Strittige Szenen am 20. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Treffer für Köln, Dresden und Osnabrück, die verwehrten Elfmeter für Dresden (2), Hannover II, Bielefeld (2), Mannheim und Dortmund II, der Elfmeter für Rostock, das 1:0 von Aachen, das 1:1 von Hannover II, das 2:0 von Cottbus, ein Foul von Baumann an Wiemann und der Platzverweis gegen Jakob. Am 20. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 16 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Nach Vorlage von Jonah Benedict Sticker trifft Said El Mala zum 1:0 für Köln, allerdings wird der Treffer vom Schiedsrichter-Gespann um Assad Nouhoum aufgrund einer vermeintlichen Abseitsposition nicht anerkannt. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]

Babak Rafati: Anhand der vorliegenden TV-Bilder ist nicht zweifelsfrei aufzuklären, ob beim Zuspiel von Sticker der anschließende Torschütze El Mala im Abseits steht oder nicht.

Szene 2: Im Anschluss an einen Kopfball von Kubatta trifft Claudio Kammerknecht per Kopf 2:2, allerdings wird auf Abseits entschieden. [TV-Bilder – ab Minute 1:35:05]

Babak Rafati: Nach einem langen Flankenball steht zwar ein Spieler von Dresden im Abseits, allerdings greift dieser im Sinne der Fußballregel nicht ins Spielgeschehen ein, sodass dieser im "passiven Abseits" steht. Die anderen Spieler (Kubatta und Kammerknecht), die dann den Ball spielen und ins Spielgeschehen eingreifen, stehen nicht in einer strafbaren Abseitsposition. Der Assistent hätte einfach etwas länger warten müssen, um zu sehen, welcher Spieler schlussendlich ins Spielgeschehen eingreift. So kam die Fahne zu früh, die dann zu einer Fehlentscheidung führt.

Szene 3: Im Strafraum wird Mika Baur (Dresden) von Albion Vrenezi (Köln) gehalten und geht zu Fall, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 3:50]

Babak Rafati: Nachdem Baur seinen Gegenspieler Vrenezi im Strafraum an der Torlinie ausgespielt hat, kann sich dieser nur durch ein Foulspiel helfen, indem er Baur am Arm festhält und zu Boden reißt. Das ist ein klares Halten, und somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter nicht zu geben

Szene 4: Nach einer Flanke will Lars Bünning (Dresden) zum Ball, geht jedoch gegen Jonah Benedict Sticker (Köln) im Strafraum zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Nouhoum. [TV-Bilder – ab Minute 2:08:10]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf hält Sticker zwar seinen Gegenspieler ein wenig am Trikot, was zweifelsfrei völlig unnötig ist, aber das reicht bei weitem nicht für ein Foulspiel aus. Dieses Halten liegt bei fast allen Standardsituationen hüben wie drüben vor. Nicht jedes Halten ist daher ein Foulspiel. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

 

Szene 5: Im Strafraum geht Kolja Oudenne (Hannover II) gegen Jonah Fabisch (Aue) zu Fall, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Yannick Rupert nicht. [TV-Bilder – ab Minute 34:15]

Babak Rafati: Im Strafraum gehen Oudenne und Fabisch zum Ball, und dabei ist Oudenne früher am Ball. Fabisch kommt etwas zu spät und verfehlt das Spielgerät, trifft stattdessen Oudenne am Fuß und bringt ihn dadurch zu Fall. Dass Oudenne am Ball ist, kann man sehr gut an der Flugbahn des Balles erkennen. Somit liegt ein Foulspiel vor, und es hätte einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter nicht zu geben.

Szene 6: Nach einem Freistoß von Mustafa Abdullatif trifft Stefano Marino zum 1:1 für Hannover. Aue reklamiert Abseits, der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]

Babak Rafati: Bei der Freistoßausführung durch Abdullatif stehen einige Spieler von Hannover in Abseitsposition, die aber nicht eingreifen und sich somit im passiven Abseits befinden. Ob Marino, der den Ball anschließend ins Tor köpft, im Abseits steht oder nicht, kann anhand der TV-Bilder nicht zweifelsfrei aufgelöst werden. Tendenziell ist aber auch er in Abseitsposition, wenn auch sehr knapp.

