Strittige Szenen am 22. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Der Elfmeter für Dresden, die nicht gegebenen Strafstöße für Aue und Ingolstadt, das Ausschlagen von Bär gegen Bünning, das 2:2 für Mannheim, das 2:2 von Hannover II, das 1:0 von Essen, das 1:2 von Bielefeld sowie Foulspiele von Casar, Otto, Rios Alonso, Azhil und Stiefler. Am 22. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Im Strafraum bekommt Niko Vukancic (Aue) den Ball bei einer Grätsche gegen Christoph Daferner (Dresden) an den Arm, Schiedsrichter Marc Philip Eckermann gibt Elfmeter für Dresden. [TV-Bilder – ab Minute 1:50]

Babak Rafati: Vukancic bekommt im Zweikampf mit Daferner den Ball aus sehr kurzer Entfernung an den Arm. Dadurch, dass Vukancic in der Vorwärtsbewegung ist und das Bein zum Ball ausstreckt, kommt es zu dieser Körperhaltung, bei der die Arme allerdings natürlich mitschwingen. Dadurch liegt kein strafbares Handspiel vor, weil diese Armhaltung für eine Strafbarkeit nicht relevant ist. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, diesen Elfmeter zu pfeifen.

Szene 2: Bei einem Luftzweikampf mit Claudio Kammerknecht (Dresden) geht Omar Sijaric (Aue) im Strafraum zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Eckermann. [TV-Bilder – ab Minute 53:55]

Babak Rafati: Nach einer langen Flanke in den Strafraum wird Sijaric leicht weggeschoben, was aber kein Foulspiel darstellt, auch, wenn er dann gegen einen Verteidiger prallt und beide zu Boden gehen. Diese leichten Schubser gehören einfach zu einer körperbetonten Sportart dazu. Auch auf der anderen Seite würde man für den Angreifer nicht pfeifen, was im Resultat zu einem Elfmeter führen würde. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

Szene 3: Auf dem Weg Richtung Tor wird Ricky Bornschein (Aue) vom bereits verwarnten Aljaz Casar (Dresden) zu Fall gebracht. Der Schiedsrichter belässt es bei einer Ermahnung. [TV-Bilder – ab Minute 2:04:20]

Babak Rafati: Das Foulspiel von Casar an Gegenspieler Bornschein ist ein normales Foulspiel, das keine gelbe Karte nach sich zieht. Es passiert im Kampf um den Ball und ist nicht rücksichtslos, daher eine völlig richtige Entscheidung, keine weitere Karte für dieses Foulspiel zu zeigen. Die anschließende gelbe Karte wegen Ballwegschlagens nach dem Pfiff ist alternativlos und ebenso eine richtige Entscheidung.

Szene 4: Marcel Bär (Aue) schlägt abseits des Balls gegen Lars Bünning (Dresden) aus, sieht aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:07:55]

Babak Rafati: Abseits des Balles stößt Bär seinen Gegenspieler Bünning mit dem Oberkörper und dem Arm heftig zu Boden. Dabei ist richtig Zug hinter dieser Aktion, sodass eine Tätlichkeit vorliegt. Der Schiedsrichter sieht den Vorgang nicht, weil er den Blick zum Ball gerichtet hat. Womöglich wird der Assistent diesen Vorfall beobachtet und gemeldet haben. Gut, dass es überhaupt gesehen wurde, allerdings hätte es für dieses Vergehen die rote Karte geben müssen. Die gelbe Karte zu zeigen, weil es lediglich als eine Unsportlichkeit gesehen und bewertet wird, ist eine Fehlentscheidung.

Hinweis der Redaktion: Ein möglicher Schlag von Bünning gegen Bär unmittelbar vor der Aktion des Aue-Stürmers konnte aufgrund fehlender TV-Bilder nicht bewertet werden.

