Hansa Rostock: Ein Befreiungsschlag, wie er im Buche steht

Als marodes Geisterschiff war die Kogge am gestrigen Freitag in Aachen eingelaufen. Nur ein Sieg im Jahr 2013, nur ein Sieg aus fünfzehn Spielen. Mit sechs erzielten Toren, bei neunzehn Gegentoren, die schlechteste Rückrundenmannschaft der 3. Liga. Am Steuer ein Trainer, der polarisierte, wie man es lange nicht mehr in Rostock erlebt hatte. Marc Fascher, für die einen der bodenständige, ehrliche und einfühlsame Kämpfer, für die anderen schlichtweg der sportliche Totalausfall. Pro bzw. Contra Marc Fascher wurde in den letzten Wochen zur vielzitierten Parole. Eben dieser Marc Fascher sprintete gestern nach Abpfiff von der Trainerbank zum Gästeblock der Hanseaten und schrie mit aller Kraft die Anspannung der letzten Wochen hinaus. Eine Explosion, ein Feuerwerk der Emotionen, begründet in den Schwierigkeiten der letzten Monate und genährt vom Spielverlauf, der über die ersten 77 Minuten allen Hanseaten zwischen Kiel und Konstanz nochmals die Mängel und den Frust der letzten Monate aufzeigte.

Die Kogge erhebt sich

Es hatte begonnen, wie in Chemnitz, wie in Osnabrück, mit einem sehenswerten Treffer für die Rostocker von Michael Blum, doch dann folgte wie so oft, wie in Chemnitz, wie in Osnabrück ein Hagel von Gegentoren für eine paralysierte und völlig verschüchterte Hansa-Elf. Auf Basis der letzten Monate kann wohl keiner von sich behaupten, in diesem Moment noch an den FC Hansa geglaubt zu haben. Doch dann, in der 78. Minute, erhob sich die Kogge in einer ungeahnten Wucht, wuchs über sich hinaus und schoss sich und den Fans in fünf Minuten allen Frust von der Seele, all die Last von den Schultern, die sich über die vergangenen verlorenen Spiele angesammelt hatte. Es war eine Demonstration für die eigenen Fähigkeiten, für den Trainer und für den F.C. Hansa Rostock, ein Befreiungsschlag, wie er im Buche steht. Tom Weilandts Treffer zum 3:2 das Fünkchen Hoffnung, Johan Plats 3:3 zwei Minuten später die Erleichterung und Ondrej Smetanas 4:3 weitere drei Minuten später ein Knoten, den man wohl noch bis in die angrenzenden Niederlande platzen hören konnte.

Ein realitätsnaher Werbefilm

Natürlich, das Spiel fand gegen Aachen statt, die einzige Mannschaft, deren Problem- und vor allem Schuldenberg noch größer ist als der Rostocker. Aber gerade weil das Spiel nicht mit einem glücklichen und dreckigen 0:1-Arbeitssieg endete, sondern genauso verlief, wie es verlief, war dieser Sieg so viel mehr wert, als beispielsweise das erarbeitete 1:0 gegen Burghausen vor gut einem Monat. Wie so oft hatte ein Führungstor die Hoffnungen der mitgereisten Fans genährt, endlich wieder siegreich nachhause fahren zu können. Wie so oft wurden diese Hoffnungen nicht mit einem oder zwei, sondern mit drei Gegentoren bitterlich zerstört, aber zum ersten Mal erhob sich die Mannschaft, wie der, von Marc Fascher vielzitierte „Phoenix aus der Asche“. Es mutete wie ein realitätsnaher Werbefilm an, in dem die Mannschaft zuerst zeigte, was über all die Monate schiefgelaufen war, um dann mit allem Nachdruck an die Fans zu appellieren: „Seht her, wir leben noch! Glaubt an uns, glaubt an den Trainer, zusammen werden wir niemals untergehen!“. Der Jubel danach war kaum in Worte zu fassen, die Spieler, zum ersten Mal gelöst und glücklich, feierten vor dem Rostocker Gästeblock, der am liebsten gänzlich auf den Platz gestürmt wäre und jeden Spieler einzeln geherzt hätte. Der Aachener Ordnungsdienst und die Polizei verhinderten die spontane Siegesfeier von Fans und Spielern auf dem Rasen zwar, der Freude tat das aber keinen Abbruch. Hansa lebt, das war die eindrucksvolle Botschaft des Abends.

Faschers Position gestärkt

Gerade deswegen geht der FC Hansa in den folgenden zwei Spielen gegen Babelsberg und Dortmund II nicht mehr als nach Punkten bettelnder Pflegefall, sondern als deutlich beruhigter Favorit an den Start. Und auch Marc Faschers Position sollte nach dem Sieg in Aachen zumindest etwas gestärkt sein, traten doch die Voraussagen ein, die er seit Wochen beteuert hatte: Irgendwann werde die Mannschaft das Pech, was an ihren Schuhen klebt überwinden und auferstehen. Eindrucksvoller hätte es sein Team gestern nicht zeigen können. Nun kann auch er das Spiel gegen Babelsberg am kommenden Dienstag etwas entspannter angehen, allerdings wohlwissend darüber, dass in Babelsberg unbedingt nachgelegt werden muss, um jede Abstiegsdiskussion für diese Saison wegschließen zu können und damit auch der Trainerdiskussion endgültig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

   

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