Zuversicht, die das so erfolgreiche Jahr 2024 bis dahin geschürt ist, ist durch schwerwiegende Abschiede geschrumpft. Einige beschwören erstaunlich früh den Abstiegskampf – ist das wirklich angemessen? Ein Zwischenstand.

Vier absolute Säulen sind weg

Ein kräftiger personeller Aderlass im Sommer ist Ärgernis und Herausforderung zugleich. Manche Klubs in der 3. Liga sind darauf eingestellt, weil es bei ihnen turnusmäßig passiert – der SC Verl beispielsweise, oder die SpVgg Unterhaching. Rot-Weiss Essen ist dagegen derart großkalibrig unterwegs, dass der Verein seine besten Spieler üblicherweise mit guten Bezügen an sich binden kann. Im Sommer 2024 ist das aus verschiedenen Gründen anders: Erstens muss RWE nach teils kostenintensiven Vorjahren regelmäßig auf die Bilanzen schauen, zweitens hat der Verein Schlüsselspieler teils nur leihweise gebunden. Und drittens stehen die Profis, da ist die starke Saison eher Fluch denn Segen, dank der guten Mannschaftsleistung auch in einem viel auffälligeren Schaufenster als früher.

Das Resultat: Vier absolute Säulen sind weg. Marvin Obuz – zurück zum 1. FC Köln, der nach dem Zweitliga-Abstieg und aufgrund seiner Transfersperre gar nicht anders konnte, als den starken Techniker und Topscorer von der Hafenstraße zurückzubeordern. Felix Götze – Innenverteidiger, der im besten Fußballeralter den logischen nächsten Schritt geht und sich beim SC Paderborn ebenfalls in der 2. Bundesliga behaupten will. Vinko Sapina – losgeeist von Rivale Dynamo Dresden für eine offenbar stattliche Summe von 250.000 Euro, vielleicht ein Win-Win-Geschäft für beide, definitiv aber ein Transfer, der Geld für eine gleichwertige Nachfolge in die Kasse spült. Und Cedric Harenbrock, Kreativspieler im Mittelfeld, der ebenfalls die 2. Liga anvisiert, noch aber erfolglos auf Vereinssuche ist. Den Vertrag nach sieben Jahren in Essen nochmals zu verlängern, kam aber nicht in Frage.

Machtwort bei Keeper Golz

Vier Stammkräfte gehen also. Für die "WAZ" als örtliche Zeitung war das schon Grund genug, das "Chaos bei Rot-Weiss Essen" auszurufen und im Videotalk eine Saison im Abstiegskampf zu prognostizieren. Ein harsches Urteil, über das in diesen Tagen viel diskutiert wird, weil es polarisiert und bei dem ein oder anderen verfrühte Panik auslöst. Ziemlich klar war zumindest die Ansage von Marcus Steegmann (Direktor Profifußball), zumindest Stammtorhüter Jakob Golz – zweifellos einer der Besten in der 3. Liga – nicht abgeben zu wollen. Dabei könnte auch der 25-Jährige noch eine stattliche Ablösesumme erzielen, ehe er im kommenden Sommer ablösefrei den Weg in eine höhere Liga antreten dürfte. Gemeinsam mit Golz ist tatsächlich nur noch eine spärliche Restachse vorhanden: Linksverteidiger Lucas Brumme etwa, der zuletzt aufstrebende Stürmer Leonardo Vonic, Mittelfeld-Allrounder Torben Müsel oder Verteidiger Jose Rios Alonso.

Dazu kommen mittlerweile fünf externe Neuzugänge, die sich auf alle Feldspieler-Positionen verteilen: Innenverteidiger Tobias Kraulich (Dynamo Dresden) ist bis dato Anwärter auf den Posten des Königstransfers, Jimmy Kaparos (Mittelfeld/Schalke II) und Tom Moustier (Mittelfeld/Hannover II) kommen als kleine Wundertüten, denen aber großes Talent nachgesagt wird. Dribbler Ramien Safi (SV Rödinghausen) ist der dritte Neue aus einer starken Regionalliga-Mannschaft. Und der belgische Rechtsaußen Robbie D`Haese (Oostende) kommt schließlich mit spannendem Profil, weil er Erstliga-Erfahrung aus Belgien mitbringt – wenn auch auf eher niedrigem Niveau, der 25-Jährige sollte Stammspieler-Potenzial mitbringen.

Vor allem offensiv fehlt es an Optionen

22 Spieler umfasst der Kader für die kommende Saison bei RWE derzeit. Darin inkludiert sind aber auch Aussortierte wie Andreas Wiegel, Aaron Manu und wohl auch Moussa Doumbouya, sowie zwei U19-Aufrücker. Sollte der ablösepflichtige Transfer von Michael Schultz (Viktoria Köln) gelingen, wäre zumindest die Baustelle Innenverteidigung mit viel Erfahrung und Zweikampfstärke geschlossen. Auch in der Offensive wird weiter gesucht – eine Rückkehr von Kai Pröger wäre angesichts dessen Qualität wohl die Ideallösung gewesen, doch der Noch-Rostocker bevorzugt verständlicherweise die 2. Bundesliga. Nun gibt es Gerüchte um Ahmet Arslan, seines Zeichen immerhin Torschützenkönig 2023. So oder so fehlt RWE ohne Obuz, Harenbrock, Doumbouya, Sascha Voelcke (Waldhof Mannheim) und Isaiah Young (Vertrag ausgelaufen) noch viel mehr offensive Substanz. Zwei, eher drei neue Spieler dürften hier gerne noch an der Hafenstraße ihr Zelt  aufschlagen. Spieler, für die Profifußball kein Neuland ist, und die entsprechend Geld kosten.

Auch, wenn die Alarmglocken vielleicht etwas zu laut schellen: Ein langes Mitkämpfen um den Zweitliga-Aufstieg und Platz 7 in der Endabrechnung sind für RWE in jetziger Perspektive tatsächlich nicht einzuplanen. Zu gut und zu breit besetzt ist die Konkurrenz, zu unwahrscheinlich ist das Szenario, dass nochmals so viele Mitfavoriten schwächeln. Doch schon Mitte Juni den Kopf verlieren und befürchten, durchgereicht zu werden? Dafür ist die Ausgangslage in Essen immer noch viel zu gut – zumal ja der Mittelpunkt des Ganzen, Trainer Christoph Dabrowski samt Team, treu geblieben ist. Ja: Ein Standort wie der im Ruhrgebiet ist dazu gemacht, lieber heute als morgen Drama zu produzieren. Doch gerade in Umbruchjahren wie diesen ist es nur fair, den Verantwortlichen zumindest bis kurz vor dem Saisonauftakt (und noch besser bis zum Ende der Transferphase) Zeit zu geben, dem Team wieder gleichwertige Qualität zuzufügen.

   

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