 

Szene 5: André Becker (Mannheim) behauptet im Strafraum den Ball, bekommt diesen dabei aber von einem Verler an den Arm geköpft. Anschließend trifft er zum 2:2. Schiedsrichterin Fabienne Michel gibt Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]

Babak Rafati: Becker nimmt den Arm bewusst zur Hilfe, um den Ball beim Abwehrversuch eines Verteidigers unter Kontrolle zu bekommen und schießt anschließend das Spielgerät ins Tor. Dadurch, dass der Arm in der Bewegung nicht mitschwingt, liegt ein bewusstes und strafbares Handspiel vor. Somit hätte es einen Freistoß für Verl sowie die gelbe Karte wegen Unsportlichkeit gegen Becker geben müssen. Selbst wenn der Arm nicht bewusst eingesetzt und der Ball unbeabsichtigt gegen den Arm gesprungen wäre, hätte das Tor nicht zählen dürfen, da regeltechnisch Unmittelbarkeit vorliegt. Das bedeutet, dass wenn ein unabsichtliches Handspiel vorliegt und unmittelbar danach der Ball vom gleichen Spieler ins Tor geschossen wird, das Tor nicht zählt. Eine Fehlentscheidung, das anschließende Tor anzuerkennen. Für die Schiedsrichterin ist der Vorgang allerdings nicht erkennbar, da sie aus ihrer Position, die richtig ist, von hinten drauf guckt. Hier hätte der Assistent auf der entsprechenden Seite helfen können.

Szene 6: Auf dem Weg Richtung Tor kommt Kennedy Okpala (Mannheim) gegen Fynn Otto (Verl) zu Fall. Kein Foul, entscheidet Michel. [TV-Bilder – ab Minute 1:32:55]

Babak Rafati: Bei diesem Luftkampf springt Okpala hoch, kollidiert mit seinem Gegenspieler Otto und kommt etwas unglücklich zu Fall. Beim Kontakt mit Otto liegt kein Foulspiel vor, da dieser den Gegenspieler nur stellt. Womöglich tut der anschließende Aufprall von Okpala etwas weh, sodass er sich ein wenig verletzt haben könnte. Eine richtige Entscheidung aber, weiterspielen zu lassen und keinen Freistoß zu pfeifen.

 

Szene 7: Im Duell mit Luca Zander (Sandhausen) geht Kolja Oudenne (Hannover II) zu Fall, es gibt Freistoß für Hannover. Oudenne bringt den Ball anschließend in den Strafraum, dort gelangt er über Umwege zu Lukas Wallner, der zum 2:2 trifft. Sandhausen reklamiert Handspiel, doch Schiedsrichter Tobias Wittmann gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 4:00]

Babak Rafati: An der Seitenlinie auf der linken Außenbahn legt sich Oudenne den Ball vor, hebt anschließend ab und lässt sich im Zweikampf mit Zander einfach fallen, obwohl es maximal einen leichten Kontakt gibt. Der Schiedsrichter entscheidet auf Freistoß, was allerdings eine Fehlentscheidung ist. Nach dem anschließenden Freistoß bekommt Wallner den Ball an den Oberarm, wenn auch unbeabsichtigt und schießt den Ball dann ins Tor. Auch wenn keine Absicht vorliegt, kommt Unmittelbarkeit ins Spiel, was bedeutet, dass unmittelbar nach einem Handspiel der gleiche Spieler den Ball ins Tor befördert. Das ist aber regeltechnisch zu ahnden, sodass das Tor nicht hätte zählen dürfen. Eine Fehlentscheidung, den Treffer trotzdem zu geben.

 

Szene 8: Einen Schuss von Dominik Martinović leitet Torben Müsel zum 1:0 für Essen ins Tor weiter. Bielefeld reklamiert Abseits, Schiedsrichter Harm Osmers gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 0:55]

Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Schusses von Martinović steht der anschließende Torschütze Müsel nicht in Abseitsposition, da ein Bielefelder unmittelbar neben ihm diese aufhebt. Insbesondere der linke Fuß des Verteidigers lässt eine mögliche Abseitsposition des Angreifers aufheben. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, diesen Treffer anzuerkennen.

