Strittige Szenen am 31. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Essen, 1860, Stuttgart II (2), Aachen, Saarbrücken, Mannheim und Dortmund II, die Platzverweise gegen Rossipal, Hofmann und Olschowsky, die Strafstöße für Essen und Aue, der aberkannte Treffer von 1860, die gelbe Karte gegen Roßbach sowie ein Foulspiel von Dietze. Am 31. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 16 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Ahmet Arslan (Essen) geht im Strafraum gegen Ahmet Gürleyen (Rostock) zu Fall, Schiedsrichter Martin Speckner lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 24:50]

Babak Rafati: Gürleyen legt sich den Ball etwas zu weit vor, sodass Arslan an den Ball kommt. Gürleyen versucht noch, an den Ball zu kommen und diesen zu spielen, allerdings trifft er Arslan nur in die Beine und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Zudem hätte es die rote Karte gegen Gürleyen geben müssen, da eine klare Torchance vereitelt wird. Eine Fehlentscheidung, dieses Vergehen ungeahndet zu lassen und das Spiel weiterlaufen zu lassen.

Szene 2: Bei einem Zweikampf wird Ahmet Arslan (Essen) von Benno Dietze (Rostock) im Gesicht getroffen. Speckner ahndet die Szene nicht. [TV-Bilder – ab Minute 27:30]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf geht Dietze erst mit einem Bodycheck gegen Arslan zu Werke und kann dadurch den Ball erlaufen, was schon einen Freistoß rechtfertigt. Zudem kommt der Arm aktiv (!) Richtung Gegenspieler zum Einsatz und trifft Arslan im Gesicht. Das ist ein rücksichtsloses Spielen und hätte die gelbe Karte nach sich ziehen müssen. Eine Fehlentscheidung, die Szene ungeahndet zu lassen und das Spiel weiterlaufen zu lassen.

Szene 3: Damian Roßbach (Rostock) will einen schnellen Abwurf von RWE-Keeper Jakob Golz (Essen) verhindern und sieht dafür die gelbe Karte. [TV-Bilder – ab Minute 1:24:30]

Babak Rafati: Roßbach verhält sich regelwidrig, indem er den Abwurf durch Keeper Golz gleich zweimal verhindert. Das ist eine Verhinderung einer schnellen Spielfortsetzung, sodass diese Spielweise eine Unsportlichkeit darstellt und folglich die gelbe Karte eine richtige Entscheidung ist.

Szene 4: Bei einem Laufduell im Mittelfeld mit Safi (Essen) kommt Alexander Rossipal (Rostock) ins Straucheln, nachdem er den Arm seines Gegenspielers ins Gesicht bekommen hatte. Anschließend fällt er in die Beine von Safi, was Speckner als Notbremse wertet und mit glatt Rot ahndet. [TV-Bilder – ab Minute 2:23:15]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball kommt es im Mittelkreis in der gegnerischen Hälfte zu einem Zweikampf. Dabei ist Safi schneller am Ball und bringt sich in eine günstigere Position Richtung Tor. Sein Gegenspieler Rossipal kommt bei diesem Zweikampf ins Straucheln, weil er alles gibt, um an den Ball zu gelangen. Dabei kommt er zu Fall, kann sich nur noch durch ein Foulspiel helfen und bringt Safi ebenso zu Fall. Ein regelwidriger Einsatz von Safi kurz zuvor liegt nicht vor, weil der Arm in einer natürlichen Position ist und nicht unerlaubt eingesetzt wird.

Es ist fußballtypisch, dass der Arm herausgenommen wird, um den Ball abzuschirmen und den Gegenspieler nicht an den Ball kommen zu lassen. Dadurch, dass kein aktiver Schlag Richtung Verteidiger erfolgt, ist alles im grünen Bereich. Safi wäre zudem allein auf das Tor gelaufen, sodass eine klare Torchance verhindert wird. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, auf Foulspiel und rote Karte wegen Notbremse zu entscheiden.

Szene 5: Im Strafraum bekommt Ahmet Gürleyen (Rostock) den Ball nach einem Schuss von Kaito Mizuta (Essen) an den Arm, Speckner gibt Elfmeter für RWE. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Der Schuss von Mizuta kommt aus einer sehr kurzen Distanz und sehr scharf auf Gürleyen, der einen kurzen Zwischenschritt nach rechts macht und sich etwas vom Ball wegdreht, um sich zu stellen. Dabei bekommt er den Ball an den Arm geschossen. Der Arm ist allerdings komplett in natürlicher Haltung. Diese natürliche Haltung kann man sehr gut daran erkennen, dass der Arm vollkommen natürlich mit dem Zwischenschritt mitschwingt, sodass keine Absicht vorliegt und kein strafbares Handspiel gepfiffen werden darf. Eine Fehlentscheidung, dieses Handspiel zu ahnden.

