Kommentar: Dotchev-Nachfolger droht Herkules-Aufgabe
Es war ein Bild mit Symbolcharakter: Im Anschluss an die Pressekonferenz ging Jürgen Kramny noch einmal auf Pavel Dotchev zu, umarmte ihn und wünschte ihm „alles Gute“. Der Trainer der zweiten Mannschaft des VfB Stuttgart dürfte nach dem 3:1-Sieg seiner Elf gegen Dotchevs Münsteraner schon geahnt haben, dass der Job seines Kollegen in Gefahr ist. In allen Belangen waren die Preußen den jungen Stuttgartern unterlegen – die über 7.000 Zuschauer im Preußenstadion quittierten das Auftreten mit lauten Pfiffen und „Dotchev raus“-Rufen. Tatsächlich gab der Verein rund 13 Stunden nach Spielabpfiff die Entlassung Pavel Dotchevs bekannt. Der Bulgare, der die Westfalen im Januar 2012 übernahm, mit ihnen zunächst den Klassenerhalt und ein Jahr später nur knapp den sensationellen Aufstieg in die 2. Bundesliga verpasste, scheiterte am mangelnden Erreichen seines Teams, aber auch an den hohen Ansprüchen des Vorstands, der eine gehörige Mitverantwortung für den schwachen Saisonstart zu tragen hat.
Leistungsträger hinken Normalform hinterher
In der Sommerpause posaunte man heraus, nun unbedingt den Aufstieg in die zweithöchste deutsche Spielklasse schaffen zu wollen. Schließlich verfüge man über einen der besten, vielleicht sogar den besten Kader der 3. Liga. Die Probleme aus den letzten Wochen der Vorsaison wurden jedoch nicht erkannt – oder wollten nicht erkannt werden. Denn bei aller unbestritten vorhandener individueller Klasse mangelte es dem Kader viel mehr an der Psyche. Der Aufstieg schon im Sommer 2013 wurde leichtfertig und fahrlässig verspielt. Dotchev gab sich am Ende eine große Mitschuld, weil er manchen Schützlingen wie Mehmet Kara oder Benjamin Siegert vielleicht zu viel Vertrauen schenkte und an ihnen festhielt, obwohl sie von ihrer Form weit entfernt waren. Solche Probleme sollten in dieser Spielzeit nicht noch einmal auftreten. Doch nach sieben Spieltagen bleibt festzuhalten, dass der Kader in der Breite, aber bislang keineswegs in der Qualität verstärkt wurde. Die jungen und mit viel Potential ausgestatteten Julian Riedel, Malte Grashoff oder Zlatko Muhovic erhielten trotz Bedarfs noch keine Chance, Rogier Krohne überzeugte bislang nur als Joker für die letzten Spielminuten und die aus Osnabrück an die Hammer Straße gewechselten Marcus Piossek und Gaetano Manno sind trotz hoher in sie gesteckter Hoffnungen auch noch nicht angekommen.
Probleme sind mit Dotchev-Entlassung nicht gelöst
Zweifelsfrei ist dafür aber nun einmal der Trainer verantwortlich. Pavel Dotchev hat es in den letzten Wochen nicht hinbekommen, die immer größer werdenden Probleme zu lösen. Das komplette Team wirkt vollkommen verunsichert. Daniel Masuch, letzte Saison noch einer der Garanten für die tolle Saison, sah in dieser Spielzeit schon mehrfach nicht gut aus oder leistete sich sogar totale Blackouts wie gegen Erfurt. In der Innenverteidigung weiß kein Spieler zu überzeugen, Dominik Schmidt leistet sich seit Wochen immer wieder gravierende Fehler, Stefan Kühne, Patrick Kirsch oder auch der junge Simon Scherder konnten sich ebenfalls nicht empfehlen. Jens Truckenbrod und der gestern vollkommen lustlos wirkende Amaury Bischoff laufen ihrer Normalform meilenweit hinterher und die Stürmer finden so gut wie gar nicht mehr statt. Viele Ballverluste und Fehlpässe, null Kreativität und Spielwitz gepaart mit mangelnder Einsatz- und gestern auch Kampfbereitschaft – es hakt zurzeit an nahezu allen Stellen in Preußens Spiel. Die Entscheidung für eine Entlassung von Pavel Dotchev ist somit mehr als verständlich, Probleme sind damit allerdings noch keine gelöst.
Trainersuche könnte sich schwierig gestalten
Denn bevor das Zusammenspiel auf dem Rasen wieder den eigenen Ansprüchen gerecht werden kann, muss zunächst ein Nachfolger gefunden werden. Der SC Preußen Münster gilt als Traditionsclub und Bundesliga-Gründungsmitglied sicherlich als eine der attraktivsten Arbeitgeber in Fußball-Deutschland. Die Zahl der interessierten Trainer, die ihre Qualitäten möglichst schon in einer höheren Spielklasse unter Beweis gestellt haben, dürfte trotzdem nicht allzu hoch liegen. Denn dieses Team wieder zu einer Einheit zusammenzuführen, die trotz des schwachen Saisonstarts mit nur sieben Punkten und den Fall auf Rang 16 noch immer den Aufstieg in die 2. Bundesliga realisieren soll, kann man durchaus als Herkules-Aufgabe werten. Es bleibt dem Nachfolger, der Gerüchten zufolge Norbert Meier heißen könnte, nur zu wünschen, dass er nicht von Beginn an lediglich an Ergebnissen gemessen wird, sondern die Chance erhält, in Ruhe wieder das Topteam aufzubauen, das die Adlerträger zweifelsfrei sind.
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