Kommentar: Überlebenskünstler aus Regensburg

Der Blick auf die Tabelle lädt zum Träumen ein. Wie gerne würde man das schaffen, was zuletzt vor acht Jahren gelang: Der Aufstieg in die 2. Bundesliga. Nur jeder weiß, dass das reine Utopie ist. Es besteht daher keine Gefahr, dass irgendwer abhebt. Denn: Wie auch in der Sylvester-Pflichtkommödie „Dinner for One“ gilt in Regensburg: „The same procedure as every year.“

The same procedure as every year

Und was ist sie, die alljährlich wiederkehrende Prozedur? Der Jahn hat kein Geld für großartige Transfers, gilt mit dem kleinsten Etat der Liga als Abstiegskandidat. Doch der Klassenerhalt wird souverän geschafft. Ebenfalls nach einem bekannten Muster: Ein furioser Saisonstart, meist als Tabellenführer, wo ein Großteil der nötigen Punkte eingefahren wird. Ein Einbruch im Herbst, wo kaum Spiele gewonnen werden, weil der Kader einfach nicht ausreichend genug besetzt ist, um mehrere Verletzungen aufzufangen. Und in der Rückrunde werden die letzten Punkte in Hamstertaktik zusammengekratzt. Mal einer, dann wieder drei. Dann kommen zwei Spiele ohne Punkte, dann wieder 5 Punkte in Folge. So war es vor zwei Jahren. So war es letztes Jahr. So ist es auch dieses Jahr? Der Blick auf die Tabelle könnte es bestätigen. Doch diese Saison ist es ein klein wenig anders. Extremer.

Harter vorbildlicher Sparkurs mit vollem Risiko

Wegen der anhaltenden Stadiondiskussion (nun ja endlich erfolgreich beendet) fürchtete ein Investorenpool um sein Geld und fror dem Jahn beachtliche Mengen an Geldern ein. Die anstehenden (versprochenen) Vertragsverlängerungen mit zehn Spielern, davon ein Großteil Stammspieler, wurden abgebrochen. Die Investoren banden ihre Summen an das Stadion. Kommt das Stadion, fließt auch wieder Geld. Noch vor einem Jahr hätten die Jahn-Verantwortlichen trotzdem die Verträge verlängert und  Spieler verpflichtet mit Geld, das nicht da war. Dieses Jahr nicht. In Regensburg verfolgt man einen eisernen Sparkurs um nicht, wie die meisten anderen Vereine, mit roten Zahlen dazustehen und nicht vorhandene Mittel auszugeben. Auch ist man sich des Risikos bewusst, dass die Mannschaft so nicht gut genug sein könnte, um den Klassenerhalt zu schaffen. Mit dem wenigen vorhandenen Geld wurden Altschulden bis heute fast komplett abgebaut und nur wenige kostengünstige Spieler verpflichtet, hauptsächlich Talente aus unteren Ligen. Mit drei Spielern wurde nachträglich noch verlängert. Der geringste Etat der Liga nochmals verringert. Konkurrenzfähiger Kader? Mit 16 Feldspielern? Sicher nicht.

Jahn holt trotzdem wieder das Maximale heraus

Und trotzdem startet der Jahn wieder furios. Sportlicher Leiter Franz Gerber bewies erneut ein glückliches Händchen. Die günstigen Talente, die vorher keiner kannte, schlagen ein wie eine Bombe. Allen voran Ronny Philp und Jim-Patrick Müller. Trainer Markus Weinzierl schafft es erneut, aus einem neu zusammengewürfelten Haufen binnen weniger Wochen bis zum Saisonstart eine Einheit zu machen, eine gut funktionierende Mannschaft. Eine Mannschaft, die vielleicht die verhältnismäßig günstigste seit langer Zeit in Regensburg ist und beim Heimspiel gegen Stuttgart II das beste Heimspiel seit einigen Spielzeiten zeigt.