Szene 7: Im Mittelfeld sieht Kilian Jakob zweimal binnen drei Minuten jeweils die gelbe Karte und muss vom Platz. [TV-Bilder – ab Minute 2:38:00]

Babak Rafati: Jakob begeht ein Foulspiel. Danach schießt er den Ball weg, um womöglich zu signalisieren, dass das Foulspiel ein paar Meter weiter zurück passierte. Wäre das der Fall gewesen, hätte der Schiedsrichter zumindest die Möglichkeit gehabt, vor dem Ballwegschießen abzupfeifen und den Ball an die richtige Stelle zu verlegen und somit diese gelbe Karte zu vermeiden. Dann hätte man das Ballwegschießen noch durchgehen lassen können, da von dort, wo der Ball weggeschossen wurde, das Spiel sowieso nicht hätte fortgesetzt werden dürfen. In diesem Fall war aber die Freistoßausführung tatsächlich dort, wo der Ball weggeschossen wird. Somit liegt ein klares Ballwegschießen vor, sodass der Schiedsrichter keine andere Wahl hat, als Jakob hierfür diese gelbe Karte zu zeigen. Somit eine richtige Entscheidung.

Bei der zweiten Aktion liegt ein klares Foulspiel vor. Hierfür eine gelbe Karte zu zeigen, ist eine Kann-man-geben-Situation. Alles in allem eine vertretbare gelb-rote Karte. Anzumerken ist auch, dass ein Spieler sich selbst hinterfragen sollte, ob man nach der ersten gelbe Karte so zu Werke gehen muss – und das innerhalb von drei Minuten.

 

Szene 8: Einen Schuss von Christopher Lannert (Bielefeld) bekommt Niko Bretschneider (Cottbus) im Strafraum möglicherweise an den Arm, Schiedsrichter Lukas Benen lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 20:40]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Lannert bekommt Bretschneider den Ball nicht nur an den Arm geschossen, vielmehr auch an die Schulter. Dieser Bereich ist allerdings nicht strafbar. Für die Beurteilung von Handspielvergehen gilt, dass die Grenze zwischen Schulter und Arm unten an der Achselhöhle verläuft, wenn der Arm angelegt ist. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu pfeifen.

Szene 9: Auf dem Weg in Richtung Tor geht Daniel Sumbu (Bielefeld) im Strafraum gegen Niko Bretschneider (Cottbus) zu Fall, einen Elfmeter gibt Benen nicht. [TV-Bilder – ab Minute 58:50]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist nicht zweifelsfrei erkennbar, ob Bretschneider den Ball spielt oder aber Sumbu am Fuß trifft. Es scheint aber, dass der Verteidiger den Ball spielt. Bewegungsablauf des Verteidigers, Fallmuster des Angreifers sowie Flugbahn des Balles sind Indizien hierfür. Zudem gibt es überhaupt keine Reklamation von Sumbu, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

Szene 10: Maximilian Krauß (Cottbus) setzt sich im Mittelfeld gegen Christopher Lannert (Bielefeld) durch, der dabei zu Fall geht. Das Spiel läuft weiter, und aus dem Angriff fällt das 2:0. [TV-Bilder – ab Minute 2:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist Lannert einfach zu zaghaft. Krauß geht zwar mit einem robusten Einsatz zum Gegenspieler, dieser ist allerdings absolut regelgerecht. In dieser Szene weiterspielen zu lassen und nicht abzupfeifen, ist richtig und im Sinne des Fußballsports, wie es die Beteiligten aber auch haben wollen. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen.

 

Szene 11: Im Strafraum geht Adrien Lebeau (Rostock) im Duell mit Anrie Chase (VfB Stuttgart II) zu Fall, Schiedsrichter Felix Weller zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 1:00]

Babak Rafati: Lebeau führt im Strafraum den Ball am Fuß. Chase will zum Ball grätschen, kann aber nicht verhindern, dass er dadurch nur das Bein lang macht und der Gegenspieler über diesem Bein zu Fall kommt. Das ist ein Foulspiel, auch wenn Chase unmittelbar nach dem Beinstellen mit dem Nachziehbein den Ball wegspitzelt. Das ist aber dann zu spät, da unmittelbar zuvor das Foulspiel durch das zu lange Bein passiert ist. Eine richtige Entscheidung, auf Elfmeter zu entscheiden.