Das sind die Szenen, warum kein Mensch mehr die Handspielregel versteht. Hier wäre mein Vorschlag, den ich schon seit Jahren mache, wenn schon kein VAR in der 3. Liga eingreift, dann sollte der Schiedsrichter diese Szene auf einer anschließenden Pressekonferenz erläutern und den Fehler auch zugeben, damit nicht eine falsche Interpretation als richtig angenommen wird und von Spieltag zu Spieltag alle Beteiligten in die Irre führt. Das soll nicht heißen, dass Schiedsrichter keine Fehler machen dürfen, im Gegenteil. Das ist menschlich, und auf dem Platz sind derartige Szenen manchmal schwierig erkennbar. Es geht um eine andere Fehlerkultur, die offen und selbstkritisch geführt werden sollte, um eine bessere Akzeptanz und Glaubwürdigkeit zu erreichen. Dann werden Fehler durch Schiedsrichter auch verziehen, die machen schließlich Spieler auch.

 

Szene 6: Soichiro Kozuki (1860) bringt den Ball im Tor unter, dennoch verweigert Schiedsrichter Felix Bickel dem Treffer die Anerkennung. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Der Ball ist nach einem Schuss von Kozuki klar und relativ weit hinter der Torlinie im Tor, sodass eine klare Fehlentscheidung vorliegt, diesen Treffer nicht anzuerkennen. Da sich der Assistent auch wegen der Position der Spieler in unmittelbarer Nähe der Torlinie befinden muss, um eine mögliche Abseitsposition erkennen zu können, ist es umso unverständlicher, wie ihm diese klare Torerzielung entgehen kann. Der Ball ist aber auch so weit im Tor, sodass auch der Schiedsrichter diese Torerzielung aus seiner Position hätte erkennen können, auch wenn das sonst mit frontalem Blick auf das Tor nicht möglich ist.

Szene 7: Im Duell mit Tim Campulka (Cottbus) geht Dickson Abiama (München) im Strafraum zu Fall. Statt Elfmeter gibt Bickel Freistoß für die Löwen. [TV-Bilder – ab Minute 34:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf greift Campulka am Boden liegend seinem Gegenspieler Abiama mit der Hand an das Bein und zieht ihn zu Boden. Dieses Vergehen geschieht knapp außerhalb des Strafraumes, auch wenn der Angreifer anschließend in den Strafraum fällt. Entscheidend ist der Ort des Kontaktes, und dieser ist außerhalb des Strafraumes, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, auf Freistoß zu entscheiden. Hätte der Kontakt innerhalb des Strafraumes noch Bestand gehabt, wäre die richtige Spielfortsetzung ein Elfmeter. In dieser Szene muss es, wegen einer Vereitelung eines guten Angriffs, zudem die gelbe Karte für Campulka geben und da es diese nicht gibt, liegt eine Fehlentscheidung bezüglich der persönlichen Strafe vor.

 

Szene 8: Einen Schuss von Pascal Fallmann (Aue) bekommt Dominik Nothnagel (Stuttgart II) im Strafraum an den Arm, Schiedsrichter Felix Wegner gibt Elfmeter für Aue. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Fallmann geht der Arm von Nothnagel beim Wegdrehen vom Ball heraus, und er bekommt daraufhin den Ball an diesen Arm. Auch wenn eine kurze Entfernung vorliegt, ist diese Aktion eine Vergrößerung der Körperfläche, sodass das Handspiel strafbar wird und schlussendlich eine richtige Entscheidung vorliegt, auf Elfmeter zu entscheiden. Proteste kommen deshalb auf, weil sich der Schiedsrichter ein wenig Zeit lässt und womöglich vom Assistenten darauf hingewiesen wird und/oder sich von den Protesten der Angreifer leiten lässt. Auch wenn eine sofortige Entscheidung besser gewesen wäre, ist dennoch festzuhalten, dass eine richtige Entscheidung vorliegt.

Szene 9: Im Strafraum bekommt Erik Majetschak (Aue) den Ball nach einem Schuss von Wahid Faghir (Stuttgart II) an den Arm, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:35]

Babak Rafati: Faghir schießt den Ball auf das leere Tor. Majetschak reißt den Arm schnell nach oben, blockt das Spielgerät und kann dadurch verhindern, dass der Ball auf das Tor kommt. Dieses Handspiel ist wie zuvor eine Vergrößerung der Körperfläche und somit strafbar, sodass es auch in dieser Szene einen Elfmeter hätte geben müssen. Zudem hätte es die rote Karte gegen Majetschak wegen Torverhinderung geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Vergehen nicht zu ahnden.

Szene 10: Auf dem Weg in Richtung Tor geht Jannik Hofmann (Stuttgart II) im Strafraum gegen Linus Rosenlöcher (Aue) zu Fall. Wagner pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:31:20]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist die Aktion von Rosenlöcher zumindest im Oberkörperbereich sauber. Allerdings trifft er seinem Gegenspieler Hofmann mit dem Fuß von hinten in die Wade und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und dieses Vergehen nicht zu ahnden.

