Strittige Szenen am 16. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die nicht gegebenen Elfmeter für Rostock, 1860, Mannheim, Bielefeld (2), Saarbrücken (2) und Wiesbaden, der Strafstoß für Rostock, das 2:1 für Sandhausen, die rote Karte gegen Halimi sowie Foulspiele von Naderi und Hüning. Am 16. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach Vorlage von Sigurd Haugen kommt Christian Kinsombi (Rostock) im Strafraum an den Ball und geht gegen Marlon Frey (1860) zu Fall. Statt Elfmeter entscheidet Schiedsrichter Yannick Rupert jedoch auf Abseits bei der Vorlage. [TV-Bilder – ab Minute 1:44:30]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Zuspiels von Haugen auf Kinsombi steht dieser ganz knapp im Abseits, sodass das anschließende Foulspiel keine Relevanz mehr hat. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, auf Abseits zu entscheiden und keinen Elfmeter im Anschluss zu geben. Dass der Assistent diese Szene richtig bewertet, ist schon beachtlich, da seine Sicht durch zwei Rostocker Spieler versperrt ist. Bei der Bewertung der Abseitsposition ist es wichtig, exakt den richtigen Moment des Passes auf Kinsombi festzuhalten. Im normalen Ablauf ist die Abseitsposition aufgrund der Kameraperspektive besser aufzulösen als im Standbild. Bei 1:44:39 sieht man sehr gut, dass der Fuß des Münchner Verteidigers knapp vor der Strafraumlinie auf dem Boden ist. Der linke Fuß von Kinsombi (oranger Schuh) wiederum ist dabei der entscheidende Faktor, mit dem er nämlich kurz nach dem Abspiel des Mitspielers auf der Strafraumlinie ist.
Somit war dieser Fuß exakt zum Zeitpunkt des Abspiels in den TV-Bildern nicht sichtbar, aber kurz darauf wird dieser Fuß auf die Strafraumlinie nachgezogen. Da er mit dem Rücken zum Tor steht und sich weg vom Tor orientiert, war dieser Fuß sogar noch weiter im Abseits als kurz nach dem Pass, wenn auch sehr knapp.
Szene 2: Im Anschluss an eine Flanke geht Morris Schröter (1860) zum Ball, beschwert sich aber, dass er von Alexander Rossipal (Rostock) gehalten worden sein soll. Einen Elfmeter gibt Rupert nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:49:00]
Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum hat Rossipal zwar den Arm an Schröter, aber das ist ein handelsüblicher Zweikampf, sodass kein Foulspiel vorliegt. Solche Aktionen, die dazu dienen, den Gegner nur zu "bearbeiten", haben sich mittlerweile eingebürgert, und an sich will keiner solche Zweikämpfe gegen sich gepfiffen haben. Wenn man neutrale Zuschauer oder unbeteiligte Spieler fragen würde, wären alle für Weiterspielen. Eine richtige Entscheidung, diesen Zweikampf nicht abzupfeifen und hierfür keinen Elfmeter zu geben.
Szene 3: Nach einer Ecke kommt Tim Kloss (1860) an den Ball und moniert ein zu hohes Bein von Ryan Naderi (Rostock). Gepfiffen wird die Aktion nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:51:00]
Babak Rafati: Nach einer Ecke geht Kloss zum Ball und köpft ihn neben das Tor. Hierbei ist allerdings im Zweikampf das Bein von Gegenspieler Naderi auf Kopfhöhe. Hätte er den Angreifer am Kopf getroffen (regeltechnisch: verbotenes Spiel), hätte es einen Elfmeter sowie je nach Trefferbild eine Karte (persönliche Strafe) geben müssen. Da es aber keinen Treffer gibt, liegt regeltechnisch lediglich ein gefährliches Spiel vor, sodass es einen indirekten Freistoß hätte geben müssen. Da das Vergehen im Torraum (Fünfer) passiert, muss der Freistoß auf die Torraumlinie (Fünferlinie) verlegt werden, die am nächsten zum Tort ist. Eine Fehlentscheidung, nicht abzupfeifen und den fälligen Freistoß nicht zu verhängen.
Szene 4: Raphael Schifferl (1860) dreht sich in einen Schuss von Christian Kinsombi (Rostock) und bekommt den Ball im Wegdrehen an die Hand. Rupert gibt Elfmeter für Hansa. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]
Babak Rafati: Kinsombi dringt in den Strafraum ein und will den Ball von der Torlinie zurückspielen. Dabei bekommt Schifferl in der Drehbewegung den Ball aus kurzer Entfernung an die Hand. Der Arm ist beim Berühren des Balles in natürlicher Haltung, sodass er nicht vorher zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt wurde. Erst als Schifferl den Ball an die Hand bekommt, dreht er seinen Arm aktiv weg. Das ist kein absichtliches Handspiel, das strafbar ist, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, diesen Elfmeter zu pfeifen.