 

Szene 12: Auf Vorlage von Bryan Henning trifft Marcus Müller zum 4:1, allerdings wird der Treffer vom Schiedsrichter-Gespann um Dr. Robin Braun aufgrund einer vermeintlichen Foulspiels von Robert Tesche nicht gegeben. [TV-Bilder – ab Minute 1:48:25]

Babak Rafati: Nach einer Ecke springt Tesche zwar mit einem langen Bein in den Zweikampf, dabei trifft oder gefährdet er aber niemanden. Dadurch ist das Vergehen nicht strafbar. Weshalb der Schiedsrichter aber sechs Sekunden später, nachdem der Treffer gefallen ist, sich doch anders entscheidet und auf Foulspiel pfeift, ist nicht nachvollziehbar. Womöglich hat der Assistent nach der Torerzielung auf dieses vermeintliche Vergehen aufmerksam gemacht. Wenn ein Foulspiel vorliegen sollte, muss in dieser Szene unmittelbar entschieden werden und nicht sechs Sekunden später. Eine Fehlentscheidung, nachträglich auf Foulspiel zu entscheiden und den anschließenden Treffer nicht anzuerkennen.

Szene 13: Beim Kampf um den Ball trifft Dominic Baumann (Sandhausen) seinen Gegenspieler Niklas Wiemann (Osnabrück) mit dem Fuß im Gesicht. Braun belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 46:05]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf an der Seitenlinie köpft Wiemann den Ball ins Seitenaus. Dabei bekommt er einen Tritt von Baumann ins Gesicht, indem dieser das Bein zu hoch hat und ihn mit dem Fuß trifft. Auch, wenn Baumann seinen Gegenspieler nicht absichtlich treffen will, geht er dennoch ein hohes Risiko ein. Damit nimmt er billigend in Kauf, die Gesundheit des Gegenspielers zu gefährden. Bei dem Trefferbild, das auch noch wuchtig ist, weil sicherlich der Ball weggeschlagen werden soll, ist die rote Karte alternativlos. Lediglich eine gelbe Karte zu zeigen, ist eine Fehlentscheidung. Wenn sich der Schiedsrichter das TV-Bild nachträglich anschaut, wird er sich selbst erschrecken und die Entscheidung am liebsten revidieren wollen.

 

Szene 14: Bei einer Ecke wird RWE-Keeper Jakob Golz behindert und kommt nicht an den Ball, direkt danach fällt das 1:0 für Aachen. Schiedsrichter Felix Wagner gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]

Babak Rafati: Nach einer Ecke will Keeper Golz zum Ball und diesen aus der Gefahrenzone klären. Dabei kommt es zu einem Luftzweikampf mit einem gegnerischen Angreifer, der nur zum Ball springt und somit ballorientiert handelt, so dass kein Foulspiel vorliegt, zumal der Keeper selbst dort hinspringt. Den anschließenden Treffer anzuerkennen, ist daher eine richtige Entscheidung.

Szene 15: Im Strafraum kommt Kennedy Okpala (Mannheim) nach einem Zweikampf mit Benjamin Kanuric (Ingolstadt) zu Fall, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Marc Philip Eckermann nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:59:15]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf im Strafraum gehen Okpala und Kanuric zum Ball. Dabei ist Okpala einen kurzen Moment schneller am Ball und spielt das Spielgerät. Kanuric kommt etwas zu spät und verfehlt den Ball, stattdessen trifft er Okpala am Fuß und bringt ihn zu Fall. Das ist ein Foulspiel, sodass es einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter nicht zu geben.

 

Szene 16: Im Strafraum geht Paulina (Dortmund II) im Duell mit Timon Obermeier (Unterhaching) zu Fall, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Felix Bickel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Im Strafraum kommt es zu einem Zweikampf zwischen Paulina und Obermeier, bei dem Paulina zu Fall kommt. Im Fußbereich ist alles im grünen Bereich. Es kommt lediglich im Hüftbereich zum Kontakt, auch wenn dieser etwas robuster ist. Das ist allerdings ein Zweikampf, bei dem kein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

 

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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