Szene 11: Für einen Zupfer gegen Mika Clausen (Aue) sieht der bereits verwarnte Jannik Hofmann (Stuttgart II) die gelb-rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 4:25]

Babak Rafati: Der bereits gelb-verwarnte Hofmann hält Clausen am Trikot fest, hindert ihn am Weiterlaufen und verhindert dadurch, dass Clausen einen guten Angriff einleiten kann. Der Schiedsrichter wartet richtigerweise einen Moment einen möglichen Vorteil ab, erkennt dann aber, dass dieser nicht eintritt, unterbricht deshalb das Spiel und zeigt Hofmann für diese Aktion vollkommen zu Recht die gelb-rote Karte. Eine richtige Entscheidung, dieses taktische Foulspiel entsprechend zu ahnden.

 

Szene 12: An der Strafraumgrenze geht Niklas Castelle (Aachen) gegen Christopher Lannert (Bielefeld) zu Fall. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Timo Gansloweit nicht. [TV-Bilder – ab Minute 33:25]

Babak Rafati: Kurz vor dem Strafraum will sich Castelle den Ball vorlegen und in den Strafraum eindringen, allerdings nimmt Gegenspieler Lannert den Fuß heraus und stoppt ihn regelwidrig am Weiterlaufen und bringt ihn zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und es hätte einen Freistoß sowie die gelbe Karte gegen Lannert geben müssen. Dadurch, dass Leon Schneider in unmittelbarer Nähe ist und zumindest die Möglichkeit hat einzugreifen, ist eine rote Karte wegen einer Notbremse nicht möglich. Dennoch eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Vergehen nicht zu ahnden.

Szene 13: Jan Olschowsky (Aachen) kommt aus seinem Tor und bringt Noah Joel Sarenren Bazee (Bielefeld) zu Fall. Gansloweit ahndet die Szene mit glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Keeper Olschowsky kommt weit aus seinem Tor herausgelaufen, geht mit offener Sohle in den Zweikampf, trifft Sarenren Bazee am Bein und bringt ihn rüde zu Fall. Das ist ein brutales Foulspiel, bei dem die Gesundheitsgefährdung des Gegenspielers billigend in Kauf genommen wird. Aus dem Grund ist die rote Karte eine vollkommen richtige Entscheidung. Eine mögliche Notbremse steht dabei dann nicht mehr zur Diskussion, diese lag aber auch nicht vor.

 

Szene 14: Im Strafraum geht Stefan Feiertag (Saarbrücken) nach einem Schubser von Maxwell Gyamfi (Osnabrück) zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Cristian Ballweg. [TV-Bilder – ab Minute 2:20]

Babak Rafati: Beim Zweikampf übertreibt Gyamfi bei der Intensität und schubst seinen Gegenspieler Feiertag von hinten einfach zu Boden. Das hat nichts mit hartem, aber regelgerechtem Einsatz zu tun, vielmehr ist das ein Foulspiel, für das es einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Vergehen nicht zu ahnden.

 

Szene 15: André Becker (Mannheim) geht im Strafraum gegen Gino Fechner (Wiesbaden) zu Boden und fordert einen Elfmeter, den Schiedsrichter Robert Schröder jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 1:28:35]

Babak Rafati: Sicherlich greift Fechner seinem Gegenspieler Becker an den Arm, wodurch dieser zu Boden geht. Allerdings bleibt zweifelhaft, ob das ursächlich für den Faller ist. Das an-den-Arm-greifen ist allein noch kein Foulspiel und kommt bei Zweikämpfen häufig vor. In dieser Szene sieht es eher danach aus, dass der Kontakt dankend angenommen wird, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen. Am Fallmuster erkennt man auch sehr gut, dass kein Ziehen oder ähnliches regelwidriges Verhalten von Fechner vorliegt.

 

Szene 16: Auf dem Weg in Richtung Tor geht Julien Duranville (Dortmund II) im Duell mit Simon Lorenz (Ingolstadt) zu Fall. Auf den Punkt zeigt Schiedsrichter Dr. Robin Braun nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Bei einem Laufduell trifft Lorenz mit seinem rechten Bein von hinten Gegenspieler Duranville an dessen linkem Bein und bringt ihn dadurch zu Fall. Der Angreifer ist in der besseren Position zum Ball, und der Verteidiger nimmt durch seine Laufbewegung in Kauf, in einer schlechteren Position auch den Gegenspieler zu treffen, was schlussendlich auch passiert. Dabei spielt es keine Rolle, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt, weil beim Foulspiel dieses Kriterium irrelevant ist. Das ist ein Foulspiel knapp außerhalb des Strafraumes, das einen Freistoß nach sich ziehen muss. Zudem hätte es die rote Karte gegen Lorenz geben müssen, da eine klare Torchance vereitelt wird, weil Cvjetinovic von Ingolstadt nicht mehr hätte entscheidend eingreifen können. Eine Fehlentscheidung, das Vergehen ungeahndet zu lassen. Dieses Foulspiel hätte auch der Assistent gut sehen und dem Schiedsrichter melden können, weil er einen seitlichen und somit besseren Blick zum Vorgang hat.

 

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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