Die natürliche Drehbewegung, bei der der Arm logischerweise mitschwingt, wird auch durch die Haltung des linken Beines deutlich, das sich auch nach innen Richtung Spielfeld dreht. Der Schiedsrichter hat sich womöglich dadurch verleiten lassen, dass für ihn ein absichtliches Handspiel vorliegt, weil der Arm reflexartig weggezogen wird, was es wie eine aktive Bewegung mit dem Arm zum Ball aussehen lässt. Das geschieht allerdings erst nach dem Handspiel, das unbeabsichtigt ist.
Zur Klarstellung: Strafbares Handspiel liegt zum einen vor, wenn ein Spieler mit Absicht den Ball mit der Hand/Arm spielt, also der Arm zum Ball geht und nicht wenn der Ball zum Arm geht. Zum anderen, wenn der Arm unnatürlich zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt und somit ein Risiko eingegangen wird, den Ball mit dem Arm spielen zu können.
Szene 5: Nach einem Zweikampf zwischen Vinko Sapina (Dresden) und Dominic Baumann (Sandhausen) gibt Schiedsrichter Dr. Robert Kampka Gelb gegen Sapina und Freistoß für den SVS, aus dem das 2:1 für Sandhausen fällt. [TV-Bilder – ab Minute 57:30]
Babak Rafati: Baumann wird an der Seitenlinie angespielt und Sapina hält ihn von hinten ganz kurz am Trikot fest. Dieses kurze Festhalten nimmt Baumann dankend an und deutet an, gefoult worden zu sein. Baumann kommt ein wenig in Bedrängnis und daher kann er den Ball nicht kontrolliert zum Mitspieler passen. Hierfür einen Freistoß zu geben, ist vertretbar. Die gelbe Karte gibt es sicherlich für das vermeintliche Reklamieren, denn für ein derartiges Zupfen kann es keine gelbe Karte geben, zumal kein guter Angriff unterbunden wurde beziehungsweise kein taktisches Foulspiel vorliegt. Allerdings ist die Art und Weise von Sapina absolut im Rahmen, denn er signalisiert nur fragend, was er getan hat. Diese gelbe Karte ist übertrieben, und ein Reklamieren beim Schiedsrichter, das nach der neuen Regel eine gelbe Karte nach sich zieht, sieht anders aus.
Szene 6: Besar Halimi (Sandhausen) geht mit gestrecktem Bein in einen Zweikampf gegen Jakob Lemmer (Dresden), trifft ihn mit dem linken Bein und sieht Rot. [TV-Bilder – ab Minute 4:40]
Babak Rafati: Halimi springt mit dem rechten Fuß zum Ball, trifft das Spielgerät aber nicht. Stattdessen trifft er Lemmer mit dem Nachziehbein am Schienbein. Dadurch, dass Halimi mit Dynamik in den Zweikampf hineinspringt, verliert er die Kontrolle über seinen Körper und nimmt dabei billigend in Kauf, die Gesundheit des Gegenspielers zu gefährden. Mit dem Trefferbild, bei dem Halimi das linke Bein mit Nachdruck einsetzt, kommt es dann zu einem bösen Foulspiel gegen das Schienbein, sodass die rote Karte eine richtige Entscheidung ist. Auch, wenn das Foulspiel nicht mit offener Sohle geschieht, ist auch dieses Vergehen rotwürdig, weil durch das Abspringen von Halimi Dynamik dahinter steckt und eine andere Wucht zustande kommt.
Szene 7: Im Strafraum geht Kennedy Okpala (Mannheim) gegen Leny Meyer (Stuttgart II) zu Fall, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Tobias Wittmann nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:55]
Babak Rafati: Bei diesem Laufduell im Strafraum zwischen Meyer und Okpala ist im Oberkörperbereich alles regelkonform. Allerdings kreuzen sich die Laufwege, und Okpala verschafft sich eine bessere Position zum Ball als Meyer. Dabei trifft Meyer dem Angreifer in die Füße, und dieser kommt dadurch zu Fall. Damit ist der Fußtreffer ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers. In dieser Szene hätte es folgerichtig einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter nicht zu geben. Okpala ist sogar zugutezuhalten, dass er zuvor, als er leicht am Fuß getroffen wird, weiterspielt und nicht den Treffer dankend annimmt und einen Elfmeter schinden will, was aber auch für einen Elfmeter nicht ausgereicht hätte. Bei der zweiten Aktion jedoch hat er keine Chance mehr, sich auf den Beinen zu halten und weiterzulaufen, sodass ein Foulspiel vorliegt
Szene 8: Im Strafraum geht Isaiah Young gegen Leon Guwara (Ingolstadt) zu Boden und fordert Elfmeter, den Schiedsrichter Felix Bickel jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]
Babak Rafati: Young dringt in den Strafraum ein und wird von Gegenspieler Guwara verfolgt. An der Torlinie kommt es dann zu einem Zweikampf. Dabei ist der Armeinsatz des Verteidigers im Rahmen und stellt kein Foulspiel dar. Anschließend rutscht er in den Zweikampf, und blockt am Boden liegend den Ball, sodass Young nicht mehr an den Ball kommt. Auch, wenn der Angreifer nicht an den Ball kommt, gibt es keine Argumente für ein Foulspiel, denn das Verhalten des Abwehrspielers stellt kein regelwidriges Spielen dar. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben. Die anschließende Verletzung des Verteidigers ist sehr unglücklich, hat aber in der Bewertung des Zweikampfes keine Bedeutung.