Szene 9: Auf dem Weg in Richtung Tor wird Christopher Lannert (Bielefeld) vom bereits verwarnten José-Enrique Ríos Alonso (Essen) zu Fall gebracht. Osmers ahndet die Szene nicht. [TV-Bilder – ab Minute 59:05]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell hat der bereits gelb-verwarnte Rios Alonso den Arm leicht am Gegenspieler Lannert, der sich dadurch fallen lässt. Allerdings ist das bei weitem kein Foulspiel. Zudem tritt der Angreifer in den Boden, nachdem er sich aufgrund des leichten Kontaktes zu Boden begibt. In dieser Szene, weiterspielen zu lassen, ist eine richtige Entscheidung.

Szene 10: Auf Vorlage von Joel Felix trifft Noah Joel Sarenren Bazee zum 1:2 für Bielefeld. Essen reklamiert Abseits, der Schiedsrichter gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]

Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Torschusses steht Sarenren Bazee nicht in Abseitsposition, da neben dem Pfosten und an der Schnittstelle Torlinie und Torraumlinie (Fünfer) jeweils noch ein Verteidiger steht und diese aufgehoben wird. Allerdings wird der Ball nach dem Pfosten-Abpraller vom Torschützen mit dem Oberarm über die Torlinie befördert, sodass ein Handspiel vorliegt. Auch, wenn das Handspiel als unbeabsichtigt gewertet werden würde, was es aber nicht ist, darf das Tor nicht zählen. Es liegt nämlich Unmittelbarkeit vor, das heißt Handspiel und unmittelbare Torerzielung durch den gleichen Spieler. Somit eine Fehlentscheidung, diesen Treffer zu geben. Eine Berührung mit der Schulter, was bedeuten würde, dass der Treffer regulär wäre, liegt auch nicht vor.

 

Szene 11: Bei einem Zweikampf tritt Ayman Azhil (Dortmund II) seinem Gegenspieler Adrien Lebeau (Rostock) auf den Unterschenkel, sieht von Schiedsrichter Timon Schulz aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 38:10]

Babak Rafati: Auch, wenn Azhil sicherlich nur zum Ball will, sich dabei verschätzt und die anschließende Aktion unbeabsichtigt ist, liegt ein Tritt mit den Stollen auf den Unterschenkel vor. Bei diesem Trefferbild gibt es keine andere Option als die rote Karte. Das ist ein rohes Spiel, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, lediglich die gelbe Karte zu zeigen. Der Schiedsrichter wird auf dem Platz sicherlich nicht so genau gesehen haben, wo der Tritt erfolgt. Aber beim Studium der TV-Bilder wird er ganz gewiss zur Einsicht kommen.

 

Szene 12: Im Strafraum geht David Kopacz (Ingolstadt) im Duell mit Sven Sonnenberg (Saarbrücken) zu Fall, auf den Punkt zeigt Schiedsrichter Florian Lechner nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]

Babak Rafati: Im Strafraum bringt Kopacz den Ball in die Mitte. Dabei kommt Sonnenberg in den Zweikampf und dreht sich in die Aktion, womöglich um den Ball blockieren zu wollen. Er bringt aber den Angreifer zu Fall, indem er den Ball verfehlt und stattdessen diesem mit dem Rücken abräumt. In dieser Szene hätte es einen Elfmeter geben müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 13: Für eine Grätsche gegen Dave Gnaase (Osnabrück) sieht Manuel Stiefler (Unterhaching) von Schiedsrichter Justin Hasmann nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 58:10]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf springt Stiefler per Grätsche von hinten in die Beine von Gnaase, trifft ihn an der Hacke und bringt ihn zu Fall. Dieser Einsatz ist überhart und nimmt die Gefährdung der Gesundheit des Gegenspielers in Kauf, sodass es die rote Karte hätte geben müssen. Natürlich kann er hierbei auch den Ball erwischen, aber durch das riskante Reingrätschen und billigend in Kauf nehmen, auch den Gegenspieler treffen zu können, muss er damit rechnen, dass es dann zu solch einem Trefferbild kommen kann. Eine Fehlentscheidung, diese Grätsche lediglich mit der gelben Karte zu ahnden, zumal der Schiedsrichter freie Sicht auf die Szene hat und den Vorgang eigentlich zweifelsfrei erkennen müsste.

 

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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