Der Jahn macht aus wenig wieder einmal viel. Holt das Maximale heraus. Schließlich war die Stadiondiskussion beendet, das neue Stadion wird gebaut. Die Investoren geben ihr Geld wieder frei. Doch für die guten Spieler, mit denen Gerber schon einig war, haben bereits woanders unterschrieben. Das Risiko, zu warten, bis der Jahn zahlen kann, war zu groß. Mario Neunaber, Thomas Kurz und Sebastian Hofmann heißen die neusten Zugänge. Top-Transfers für den Jahn! Gerber in seinem Element. Aber mehr ist nicht drin. Der Kader der Rothosen besteht vorläufig aus zwei Torhütern und 19 Feldspielern.

Kaderdecke wird immer dünner

Zu wenig. Das beweist ein Blick ins Jahn-Lazarett. Mersad Selimbegovic plagen mittlerweile Rückenprobleme. Rückkehr in die Mannschaft? Ungewiss. Sturmhoffnung Sebastian Hofmann verletzte sich im ersten Training. Weiterhin fehlten drei Stammspieler verletzt: Sebastian Nachreiner, Tobias Schlauderer, Selcuk Alibaz. Das war noch ok, 10 Punkte konnte die Jahnelf schon sammeln bis dahin. Auch ein Sieg beim Aufstiegsaspiranten Osnabrück sprang heraus. Die Mannschaft gab einfach alles. Nun fehlen für das Spiel morgen gegen Aalen auch noch Ronny Philp, der gute Neuzugang aus dem Regionalligateam von Greuther Fürth, mit Muskelfaseriss und Thomas Kurz, rotgesperrt. Sieben Spieler fehlen. Bleiben zwölf. Zwölf Feldspieler also, um weiter Punkte für den Klassenerhalt zu sammeln. Denn sicher ist, um mehr geht es trotz erneutem Traumstart nicht. Denn der Kader ist einfach zu dünn, es werden immer weniger Spieler. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Ausfälle nicht mehr aufgefangen werden können. Im Winter kommen noch die schwierigen Witterungsverhältnisse dazu. Spielausfälle werden für viele englische Wochen in der Rückrunde sorgen. Also für Mehrbelastung des kleinen Kaders. Der Einbruch vom Jahn wird also kommen. Wie jedes Jahr. Doch ist es dieses Jahr nicht das gleiche. Es ist extremer.

Was ist möglich in Regensburg?

In der Vergangenheit hat der Jahn Geld ausgegeben, dass er nicht hat. Heute gibt er nur das aus, was sicher da ist. Auch wenn dadurch dem Jahn eines der schwierigsten Jahre bevorsteht. Aber eines ist sicher, wenn der SSV durchhält, steht er vor einer großen Zukunft. Der vom Verein ausgerufene Sparkurs war hart, aber er wird Früchte tragen. Schuldenfrei wird der Jahn am Ende der Saison wahrscheinlich sein. Wie viele andere Vereine können das von sich behaupten? Ein neues Stadion kommt. Sportlich wie wirtschaftlich ein Segen. Haarscharf schrammte man schon einige Male an der Insolvenz vorbei und spielte trotzdem immer wieder eine gute Rolle in der Liga. „Beim Jahn geht es immer weiter. Der Jahn ist ein Überlebenskünstler.“ Alle sind dich einig. Dass der Jahn aus wenig viel machen kann, beweist er immer wieder. Dass er aus mehr auch mehr machen kann, ist nur eine logische Schlussfolgerung. Und dieses „mehr“ blüht dem Jahn, wenn er diese Saison und nächste Saison den Klassenerhalt in der Dritten Liga schafft. Aber das wird harte Arbeit. Jeder Punkt zählt. Und morgen sollen zu den aktuellen 10 Punkten zum Ligaerhalt wenn möglich drei weitere hinzukommen.

FOTO: Flohre Fotografie

   

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