Szene 9: Marius Wörl (Bielefeld) kommt im Strafraum gegen David Kopacz (Ingolstadt) zu Fall, Bickel entscheidet jedoch auf Schwalbe und zeigt Wörl Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf kommt es an der Strafraumgrenze innerhalb des Strafraumes zu einem Zweikampf zwischen Kopacz und Wörl. Dabei tickt der Angreifer kurz den Ball an, fädelt anschließend selbst bei Kopacz ein und kommt theatralisch zu Fall. Er führt dabei den linken Fuß hinter die linke Wade/Hacke des Verteidigers und sucht selbstverschuldet den Kontakt. Das ist ein Täuschungsversuch, sodass eine Schwalbe vorliegt. Eine richtige Entscheidung des Schiedsrichters, Wörl aufgrund dessen die gelbe Karte zu zeigen und keinen Elfmeter zu geben.
Szene 10: Im Strafraum kommt Kai Brünker (Saarbrücken) im Duell mit Jakob Golz (Essen) zu Fall und fordert Elfmeter. Schiedsrichter Michael Bacher pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 41:55]
Babak Rafati: Keeper Golz springt mit beiden Händen zum Ball und trifft das Spielgerät wenn überhaupt minimal. Im Zweikampf mit Brünker trifft er diesen gleichzeitig auch nicht entscheidend, vielmehr touchiert er ihn, sodass kein Foulspiel vorliegt. Brünker hebt selbst vorher etwas ab und sucht den Kontakt mit dem Keeper und kommt dankend zu Fall. Das reicht nicht für ein Foulspiel, zumal Elfmeter klar sein müssen und die Schiedsrichter die Anweisung haben, keine cheap-penalties zu pfeifen. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.
Szene 11: Auf dem Weg Richtung Tor kommt Simon Stehle (Saarbrücken) gegen Lucas Brumme (Essen) zu Fall, das Spiel geht weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:14:20]
Babak Rafati: Stehle legt sich den Ball im Zweikampf gegen Brumme vor und will in den Strafraum eindringen. An der Flugbahn des Balles sieht man auch sehr gut, dass er zuerst am Ball ist. Gegenspieler Brumme kommt etwas zu spät und streckt das Bein, um das Spielgerät zu klären, trifft aber nur Stehle und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, das knapp außerhalb des Strafraumes passiert. Hier hätte es einen Freistoß und die gelbe Karte geben müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen. Auch, wenn im normalen Bild das Vergehen nicht deutlich genug zu sehen ist, ist der ganze Bewegungsablauf und das Fallmuster typisch für ein Foulspiel, das kann ich auch aus eigener Erfahrung sagen. Der Schiedsrichter ist zu weit vom Spielgeschehen entfernt und erkennt womöglich deshalb das Vergehen nicht. Er ist kurz vorher durch ein Anzeigen Richtung Auswechselspieler, dass dieser wieder das Feld betreten darf, abgelenkt und kommt deshalb nicht rechtzeitig hinter dem Zweikampf her. Eine gelbe und keine rote Karte ist deshalb ausreichend, weil der Angreifer zwar durch wäre, aber keine Ballkontrolle im Sinne des Regelwerks hat und zum anderen der Torhüter auch noch die Möglichkeit hat, vor dem Angreifer am Ball zu sein.
Szene 12: Nach einem Einwurf spielt Enrique Lofolomo (Köln) den Ball im Strafraum mit der Hand, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Jarno Wienefeld nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:35]
Babak Rafati: Nach einem Einwurf kommt es zu einem Zweikampf, Lofolomo geht mit der Hand zum Ball und trifft das Spielgerät. Die Arme sind einfach zu aktiv und unnatürlich im Einsatz, sodass ein strafbares Handspiel vorliegt. Hier hätte es einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu pfeifen.
Szene 13: Husseyn Chakroun (Hannover II) wird im Strafraum von Ben Vincent Hüning (Dortmund II) gefoult. Es gibt Elfmeter und nur Gelb für Hüning. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]
Babak Rafati: Es liegt unstrittig ein Foulspiel von Hüning an Chakroun vor. In dieser Szene nur eine gelbe Karte zu zeigen, ist eine richtige Entscheidung. Zum einen geschieht das Foul von Hüning nachdem Chakroun abgeschlossen hat. Zum anderen ist die Aktion im Kampf um den Ball, somit ist diese Aktion ballorientiert. Eine rote Karte gibt es bei Torverhinderung im Strafraum nur dann, wenn die Aktion gegnerorientiert ist, zum Beispiel ein Trikotvergehen.
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